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"Man kann nicht nur auf Probe lieben"

Papst Johannes Paul II. mit Martin Rothweiler im Jahr 1983.
Die erste Generalaudienz im Heiligen Jahr der Erlösung: Martin Rothweiler trägt auf dem Petersplatz die Lesung vor, während Papst Johannes Paul II. aufmerksam zuhört.
Die EWTN-Gründerin Mutter Angelica zeigt Papst Johannes Paul II. eine der frühen Satellitenschüsseln.
Mutter Angelica und Papst Johannes Paul II.

"Man kann nicht nur auf Probe leben, man kann nicht nur auf Probe sterben. Man kann nicht nur auf Probe lieben, nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen", diese Worte mit der kraftvollen Stimme von Papst Johannes Paul II. klingen bis zum heutigen Tag in meinem Gedächtnis nach. Als Student war ich damals am 15. November 1980 auf dem Butzweiler Hof in Köln, um den Papst aus Polen bei seinem ersten Deutschlandbesuch zu erleben. Ich hatte ihn wenige Jahre zuvor im September 1978 zum ersten Mal im Kölner Dom gesehen, als erstmals eine polnische Bischofsdelegation unter Vorsitz von Kardinal Stefan Wyszyński der Kirche in Deutschland einen Gegenbesuch abstattete als Zeichen der Versöhnung zwischen Polen und Deutschen. Alle Aufmerksamkeit galt damals der Predigt Wyszyńskis, des Primas von Polen, und weniger dem Hauptzelebranten, dem damaligen Erzbischof von Krakau Karol Wojtyla, der wenige Wochen später zum Papst gewählt werden sollte. Jetzt war er da, der Papst aus Polen. Und seine erste Predigt auf deutschem Boden galt der Wahrung der Menschenwürde, dem Schutz des Lebens und der Bedeutung von Ehe und Familie.

Liebe, Glück und Würde

Schon die Worte "Man kann nicht nur auf Probe lieben" zeigten die reiche Lebenserfahrung dieses Papstes, seine Nähe zu den Menschen. Er hatte totalitären Regimen widerstanden und das menschliche Leben in allen seinen auch tragischen Dimensionen hautnah kennengelernt.  Seine Betrachtungen und Überlegungen gingen vom Menschen aus, von dem, was dem Menschen gemäß ist. Der Ansatz seiner Theologie war phänomenologisch, geprägt von der Wahrnehmung der Welt, von der genauen Beobachtung des Menschen.

Johannes Paul II. sagte auf dem Butzweiler Hof nicht etwa: "Man darf nicht nur auf Probe lieben" und damit basta, weil es das Gebot Gottes ist. Er formulierte mit großem Einfühlungsvermögen und Nachdruck: "Man kann nicht nur auf Probe lieben, nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen". Warum? Weil es andernfalls gar keine Liebe wäre. Die menschliche Liebe ist auf Dauerhaftigkeit angelegt. Sie gehört zum Wesen der Liebe, insbesondere der Liebe zwischen Mann und Frau. Jeder spürt wohl, dass eine Aussage wie "Ich liebe dich, solange ich etwas für Dich empfinde" am Kern der Liebe und damit auch am Glück des Menschen vorbeigehen würde. Eine solche Liebe wäre bloßes Gefühl und der Würde des Menschen unwürdig. Auf diese Weise zeigt sich, dass etwa das Gebot der ehelichen Treue von seinem Ursprung her nicht etwas von Gott Aufoktroyiertes und dem Menschen Wesensfremdes ist. Vielmehr nimmt sie zutiefst das Wesen des Menschen, auch seine Gefühlswelt, ernst. Es fördert sein Glück und schützt zugleich seine Würde. Das war der phänomenologische Ansatz von Karol Wojtyla, um einsehbar zu machen, wie der katholische Glaube, dem Glück und der Freiheit des Menschen dient.

Kirche und Papsttum lieben gelernt

Auf dem Butzweiler Hof ahnte ich noch nicht, dass mich mein Studium der Philosophie und Theologie einmal nach Rom führen würde an dieselbe Alma Mater, an der auch Karol Wojtyla studiert hatte: die Päpstliche Universität Heiliger Thomas von Aquin, das Angelicum. Einer meiner Philosophie-Professoren, Athanasius de Vos OP, hatte ihn noch als Studenten erlebt. Mehrere Jahre in Rom leben und Johannes Paul II. erleben zu dürfen, gehört zu den großen Geschenken meines Lebens. Er hat mich die Kirche und das Papsttum lieben gelehrt mit seiner unkonventionellen Art, seiner Natürlichkeit, seinem Humor. Ein Mann des Gebets, angstfrei, voller Mut und Glaubenskraft. Welchen Spass hatte er am Ostersonntag, wenn er nachmittags Studenten in den Damasushof im Vatikan einlud, die ihm Lieder sangen und Clownerien präsentierten. Er war ein Papst der Jugend, ein Papst der Ehe und Familie. Welche Vermächtnisse hat er uns hinterlassen in den Weltjugendtagen und Weltfamilientreffen. 

"Die letzte Schlacht zwischen dem Herrn und der Herrschaft Satans wird um die Ehe und die Familie geschlagen", schrieb Schwester Lucia dos Santos, eine der Seherinnen von Fatima an Carlo Caffarra, dem späteren Kardinal und Erzbischof von Bologna, dem der heilige Papst Johannes Paul II. 1980 den Auftrag gegeben hatte, das Päpstliche Institut für Ehe und Familie an der Lateranuniversität zu gründen. Ich erlebte Caffarra in Gastvorlesungen am Angelicum als feinsinnigen, humorvollen Professor und klaren Denker, der von 1981-1985 der erste Präsident des neu gegründeten Instituts war.

Der Anschlag am Fatima-Tag

Am 13. Mai 1981, dem Fest der ersten Erscheinung der Muttergottes von Fatima, wollte Papst Johannes Paul II. die Gründung des Instituts für Ehe und Familie offiziell bekannt geben. Die Kugel, die Ali Agca an jenem denkwürdigen Tag vor 39 Jahren auf dem Petersplatz auf den Papst gefeuert hatte und ihn lebensgefährlich verletzte, verhinderte das. Ein Zufall? 

Da schmerzt es, wenn man heute etwa in Gesprächen im Kontext der Themen des Synodalforums "Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft" nicht gerade selten erleben muss, wie heute in Deutschland Johannes Paul II. - der Papst der Jugend, der Papst der Ehe und Familie und der Papst der Barmherzigkeit - als reaktionärer Hardliner abgetan wird. Begründungsbedürftig bleibt auch, warum dem Papst, der wie kein anderer sich in seinen Katechesen mit Ehe und Familie befasst hatte, bei der Vorbereitung der Familiensynode kaum Beachtung geschenkt wurde.  Mehr als vier Jahre lang entfaltete Papst Johannes Paul II. in seinen Mittwochsansprachen während meines römischen Studiums seine Katechesen zur Theologie des Leibes, denen er selbst den Titel gab "Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan" oder genauer "Die Erlösung des Leibes und die Sakramentalität der Ehe". Hier liegt ein Schatz anthropologischer und biblischer Reflexion für Kirche und Gesellschaft bereit, der in seiner Tiefgründigkeit und lebenspraktischer Relevanz noch nicht gehoben ist. Er ist ein Leitfaden der "Erziehung zur Liebe", die dem Pontifex aus Polen ein zentrales Anliegen war. Im gleichnamigen Band, der bereits 1979 in deutscher Sprache erschien, schreibt Karol Wojtyla: "Es geht um das Vervollständigen dessen, was im Gefühl und in den Sinnen beginnt, durch das, was die wahre Tiefe der menschlichen Person und ihres Engagements ausmacht. Es geht darum, dass die Liebe gewissermaßen in den Maßstab der gesamten Person gestellt wird und nicht nur derjenigen Erlebnisse, die zwar große subjektive Intensität besitzen, aber nicht die objektive Reife."

Die Liebe Gottes verkünden

Der Papst, der den Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit eingeführt hatte, wusste um die Schwäche und Gebrechlichkeit des Menschen, um seine Erlösungsbedürftigkeit. Er kannte die Nöte der Menschen seiner Zeit. 1983 rief er das außerordentliche "Heilige Jahr der Erlösung" aus. Unvergesslich bleibt mir, dass ich am 30. März jenes Jahres bei der ersten Generalaudienz des außerordentlichen Heiligen Jahres auf dem Petersplatz die erste Lesung vortragen und nach der Audienz persönlich mit dem Heiligen Vater sprechen durfte. Ebenso unvergesslich wie gegenwärtig, bleibt die Frage, die Johannes Paul II. bei seiner Ansprache an jenem Tag stellte: "Warum das Böse, warum der Schmerz, warum dieses menschliche Kreuz, das unserer Natur unentbehrlich zu sein scheint und doch in so vielen Fällen so absurd ist?" Seine Antwort ebenso überzeitlich wie aktuell in unsrer Zeit: "Das Kreuz mit Christus ist die große Offenbarung über die Bedeutung des Schmerzes und seinen Wert im Leben und in der Geschichte.   (...)   Das Kreuz lädt uns ein, auf die Liebe mit Liebe zu antworten. (...) Wir sind nicht immer in der Lage, in diesem Plan den Grund für die Schmerzen zu entdecken, die unseren Lebensweg kennzeichnen. Gestützt auf den Glauben können wir jedoch zu der Gewissheit kommen, dass es sich um einen Plan der Liebe handelt."  

Diesen Gott der Liebe bis an die Enden der Erde zu verkünden, darum war es ihm zu tun. Johannes Paul II. wusste um die Bedeutung der Medien bei der Evangelisierung und nannte sie den modernen Areopag. Dass er selbst ein wie für die Medien geschaffener Papst war, erübrigt sich fast zu sagen. Zeitgleich hatte die Klarissin Mutter Angelica mit ihrem Fernsehsender EWTN (Eternal Word Television Network) für die weltweite Übertragung seiner Botschaften und Reisen gesorgt. Johannes Paul II. dankte der TV-Pionierin und schenkte ihr eine Monstranz aus Nowa Huta, aus der Kirche, für dessen Aufbau er als Erzbischof von Krakau gegen den Widerstand des kommunistischen Regimes sorgte. "This is a brave woman" – "Das ist eine mutige Frau" -, sagte er einmal vor Bischöfen über diese Ordensfrau. Der heilige Papst Johannes Paul II. und Mutter Angelica: ein Dream-Team für die mediale Verbreitung der frohen Botschaft, auch der Frohen Botschaft von der Würde von Ehe und Familie.

Martin Rothweiler ist Geschäftsführer und Programmdirektor des katholischen Fernsehsenders EWTN Deutschland.

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