14. Juni 2020
Der Althistoriker Theodor Mommsen beschreibt 1905 im ersten Band der "Römischen Geschichte" die Aufgabe der "pontifices": "Die sechs »Brückenbauer« (pontifices) führten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschäft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbrücke zu leiten. Es waren die römischen Ingenieure, die das Geheimnis der Maße und Zahlen verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu führen, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafür zu sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage vor sich gehe."
Wer über die Stabilität von Brücken zu wachen hatte und gegebenenfalls an die Erneuerung dieser denken musste, der benötigte Sachverstand. Gläubige Katholiken stehen in unverbrüchlicher Treue und kirchlichem Gehorsam zum "Pontifex Maximus", zum Papst, der Bischof von Rom, Stellvertreter Christi, Nachfolger des Apostels Petrus und Diener der Diener Christi ist. Die Einübung in den Glauben der Kirche, die wir unser ganzes Leben hindurch erlernen und vollziehen, formt uns neu. Diese wachsende Vertrautheit schenkt dem Katholiken, der natürlich auch Bürger eines weltlichen Staates ist, zugleich ein römisches Zuhause, ein Obdach, einen Vorgeschmack auf den verheißenen Himmel, der das Ziel unserer Pilgerreise ist. Unter den Pilgern gibt es mitunter verschiedene Meinungen, die für beträchtlichen Widerstreit und Spaltungen sorgen. Wir können einiges davon gerade heute bezeugen und gewiss auch verwundert bestaunen. Einige sprechen, als sei ihnen die Rolle von erwählten Aufklärern zugefallen. Sie wirken wie Künder in endzeitlichen Kämpfen. Andere wiederum scheinen ganz genau zu wissen, dass die global herrschende Pandemie ein Ausdruck des Zornes Gottes ist. Doch wer hat jenen, die solche Meinungen vertreten, diese Einsicht geschenkt? Konservative Katholiken träumen heute bisweilen von einer "Phalanx der Tradition". Ich verstehe nicht das Bedürfnis, Parteien oder neue Fraktionen zu bilden. Manche Traditionalisten sehen heute dunkle Mächte am Werk – und manche Modernisten sehen sich ermutigt, die jetzige Situation der Corona-Pandemie für den "Synodalen Weg" der Kirche zu instrumentalisieren. Doch eine Viruserkrankung taugt nicht als Inspiration für kirchliche Erneuerungsbestrebungen. Wünschen wir uns nicht auch, dass führende Politiker und Staatsmänner wie US-Präsident Donald Trump und Bischöfe der Weltkirche wie Erzbischof Carlo Maria Viganò nach Wegen der Versöhnung suchen? Hoffen wir nicht, dass einflussreiche Personen – im wahrsten Sinne des Wortes – als Brückenbauer tätig werden und mit Freundlichkeit, Güte und Empathie wirken?
Meine vielleicht unbescheidene Erwartung an einen Bischof ist, dass er treu zum Papst und zur Lehre der Kirche steht – und sich selbst sowie seine Privatmeinungen hiervon korrigieren lässt. Viele Katholiken erinnern sich an Erzbischof Marcel Lefebvre, den Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X., und einige sehen in seiner Haltung bis heute ein Vorbild. Sein Wappenspruch lautete übrigens: "Credidimus caritati" (= Wir haben der Liebe geglaubt.) – empfohlen sei hierzu auch der neue Podcast von Pater Engelbert Recktenwald FSSP. Vier Jahre, bevor Erzbischof Lefebvre 1988 die unerlaubten Bischofsweihen vollzog, schrieb er in einem "Offenen Brief an die ratlosen Katholiken": "Man schreibt auch, dass mein Werk nach mir verschwinden wird, weil es keinen Bischof geben wird, um mich zu ersetzen. Ich bin vom Gegenteil überzeugt, ich bin durchaus nicht beunruhigt. Ich kann morgen sterben, alles liegt in Gottes Hand. Ich weiß, dass sich auf der ganzen Welt genügend Bischöfe finden werden, die unsere Seminaristen weihen. Der eine oder andere Bischof würde, auch wenn er heute schweigt, vom Heiligen Geist den Mut erhalten, seinerseits aufzustehen. Wenn mein Werk von Gott ist, wird Er es zu bewahren wissen und dem Wohl der Kirche dienen lassen." Alle Päpste – von Paul VI. bis Franziskus – haben sich jenen Katholiken, die sich der Priesterbruderschaft St. Pius X. verbunden wissen, auf je eigene Weise genähert und nach Wegen der Versöhnung gesucht. Suchen wir, als einfach gläubige Katholiken, heute vor Ort das Gespräch – mit modernistischen und traditionalistischen Schwestern und Brüdern? Oder hoffen wir auf den Triumph der eigenen Meinung? Sind wir bereit, uns von der Kirche formen und belehren zu lassen?
Vielleicht ist es heute möglich, dass Kleriker wie Weltchristen in der ganzen Weite der katholischen Kirche sich darauf besinnen, in ihrem Alltag auf gewisse Weise pontifikal zu wirken, nämlich Brückenbauer zu sein durch das Zeugnis und Beispiel ihres eigenen Lebens, unangefochten von den Wirrnissen und Strömungen dieser Zeit, treu zur Kirche des Herrn zu stehen und im Gebet verbunden zu bleiben? Über Traditionalismus und Modernismus habe ich oft nachgedacht, aber über die Worte des heiligen Ambrosius bin ich letztlich nicht hinausgekommen: "Ubi Petrus, ibi ecclesia" – wo der Papst ist, ist die Kirche.
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