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Das angeborene Recht der Kirche

Der heilige Augustinus: Ausschnitt des Gemäldes von Philippe de Champaigne

Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker empfahl vor über dreißig Jahren den Deutschen einen „Verfassungspatriotismus“. Noch heute sehen wir – insbesondere in Anbetracht oft müßig wie verstiegen anmutender Identitätsdiskurse –, wie dankbar wir den Vätern und Müttern des Grundgesetzes sein dürfen. Wie der heilige Augustinus in „Über den Gottesstaat“ (IV, 4) schrieb: „Was sind überhaupt Reiche, wenn die Gerechtigkeit fehlt, anderes als große Räuberbanden?“ Doch Recht und Gerechtigkeit treten oft zur Seite – so erleben wir es schmerzhaft auch in der Kirchenprovinz Deutschland –, wenn ungute Praktiken, dominante Meinungen des Zeitgeistes und ein neukatholischer Eifer auftreten.

Vor Unheilspropheten hat der hl. Johannes XXIII. in der Eröffnungsansprache des Zweiten Vatikanischen Konzils gewarnt. Etliche Künder eines deutschkatholischen Reformgeistes könnten sich angesprochen fühlen, wenn sie, beseelt und verführt von den Versuchungen der Weltlichkeit, eine Öffnung des Weiheamtes oder die Revision der Morallehre einfordern. Wie oft wird das Kirchenrecht beiseitegeschoben und nicht ernst genommen. In der Neufassung des Buch VI des „Codex Iuris Canonici“ heißt es in Can. 1311, § 1 und 2, wörtlich:

„§ 1. Es ist das angeborene und eigene Recht der Kirche, Gläubige, die Straftaten begangen haben, durch Strafmittel zurechtzuweisen.

2. Wem in der Kirche die Leitung zukommt, der muss das Wohl der Gemeinschaft und der einzelnen Gläubigen durch die pastorale Liebe, das Beispiel des eigenen Lebens, durch Rat und Ermahnung und, wenn erforderlich, auch dadurch schützen und fördern, dass Strafen nach den Vorschriften des Gesetzes sowie stets unter Beachtung der kanonischen Billigkeit verhängt und festgestellt werden.“

Die „pastorale Liebe“ zeigt sich nicht in der geschmeidigen Billigung von Sünden, sondern in der Liebe zu den Sündern. Ein Bischof etwa soll durch das „Beispiel des eigenen Lebens“ Zeuge sein. Wenn er als medienaffiner Moderator – mit jedem Kirchenkritiker gefällig im Dialog – auftritt, so hat er das „Wohl der Gemeinschaft“ aus dem Blick verloren. Der Herr hat seine Jünger mit Blick auf die Nachfolge erwählt. Hätte er PR-Experten berufen wollen, so hätte er das deutlich gemacht. Das Kirchenrecht steht nicht im Gegensatz zur „pastoralen Liebe“.

Wer Wahrheit und Liebe trennt, der hat vom Glauben der Kirche aller Zeiten und Orte nichts verstanden. Pater Engelbert Recktenwald hat am 1. Juni richtig festgestellt, dass ein „Kritischer Verstand“ nötig sei: „In vielen innerkirchlichen Kontroversen lässt sich ein bestimmtes Argumentationsmuster erkennen, das immer wiederkehrt: Demjenigen, der die kirchliche Lehre hinterfragt, wird der Gebrauch der Vernunft unterstellt, dem Gläubigen dagegen ein Mangel an Vernunftgebrauch: dort der kritische Hinterfrager des Glaubens, der sich seines eigenen Verstandes zu bedienen wagt, hier der naive Gläubige, der es sich im Vernunftgebrauch bequem macht und unreflektiert das übernimmt, was die Kirche ihm vorkaut. Nun will ich gar nicht leugnen, dass es so etwas gab und heute vereinzelt auch noch gibt. Aber ich behaupte, dass es sich heute grosso modo genau umgekehrt verhält: Der Zeitgeist weht heute dem Gläubigen so sehr ins Gesicht, dass es viel bequemer ist, unreflektiert dessen Parolen zu übernehmen, als sich zur kirchlichen Lehre zu bekennen. Es gehört mehr Verstand dazu, sie zu verstehen und zu vertreten, als sie zu leugnen und zu verspotten.“

Das Kirchenrecht ist vernünftig und schützt den Glauben. Wer die Kirche liebt, konstruiert keine Kluft und kein Widerspruch zwischen dem geltenden Recht und den pastoralen Aufgaben dieser Zeit. Nicht grundlos erinnert der CIC an die „pastorale Liebe“. 

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