27 Juli, 2021 / 6:15 AM
Zugegeben, ich kenne das Werk von Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. deutlich besser als das reichhaltige, differenzierte Schrifttum von Karl Rahner. Aber was in kirchlichen Medien ungeprüft zitiert wird, verdient, kritisch geprüft zu werden – finden Sie nicht auch? So also wurde jüngst von Professor Jürgen Manemann, dem Direktor des katholischen Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover, – quasi als Autoritätsargument – Karl Rahner zitiert. Es ging allgemein um die Weiterentwicklung, Revision oder Neuerfindung der kirchlichen Morallehre, wie immer man dieses deutschkatholische Ansinnen auch nennen mag. Mich machte das vermeintliche Rahner-Zitat sprachlos, das Manemann aufgriff: „Vielleicht hilft uns der Rat im Umgang mit Dogmen weiter, den der katholische Theologe Karl Rahner einst gegeben haben soll: »Dogmen sind wie Straßenlaternen. Sie weisen in der Nacht den Irrenden den Weg. Aber nur Betrunkene halten sich daran fest.«“
Hat Karl Rahner das wirklich geschrieben? Vielleicht könnte man unter zeitgenössischen Moraltheologen mit einer solchen Redeweise schallendes Gelächter ernten. Wer darüber aber lacht, den kann ich nicht mehr als einen ernsthaften Gesprächspartner ansehen. Wo und in welchem Zusammenhang mag Rahner das gesagt haben? Ich recherchierte erfolglos. Auch Manemann gibt keine Quelle dafür an und bleibt vorsichtig. Rahner „soll“ das als „Rat“ gesagt haben. Also nehme ich an: Eine solche launige Floskel wird Karl Rahner vielleicht manchmal zugeschrieben, aber gesagt oder gedacht hat er das nie. Wer Rahners Theologie schätzt, wird über diesen Spruch bloß den Kopf schütteln. Mir ist nicht bekannt, dass dieser wirkmächtige Theologe Dogmen der Kirche in einer solchen Weise ironisiert, relativiert oder verhöhnt hat. Warum wird so etwas launig in einem Interview widergegeben? Vielleicht kann man damit moderne Katholiken beeindrucken? Wenn Rahner so etwas gesagt hat oder gesagt haben soll, darf ich als Christ in der Gegenwart auch so denken, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und die nervigen Dogmen den torkelnden Betrunkenen überlassen?
Was mich betrifft: Ich bin nicht sturzbetrunken, sondern stocknüchtern, wenn ich fest auf dem Boden der Dogmen der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche stehe – und nichts anders kann als zu betonen: dass mir die Dogmen Halt geben und dass ich dafür dankbar. Das im Übrigen sind die meisten, die sich als „mündige Christen“ begreifen, die sich nicht geschmeidig dem weltlichen Zeitgeist anpassen, sondern zum Credo der Kirche stehen und sich an den Dogmen orientieren. Darum singen wir in der heiligen Messe übrigens auch nicht „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ oder „Die kleine Kneipe in unserer Straße“, sondern ganz einfach: „Credo in unum Deum“.
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