9. November 2020
Auch im Jahr 2000 war eine Ökumene der besten Absichten kirchenpolitisch virulent. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz und damalige Mainzer Bischof Karl Lehmann, der im Jahr 2001 zum Kardinal erhoben wurde, hielt nichts davon.Noch immer ist sein instruktiver, lesenswerter und diskussionswürdiger Vortrag auf der Homepage der Bischofskonferenz nachzulesen. Er hat seine Überlegungen, auch mit Blick auf den Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin, detailliert und differenziert ausgearbeitet.
Lehmann schwelgte nicht in Fantasien, also erteilte er den Wünschen nach einer Eucharistiegemeinschaft eine klare Absage. Energisch wies Lehmann darauf hin, dass die "Strenge der theologischen Reflexion" einzuhalten sei. Jenen, die von einer gemeinsamen Mahlfeier in Berlin 2003 träumten, widerspricht er eindeutig: "Ich will keinen Zweifel lassen, dass ein solcher Missbrauch zu einer unheilvollen Lähmung der Ökumene führen könnte, die niemand verantworten kann." Bischof Lehmann erinnert daran, dass die Kirche nur durch Christus zur Einheit finden kann. Zugleich stellt er fest: "Die Eucharistie bezieht sich also nicht auf ein isoliertes Einzelsakrament neben anderen Zeichen. Vielmehr stehen Eucharistiegemeinschaft und Kirchengedanke in engstem Zusammenhang."
Bischof Lehmann diagnostiziert den Schmerz der Trennung, verweist auf die elementar wichtigen Schriften seines Mitbruders Joseph Kardinal Ratzinger, seinerzeit Präfekt der Glaubenskongregation, und legt weiterhin dar: "Die Kirche kann von sich aus nicht einfach Abendmahlsgemeinschaft »herstellen«, ohne dass sie die verlorene Einheit in ausreichender Weise wiederfindet. Sonst entsprechen sich die Gemeinschaft im Herrenmahl und die Kircheneinheit nicht." Der Einladende zur Teilhabe an der Eucharistie ist Christus, nie ein Pfarrer oder ein Bischof – dieser ist stets Treuhänder des Herrn. Lehmann führt in dem Text aus: "Ich glaube nicht, dass die Eucharistie selbst »Mittel« zum Zweck der Einigung werden darf, wenn dies im Sinne einer isolierten Instrumentalisierung verstanden würde. Allein kann sie auch kaum die Einheit der Kirche verstärken oder gar bewirken. … Aufgrund dieser inneren Zusammengehörigkeit kann es nach meinem Verständnis keine »Vorwegnahme« von Abendmahlsgemeinschaft als dem sakramentalen Zeichen der Einheit der Kirche geben, wenn dies nicht tiefere und bleibende Konsequenzen für das Verhältnis der beteiligten Glaubensgemeinschaften hat. Ich kann mir einfach nicht denken, dass man sich im tiefsten Zeichen der Einheit, das der Herr uns geschenkt hat und in dem er uns tiefer verbindet, als wir es je miteinander könnten, einigt und danach wieder auseinanderläuft, ohne dass sich dadurch etwas fundamental verändert. Nehmen wir so die Stiftung und das Testament des Herrn wirklich ernst?"
Wer die eucharistische Gastfreundschaft als ein kirchenpolitisches Signal versteht und als Ausdruck einer vielleicht sympathetischen Verbundenheit der Konfessionen begreift, der missbraucht das Sakrament für säkulare Absichten – oder, diplomatischer formuliert, wie Bischof Lehmann dies 2000 erwägt, der nehme das "Testament des Herrn" vielleicht nicht wirklich ernst.
Die Kirchen der Reformation blendeten, so Lehmann, den ekklesialen Status in der Regel aus und stellten auf eine subjektive Gewissensentscheidung ab. Diese wäre nach katholischem Verständnis eine vielleicht plausible subjektive Meinung, aber keine gemäß der Lehre der Kirche geformte Gewissensentscheidung. Lehmann schreibt: "Der individuelle Aspekt, für sich allein betrachtet, widerspricht aber letztlich dem Eucharistie-Verständnis, weil zu diesem der Grundbezug zur kirchlichen Gemeinschaft gehört. Es ist auch nicht selten darauf hingewiesen worden, dass dadurch das Eucharistie-Verständnis zu rasch seiner sozialen und auch leiblichen Dimension verlustig geht."
Lehmann warnt ausdrücklich davor, dies alles durch "einen gewissen Gleichklang und ein Miteinander von Kircheneinheit und Gemeinschaft im Herrenmahl aufzulösen und gleichsam zu zerstückeln". Über ein solches Vorgehen sagt er: "Ich kann hier keine Lösung sehen. Dies mag eher hart klingen. Das gemeinsame Mahl gehört an das Ende und nicht an den Anfang ökumenischer Bestrebungen."
Abschließend folgen Klarstellungen, die auch heute lesens- und bedenkenswert sind: "Es gibt eine Ökumene, die ich nicht fördern möchte. Es ist die Gemeinsamkeit auf dem kleinsten und geringsten Nenner. Unter solchen Voraussetzungen können wir nur alle gemeinsam ärmer werden. Dies ist gerade bei der Eucharistie als dem Lebensgeheimnis des Herrn nicht erlaubt. Hier müssen wir gemeinsam, indem wir aufeinander zugehen, auch nach vorne noch viel mehr in das eucharistische Geheimnis Jesu Christi hineinwachsen. … Es geht darum, dass wir alle den Leib des Herrn von gewöhnlicher Speise unterscheiden. Wenn wir gemeinsam zum Tisch des Herrn gehen wollen, müssen wir auch zuvor jeweils eigen und gemeinsam die eucharistische Praxis in unseren Kirchen grundlegend."
Nach diesen klärenden Worten ist es zwar erstaunlich, wenn Bischof Lehmann 2000 die Einladung zur Teilhabe als Möglichkeit nicht ausschließt – das ist eine Schwäche des Textes, denn er knüpft seine Gedanken an eine "neue Frömmigkeit der Eucharistie und des Abendmahles". Dieser Frömmigkeit müsse aber eine Reform von innen her vorausgehen. Woran könnte man eine "neue Frömmigkeit", die doch wieder subjektiv erfahren wäre und beurteilt würde, verlässlich festmachen? Die Einheit der Kirche kann nur der Herr schenken. Vielleicht wird allein durch diese wohlwollend gemeinte Formulierung deutlich, dass der selbst der innigste und verständlichste Wunsch nach Einheit utopisch ist. Kurz zuvor nämlich heißt es im Text: "Die Trennung der Kirche ist vor dem Gebot des Herrn nach Einheit ein bleibender Skandal."
Denken wir heute bei der Trennung an eine bunte kirchliche Verschiedenheit, in der jede Gruppe irgendwie recht hat? Wenn wir die freundlichen Botschaften bedenken – auch das neue Grußwort von Bischof Dr. Georg Bätzing an die EKD-Synode zählt dazu –, so scheinen die klärenden, vernünftigen und theologisch gewichtigen Kommentare der Glaubenskongregation zu dem ÖAK-Papier "Gemeinsam am Tisch des Herrn" in Deutschland mitunter eher als skandalös angesehen zu werden als die konfessionellen Spaltungen. Darum ist das Gebet für die Einheit der Kirche – und nicht etwa ein Gebet für die gelegentliche Verwirklichung der herzlichen Gastfreundschaft bei Eucharistie und Abendmahl – umso wichtiger.
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