5. Februar 2020
Einige Beobachter und auch Zeugen der Auftaktveranstaltung des "Synodalen Weges" haben die geistliche Dimension vermisst. Das ausgesprochen lesenswerte Tagebuch von Dorothea Schmidt von der geistlichen Bewegung "Maria 1.0" liefert Eindrücke hierzu. Es bezeugt die unverdrossene Freude am Glauben, die die junge Generation zeigt – in einer Situation, in der es für viele gläubige Katholiken alles andere als leicht ist, mitten in der Kirche einfach nur ganz normal katholisch zu sein.
Zum Verständnis der Situation der Kirche in dieser Zeit ist auch die Lektüre des Beitrages "Mehr Existenzielles wagen!" (publiziert in: Herder Korrespondenz, Ausgabe 9/2019, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 28-31), den der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer veröffentlicht hat, außerordentlich wichtig und hilfreich. Er beschreibt dort seinen eigenen theologischen Werdegang an der Universität Freiburg und erinnert sich daran, wie sehr die deutsche Theologie – ob gewollt oder nicht – auf sich selbst konzentriert war. Auch an anderen Studienstandorten konnte und kann das festgestellt werden.
Ich selbst teile Bischof Wilmers Erfahrung auch auf andere Weise: Wenn Klassiker der Theologie, ob Augustinus, Bonaventura oder Thomas von Aquin, behandelt wurden, dann oft in unzulänglichen Übersetzungen, die den Geist der Zeit abbildeten, aber gewissermaßen von dem ursprünglichen Text buchstäblich sich emanzipiert hatten, ja oft in eine luftige Sphäre der romantischen Sprachmelodie entrückt waren. Wer sich die Übersetzungen, ob im "Gotteslob" oder auch im "Laudate Patrem" anschaut, sieht eine Kluft zwischen dem lateinischen und dem deutschen Text. Wenn ein eucharistischer Hymnus – etwas vereinfacht gesagt – in die Lebenswelt und Lebenswirklichkeit des 19., 20. oder 21. Jahrhunderts übertragen wird, so entstehen Verschiebungen und Entstellungen. Von der eucharistischen Spiritualität des heiligen Thomas sind wir weit entfernt. Gilt dasselbe für eine regional orientierte Theologie? Wir könnten, ja wir müssten darüber nachdenken.
Bischof Wilmer erinnert sich an den französischen Theologen Charles Lohr und dessen düstere Prognose: "Es werde nur noch darum gehen, einen Job zu haben, man werde nur noch Deutsch und nichts Anderes mehr lesen. Und dann sagte er etwas, das ich damals nicht verstand und das mich völlig erschütterte. Er sagte, die deutsche Theologie sei von »Inzucht« bedroht." Ein scharfes Wort, das aber vielleicht doch einen Wahrheitsgehalt aufweisen könnte: Wenn wir nur noch uns selbst wahrnehmen, unsere eigenen Denkwelten und Horizonte, dann vergessen wir leicht – im Alltag, in der Theologie und in der Kirche –, dass der geistige Horizont, auch der der Theologie, doch sehr viel weiter reicht als unsere nationalen Sorgen und Befindlichkeiten. Aus lokaler Betroffenheit oder hausgemachten Problemen erwachsen auch keine geistlichen Vertiefungen des Glaubens, die doch gerade heute so nötig wären. Am Beispiel der – indessen protestantischen – "Theologischen Literaturzeitung" macht Wilmer deutlich, wie sehr wir theologisch fixiert sind: auf uns selbst. Mehr als drei Viertel der Rezensionen im Jahr 2017 behandeln deutschsprachige Werke: "Und diese Tatsache, dieser intellektuelle Ansatz, beeinflusst auch unsere Kirchenpolitik. Wir halten uns bisweilen für den Nabel der Welt und meinen, Rom und die Weltkirche müssten nach unserer Fasson selig werden."
Dieser Eindruck drängte sich auch bei dem medialen Happening namens "Synodaler Weg" auf. Viele Katholiken heute haben den Eindruck, dass eine Horizontalisierung stattfindet, nicht aber eine Glaubensvertiefung. Der Hildesheimer Bischof spricht einen großen Mangel an: "Es fehlt uns auch eine Neugierde in Richtung Osten. Wer liest polnische Theologinnen und Theologen? Welcher polnische Exeget wird bei uns rezipiert? Welcher Dogmatiker? Was entgeht uns hier? Auch im Osten gibt es zahlreiche Menschen, die spirituell und reflexiv unterwegs sind. Interessieren wir uns ausreichend für die Orthodoxie? Bei den institutionellen Überlegungen zur Reform der Kirche wollen wir uns gerne ein Beispiel an der Orthodoxie nehmen, etwa beim Thema verheiratete Priester und zweiten Ehen nach Scheidungen. Aber lesen wir genug orthodoxe Spiritualität? Nach Osten hin besteht immer noch ein intellektueller Eiserner Vorhang, der uns verarmen lässt."
Bischof Dr. Wilmer wünscht sich eine vielstimmige und vielsprachige Theologie. Der von ihm benannte Mangel ist treffend diagnostiziert. Wir brauchen keine deutsche Enge, sondern die katholische Weite des Glaubens. Wir sind zu einem Missionsland geworden. Der "Synodale Weg" zeigt doch ganz besonders, dass die Kirche in Deutschland von Orientierungslosigkeit beherrscht ist. In dem Beitrag zur Lage der Theologie in Deutschland formuliert Bischof Wilmer: "Die Krise der Kirche kann nur begriffen werden, wenn wir unser großes Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Unsere Nahrung, sozusagen: Wie verkünden wir heute das Evangelium? Wie bezeugen wir die Botschaft Jesu Christi, diese unfassbar frei machende Zusage Gottes? Wie leben wir die Strahlkraft des Evangeliums mit seiner Relevanz für die Gesellschaft? – Reform ohne Mission ist sinnlos."
Ich wünschte mir sehr, dass dieser Aufsatz von Bischof Wilmer auf dem "Synodalen Weg" ernsthaft diskutiert würde. Die Frage nach einer Erneuerung der Kirche in Christus kann vom Gedanken der Mission, also der Neuevangelisierung, die Papst Franziskus allen Katholiken in Deutschland ans Herz gelegt hat, nicht getrennt werden. Alles andere ist nicht mehr als eine profane, anstrengende und nutzlose Selbstbeschäftigung.
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