Frankfurt, 13 März, 2023 / 9:00 AM
Warum gibt es in Deutschland eine derartige Polarisierung über den Synodalen Weg? Ähnliche Prozesse gab und gibt es auch in anderen Ländern der Weltkirche – in ganz anderer Atmosphäre und ohne vergleichbare Friktionen. Vieles deutet auf eine grundsätzliche Ursache hin, die im Glaubens- und Kirchenverständnis begründet sein könnte.
Nach katholischem Verständnis hat Gott sich in Jesus Christus abschließend mitgeteilt („Offenbarung“). Dieses Glaubensgut weiterzugeben, hat er den Aposteln aufgetragen. Sie stehen nicht über dem Wort, sondern unter ihm. Seit den Anfängen wird dies bei der Bischofsweihe intensiv ausgedrückt, indem dem Kandidaten beim Weihevorgang ein Evangeliar über den Kopf gehalten wird. Nachdem der Bewerber anfangs versprochen hat, „das Evangelium Christi treu und unermüdlich zu verkünden“, wird er gefragt: „Bist du bereit, das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut, das immer und überall in der Kirche bewahrt wurde, rein und unverkürzt weiterzugeben?“
Dieser Vorgang ist so entscheidend für das Selbstverständnis der Kirche, dass ihn das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Dogmatischen Konstitution „Dei verbum“ (DV) betont: „Das Lehramt ist nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nichts lehrt, als was überliefert ist“ (DV 10). Unser Gottesglaube ist also vorgegeben und keine Konstruktion von Menschen. Das Konzil stellt weiter fest: „Dem offenbarenden Gott ist der ‚Gehorsam des Glaubens‘ (Röm 16,26; vgl. Röm 1,5; 2 Kor 10,5-6) zu leisten. Darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit, indem er sich ‚dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwirft‘.“
Das ist den Gläubigen bewusst: Nicht alles im Glauben kann begriffen werden. Glauben ist ein freiwilliger Akt, der Verstand und Willen einschließt. Aus den biblischen Zeugnissen wissen wir ebenfalls: Der Glaube löst Unverständnis und Widerspruch aus; Paulus bringt es im ersten Korintherbrief (1 Kor 1,18) auf den Punkt: „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.“ Auch Jesus hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass sogar unter den Jüngern eine Spaltung entstand. Viele zogen sich deshalb von Jesus zurück (Joh 6,66), sodass er die Zwölf fragte: „Wollt auch ihr gehen?“
Die Bewahrung des richtigen Glaubens wird als Herausforderung in fast jedem Apostelbrief beschrieben, tritt durchgängig in der Kirchengeschichte hervor und bleibt bis heute aktuell. Sie ist auch ein Thema des Synodalen Weges, der im „Orientierungstext“ neben der Schrift und der apostolischen Überlieferung vier weitere zentrale Erkenntnisquellen des Glaubens hinzufügt: das Lehramt und die Theologie sowie den Glaubenssinn der Gläubigen und die Zeichen der Zeit. Das ist – hinter den Kulissen – auch unter den Theologen des Synodalen Weges umstritten, aber wichtiger Bestandteil der Kernaussagen.
Dieser Punkt bildete eine Provokation, die mehrere europäische Bischofskonferenzen am Synodalen Weg in Deutschland kritisieren, ebenso weitere hundert Bischöfe und Kardinäle aus der gesamten Weltkirche. Erzbischof Samuel J. Aquila aus Denver/USA zeigte sich bereits im Mai 2021 in einem Brief überrascht über „die Freimütigkeit einiger Bischöfe, die radikale Veränderungen in der Lehre und Praxis der Kirche fordern“.
Die grundlegende Frage, ob der Glaube von Gott im überlieferten Glaubensgut vorgegeben wurde oder ob er heute von Bischöfen, Theologen, Gläubigen und aktuellen Meinungen in der Wissenschaft verändert und angepasst werden kann, ist also von grundlegender Bedeutung. Der Synodale Weg spricht sich für inhaltliche Änderungsmöglichkeiten und Kurswechsel aus, das Lehramt der Kirche bestreitet dies ununterbrochen seit den Anfängen, zuletzt im Zweiten Vatikanischen Konzil.
Aus diesem Unterschied leitet sich auch eine jeweils andere Arbeitsweise ab: Für die Weltkirche bedeutet es, nur den Bischöfen als Nachfolger der Apostel ein Stimmrecht bei Konzilien und als gültig anerkannten Synoden zuzusprechen, um neue Antworten auf Grundlage des überlieferten Glaubensgutes zu suchen, das gemeinsam im Konsens und mit großen Anstrengungen vertieft und ausgelegt wird. Für den Synodalen Weg in Deutschland bedeutet es, das Glaubensgut mit neuen Quellen zu ergänzen und zeitgerecht anzupassen. Dabei können auch aktuelle Meinungen unter den Gläubigen oder in der Wissenschaft als Offenbarungsquelle einbezogen werden, zum Beispiel Geschlechtergerechtigkeit oder Gendertheorien.
Der seit den Anfängen des Christentums vorhandene synodale Geist kennt diese Weise der Wegfindung nicht, sondern ist methodisch darauf ausgerichtet, dass Gottes Offenbarung bereits in der Fülle Christi geschehen und nach seiner Himmelfahrt abgeschlossen ist. Deshalb kommt es allein auf eine Vertiefung und ein größeres Erkennen an. Ein deutliches Beispiel bildet das jahrzehntelange Ringen über die Erkenntnis, dass Jesus wesensgleich mit dem Vater ist, dabei ganz Gott und Mensch.
Der in Deutschland praktizierte Stil von Synodalität unterscheidet sich wesentlich von den Eigenschaften, die aktuell Papst und Kurienkardinäle als grundlegend beschreiben und in Konzilien und Synoden auf Weltebene zur Anwendung kommen. In Deutschland geht es aber nicht um Konsens, Einbindung von Minderheiten und Herstellung von Gleichzeitigkeit, sondern um blanke Mehrheitsentscheidungen nach parlamentarischen Regeln. Dabei darf die Mehrheit triumphierend ihre Macht auskosten. Mehrheit ist dann Mehrheit mit absoluter Macht. Eine Begrenzung, wie sie unsere Demokratie mit der sich gegenseitig kontrollierenden und korrigierenden Gewaltenteilung kennt, ist nicht vorgesehen. Es gibt keine Grenzen, nicht einmal einen Minderheitenschutz durch geheime Abstimmungen, obwohl dieses Recht in der Satzung vorgesehen ist und missbräuchlich vorenthalten wird.
Während die Kirche seit ihren Anfängen auf die Verlässlichkeit und Verantwortungsbereitschaft der Gesandten („Apostel“) setzt, die mit ihrer ganzen Person und sogar mit ihrem Leben für das Evangelium einstehen, wechselt im Parlamentarismus die Verantwortung auf ein Gremium, dessen Abstimmungsergebnisse meist situativ sind und normalerweise ohne persönliche Konsequenzen für die Beteiligten bleiben. Nicht ohne Grund befindet sich die Politikverdrossenheit gegenwärtig auf einem Höhepunkt. Die stärkste „Partei“ bilden seit längerem die Nichtwähler. Das Ansehen der Politiker befindet sich auf einem Tiefststand.
Tiefstände im gegenseitigen Miteinander erlebte der Synodale Weg in Deutschland mehrfach, zum Beispiel durch Buh-Rufe und demonstratives Heben von „roten Karten“ bei Wortmeldungen von Teilnehmern, deren Minderheitenposition bereits bekannt erschien. Häufig wurde gerade auf Bischöfe Druck ausgeübt, die sich an weltkirchlichen Positionen orientierten. Das ging soweit, dass einzelne sogar von „Angst“ sprachen, die sie bei Abstimmungen erlebten.
Höhepunkt war die Verweigerung einer satzungsgemäß vereinbarten geheimen Abstimmung durch Tagungsleitung und Synodalpräsidium, nachdem eine Abstimmung an der Sperrminorität der Bischöfe scheiterte. Nach Ausübung psychischen Drucks und Bestehen auf namentlicher Abstimmung blieben weitere Abstimmungsniederlagen aus.
Es fehlte aber nicht nur an Bereitschaft zur Synodalität, sondern auch zu echter Demokratie. Da wurden teils Änderungsanträge, von denen es bei manchen Themen nicht nur Dutzende, sondern annähernd Hunderte gab, in Sekunden- bis Minutenschnelle vom Tisch gewischt. Entscheidendes Machtzentrum war hier eine Antragskommission, deren Berufung und Zusammensetzung so rätselhaft blieb, dass es auch unter den Teilnehmern Verärgerung über das Verfahren gab. Im politischen Parlamentarismus gelten strengere Maßstäbe. Auch im Erfahrungsschatz einer zweitausendjährigen Kirchenentwicklung sind derlei Vorgehensweisen unbekannt, im Gegenteil: Kirchenväter, Synoden und Konzilien haben oft jahrzehntelang um wichtige Formulierungen gerungen.
Skandalös war die meist auf eine Minute verkürzte Redezeit. Wie sollen Abweichungen einer Jahrtausende einheitlichen Lehrtradition bei einer Redezeit von einer Minute und bei Rednerlisten von 50 Personen angemessen behandelt werden?
Nein, dieser Synodale Weg, vom Vatikan als synodale „Gesprächsinitiative“ bezeichnet, war kein Lichtpunkt und Hoffnungszeichen, im Gegenteil: Die katholische Kirche in Deutschland ist heute zerstrittener denn je und befindet sich in tiefen Konflikten mit der Weltkirche!
(Die Geschichte geht unten weiter)
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