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Die göttliche Kraft der neuen Eva: Zum Hochfest der Unbefleckten Empfängnis

Die Unbefleckte Empfängnis: Giovanni Battista Tiepolos Darstellung aus dem Jahr 1768 (Ausschnitt)

Für viele Italiener ist das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau und Gottesmutter Maria am 8. Dezember nicht nur ein willkommener gesetzlicher Feiertag, sondern auch der eigentliche und bedeutsame Beginn der Adventszeit: In Rom zieht der Papst an diesem Tag  gemäß der Tradition zur Mariensäule auf der Piazza di Spagna, um dort Blumen darzubringen, die Lauretanische Litanei zu beten und gemeinsam mit den versammelten Gläubigen die Gottesmutter zu verehren. Spätestens jetzt werden auch die Privathäuser, Geschäfte und Straßenzüge mit festlicher weihnachtlicher Beleuchtung geschmückt.

Es ist ein Hochfest, das häufig für Verwirrung sorgt. Denn die Unbefleckte Empfängnis bezieht sich nicht auf die jungfräuliche Geburt Jesu, sondern auf eine Besonderheit der heiligen Gottesmutter, eine himmlische Gnade, mit der Maria bereits im Schoße ihrer Mutter Anna vom Schöpfer ausgezeichnet wurde: Alle Menschen werden seit der Vertreibung aus dem Paradies mit der so genannten Erbsünde geboren - mit der Anlage zum Ungehorsam gegenüber Gottvater, der Neigung, den eigenen Willen koste es, was es wolle, durchzusetzen, anstatt göttlichen Willen geschehen zu lassen. Nur bei Maria ist das aufgrund der Gnade Gottvaters und der Erlösertat Jesu Christi ganz anders: Sie ist der einzige Mensch, der jemals ohne diesen Makel empfangen wurde und zur Welt gekommen ist.

Es war Papst Pius IX., der diese von alters her geglaubte Auffassung der Kirche und ihrer Glieder mittels seiner Bulle "Ineffabilis Deus" vom 8. Dezember 1854 zum Dogma erhob:

"Die Lehre, dass die allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und Auszeichnung von seiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers der ganzen Menschheit, von jeder Makel der Erbsünde bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und muss deshalb von allen Gläubigen fest und unabänderlich geglaubt werden."

Was einer seiner Vorgänger, Papst Alexander VII. , bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ähnlich formuliert hatte, war schon der frühen Kirche des 6. Jahrhunderts bekannt. Im Orden des heiligen Franziskus beging man den Tag der "immaculata conceptio", so der lateinische Ausdruck für die unbefleckte Empfängnis, schon bald sehr feierlich. Im  Jahre 1477 führte Papst Sixtus IV. dieses Fest für das ganze Bistum Rom ein. 

Pius IX. hatte also keine Neuigkeit verkündigt. Doch das Mysterium der unbefleckten Empfängnis Mariens, das unseren Großvätern und Ahnfrauen im Glauben noch ganz geläufig war, scheint sich uns Heutigen eher zu verschließen. Obwohl Vernunft und christlicher Glaube einander bekanntlich nicht ausschließen und gelehrte theologische Abhandlungen zum Thema vorliegen, handelt es sich hier um ein Glaubensgeheimnis, das sich uns in seiner Fülle am Besten in der betrachtenden Schau offenbart.

Zahlreiche Maler und andere Künstler haben sich in den letzten Jahrhunderten daran gemacht, es für uns sichtbar zu machen.

Einer, dem das schier in Vollkommenheit gelang, ist sicher der italienische Maler Giovanni Battista Tiepolo.

Seine Darstellung der Immaculata in Öl auf Leinwand aus dem Jahre 1767-68 steht ganz in der klassischen Tradition: Maria steht mit gefalteten Händen auf einer Erdkugel, hinter der die Mondsichel sichtbar ist, ihr verschleiertes Haupt umkränzen Sterne, über ihrem Scheitel schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer weißen Taube.

Ihr rechter Fuß zertritt wie beiläufig die drachenköpfige Schlange mit dem Apfel im Maul. Das ist keine heroische Pose - die heilige Jungfrau und Gottesmutter braucht dafür keine Kraft,  keinerlei Anspannung, kein Triumphalismus liegt in ihrer Haltung: Maria steht auf dem linken Bein, ihr rechtes Knie ist leicht angewinkelt, mit ihrem "Spielbein" also, wie man so sagt, macht sie ohne Mühe dem Widersacher den Garaus.

In dieser Ikonografie findet sich sowohl  der Verweis auf das erste wie auf das abschließende Buch der Heiligen Schrift:  Die Genesis als Beginn der Geschichte Gottes mit den Menschen und die Offenbarung des Johannes zur Endzeit und dem kommenden Weltgericht. Maria ist die "Apokalyptische Frau" aus der Offenbarung, mit Sternen gekrönt, mit der Sonne bekleidet, zu ihren Füßen die Sichel des Mondes. Die Genesis berichtet, dass ewige Feindschaft zwischen der Frau, ihren Nachkommen und den Nachkommen der Schlange herrschen solle. So sprach Gott der Schöpfer nach dem Sündenfall. Und wie Eva die "Mutter aller, die da leben" wurde, so wurde Maria als "neue Eva" die Mutter und Erste der Erlösten: Ihr Fiat, das sie während der Verkündigung spricht, ist die kosmische Antwort auf Luzifers Rebellion gegen Gott und den Hochmut und den Ungehorsam des ersten Menschenpaares.

Tiepolos Immaculata mit den gesenkten Augen und gefalteten Händen gibt für jeden oberflächlichen Betrachter ein erbauliches Bild jungfräulicher Demut und passiver Hingabe ab. Doch wer tiefer in die erstaunliche Dynamik seiner Komposition eindringt, hervorgerufen durch das Gewalle und Gewoge ihrer Schleiertücher, das Gebausche der Wolken, das Geschlängel des niedergezwungenen Drachen und den tollkühn übers Firmament surfenden Putten, der nimmt die anfänglich statisch wirkende Gestik und Mimik der Gottesmutter als zielgerichtete Bewegung wesenhaft aufgeladen mit göttlicher Kraft wahr. Diese Kraft kommt aus der Höhe und schöpft aus der Tiefe.

Die Jungfrau Maria war vom ersten Moment ihrer irdischen Existenz an vollkommen eingestimmt auf die Kraftfrequenz des allmächtigen Gottes.

Nicht im Sturm, nicht im Feuer und nicht im Erdbeben ist diese zu finden. Aber wer lange genug auf Tiepolos Meisterwerk  schaut, kann sie, wie der Prophet Elia damals vor seiner Höhle, sogar hören.

Als ein sanftes, leises Säuseln.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Erstfassung veröffentlicht am 8. Dezember 2018.

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