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„Die Bilanz ist erschreckend“: Christenverfolgung in Indien

Bei einer christenfeindlichen Attacke zerstörter Altar in Hyderabad/Indien (Archivbild)

Christen sind weltweit die am stärksten verfolgte Religionsgemeinschaft. Seit einiger Zeit müssen wir die Verfolgung auch in Indien beobachten. Christen werden vertrieben oder vergewaltigt, ohne dass die Zentralregierung, die hinduistisch geprägt ist, dieser Verfolgung Einhalt zu gebieten vermag. Die christliche Nichtregierungsorganisation Christian Solidarity International (CSI), die sich für die verfolgte Minderheit der Christen in Indien einsetzt, ist eine christliche Menschenrechtsorganisation für Religionsfreiheit und Menschenwürde. Sie engagiert sich für verfolgte Christen in aller Welt. Lothar C. Rilinger hat mit dem Geschäftsführer von CSI Deutschland, Peter Fuchs, gesprochen, der die Projekte in Indien koordiniert.

Herr Fuchs, zurzeit beherrscht ein Thema nicht nur die Kommunikation von Christian Solidarity International (CSI) ganz besonders, sondern auch große Teile der christlichen Medien. Es geht um die Christenverfolgungen im nordöstlichen Bundesstaat Manipur in Indien. Was ist passiert?

Anfang Mai dieses Jahres kam es in Indien zu einem schlimmen und letztlich unvorhersehbaren Gewaltausbruch. Auslöser war eine Kundgebung in der Stadt Imphal im Bundesstaat Manipur. Angehörige der mehrheitlich christlichen Zomi- und Kukivölkergruppen demonstrierten gegen Sonderrechte für die hinduistische Volksgruppe der Meitei, die in der Mehrheit ist. Die Minderheiten, welche dieses Sonderrecht haben, befürchten, dass sie in Zukunft keine fairen Bedingungen beim Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Arbeitsplätzen mehr haben werden. Als Reaktion auf die friedlichen Demonstrationen eskalierte irgendwann ein Gewaltexzess, der ganze drei Tage andauerte. Die Situation kam erst einigermaßen zur Ruhe, als das indische Militär in starker Präsenz und mit Schießbefehl im öffentlichen Raum Manipurs auftrat. Die Bilanz ist erschreckend: Über 100 Tote, mehr als 50.000 aus ihren Häusern Vertriebene, 300 niedergebrannte Kirchen. Etwa 2.000 Frauen, Männer und Kinder leben bis jetzt versteckt in den Wäldern. Das Militär brachte andere Vertriebene behelfsmäßig in Schulen und öffentlichen Gebäuden unter. 35.000 dieser Leute sind Christen, die Hälfte davon Kinder. Die Rückkehrmöglichkeiten sind ungewiss, die Not wegen der überstürzten Flucht groß.

Können Sie uns etwas zu den Hintergründen der ethnisch-religiösen Spannungen sagen?

Die schwelenden, beziehungsweise anhaltenden Unruhen in Manipur haben ihre jüngsten Ursprünge in einer Entscheidung des Manipur High Court, des Obersten Gerichtshofes des Bundesstaates. Die Richter erkannten dabei den Meitei, einer überwiegend hinduistischen ethnischen Gruppe, den Status einer „geschützten Minderheit“ zu. Dieser Minderheitenstatus soll im Vielvölkerstaat Indien strukturelle Diskriminierung abbauen und den Angehörigen von Minderheiten bestimmte Vorteile gewähren. Allerdings interpretierte die christliche Minderheit der Kuki den Richterspruch als Versuch, die Macht zugunsten der hinduistischen Mehrheit auszubauen, da die Mehrheit der Bevölkerung Manipurs aus den Meitei besteht und diese ohnehin die politischen Entscheidungen kontrollieren.

Das Oberste Gericht Indiens hat übrigens die Entscheidung des Manipur High Court bereits als „absolut falsch“ bezeichnet. Dennoch bleibt die Lage angespannt. Wir von CSI sehen eine mögliche Ausweitung der Konflikte hin zu einem bürgerkriegsähnlichen Szenario.

Ein weiterer völlig sinnloser Auslöser der Unruhen war im Übrigen die Aufforderung an die Kuki, ihre traditionellen Wohnorte in bestimmten Waldgebieten zu verlassen. Die Meitei könnten nämlich mit anerkanntem Stammesstatus das Recht ausnutzen und Land in den Bergregionen kaufen. Diese Regionen sind aber das angestammte Land der überwiegend christlichen Kuki- Stämme, die fürchten, verdrängt zu werden. Dies führte zu Protesten, die von Sicherheitskräften aufgelöst werden sollten, aber stattdessen eskalierte die Situation, wie vorhin gesagt. Denn hindu-extremistische Gruppen nutzen die ethnischen Ausschreitungen als Vorwand, um gezielt gegen Christen vorzugehen. Mittlerweile haben wir über 100 getötete Angehörige der Kuki zu beklagen und über eine halbe Million Menschen befinden sich auf der Flucht.

Was macht denn die Politik, also die indische Regierung, um die Lage in den Griff zu bekommen und zu entschärfen?

In der überwiegenden Mehrheit der 29 Bundesstaaten der Indischen Union sind die Aktivisten der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party am politischen Ruder. Die BJP des indischen Premierministers Narendra Modi, der seit 2014 an der Macht ist, konzentriert sich auf die Umsetzung einer pro-hinduistischen politischen Agenda und setzt ihre Ideologie des Hinduismus durch, in der allein die Hindu-Kultur die indische Nation und ihre Identität definiert. Dabei werden christliche und muslimische Minderheiten diskriminiert. Christen machen 2,3 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner Indiens aus und werden über sogenannte „Anti-Bekehrungsgesetze“, die in einigen Bundesstaaten gelten, gesetzlicher Willkür unterworfen. Obwohl das Christentum seit fast zweitausend Jahren in Indien vertreten ist, stellen radikale Hindus Christen oft als Nicht-Inder dar. Sie nutzen diese Rhetorik, um ihre Wählerbasis zu mobilisieren und Wahlen zu gewinnen. Für Manipur wird behauptet, dass die Regierungspartei BJP die Gewalt gegen die christliche Minderheit weiter anheizt. Weder die von der BJP geführte Provinz, noch die indische Bundesregierung haben die Taten bisher in Gänze verurteilt. Es geht das Gerücht, dass die massive Zerstörung christlicher Kirchen in Manipur von staatlichen und zentralen Behörden unterstützt wurde. Das will und kann ich so allerdings nicht bestätigen.

Unser CSI-Präsident John Eibner hat jedenfalls den indischen Premierminister Modi aufgefordert, der Sicherheit und den Rechten religiöser Minderheiten in Indien große Aufmerksamkeit zu schenken. Allein im Jahr 2022 haben religiöse Gruppen fast 600 Fälle von Gewalt gegen Christen gemeldet, jetzt, 2023, sind wir bereits bei mindestens 300 dokumentierten Fällen angelangt.

Hat der indische Premierminister Narendra Modi in irgendeiner Form reagiert?

Ja, am 20. Juli – immerhin mehr als zwei Monate nach Ausbruch der Unruhen. Er zeigte sich über eine öffentliche Schändung christlicher Kuki-Frauen durch Meitei-Hindus, angeblich in Anwesenheit der Staatspolizei, entsetzt. Die jüngste der betroffenen Frauen, Mitte 20, wurde brutal vergewaltigt, der Vater und der Bruder der anderen Frau wurden bei dem Überfall ermordet. Das Ganze wurde gefilmt und online verbreitet. Modi hat Strafverfolgung zugesichert und will die Vorwürfe gegen ihn, er hätte zu den Gewalttaten in Manipur geschwiegen und sei nicht in der Lage, die Unruhen zu kontrollieren, offensichtlich entkräften.

Wie geht es weiter?

Nun ja, allein indische Katholiken betreiben über 25.000 Schulen und Colleges in ganz Indien und 85.000 Krankenhausbetten in abgelegenen Dörfern. Mehr als fünf Millionen arme und ausgegrenzte Menschen werden jedes Jahr von 5.000 registrierten katholischen Organisationen betreut. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor im Sozialgefüge Indiens und die guten Werke lassen sich nicht einfach von Hindu-Nationalisten okkupieren oder kopieren. Da Indien, Modi und seine Partei immer wieder negative Schlagzeilen mit den Nachrichten von Angriffen auf Christen und Muslimen machen, haben sie ein Reputationsproblem. Es ist von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung Indiens, dass die indische Regierung dringend handelt, um die Sicherheit und Rechte der christlichen Minderheit in Manipur zu schützen und ethnische Spannungen zu reduzieren. Und wenn Sie mich nach konkreten Schritten fragen: Wir haben zum Beispiel ganze Nothilfepakete für Familien zusammengestellt, die wir verteilen. Gleichzeitig fördern wir über Seminare vor Ort die Schulung indischer Christen in verfassungsrechtlichen Grundlagen über Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Redefreiheit in Indien. Das unterstützt die Christen im Kampf gegen die gewalttätige und aggressive Hinduisierung durch juristische Notwehr. Auch unterstützen wir eine Organisation christlicher Anwälte, die sich für verfolgte Christen einsetzen.

Herr Fuchs, viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch!

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