Chur - Freitag, 29. April 2022, 11:30 Uhr.
Eine Gruppe Priester im Bistum Chur schlägt Alarm: Ein neuer "Verhaltenskodex" (VK) zur Prävention von Missbrauch verletze an mehreren Stellen "die Lehre und Disziplin der katholischen Kirche". Der Kodex sei – so die Geistlichen – ein Versuch, "die LGBT-Ideologie unter dem Deckmantel der Übergriffsprävention in der Kirche zu implantieren und damit die Glaubenslehre der Kirche auszuhöhlen".
Der Churer Bischof Joseph Bonnemain hat den Kodex Anfang April selbst unterzeichnet.
In einem CNA Deutsch vorliegenden Schreiben an alle Gemeinden erklärte der Bischof, der VK sei "ab Mitte Jahr 2022 für alle Führungspersonen und Angestellten verbindlich". Die Verpflichtungserklärung werde dann im Personaldossier abgelegt.
Wichtiges Anliegen Prävention
Die Priester aus dem Bistum Chur betonen nachdrücklich, "95% von dem, was im VK enthalten ist betreffend Prävention, betrachten wir als Ausdruck des gesunden Menschenverstands und des Anstands".
Es sei "unbedingt notwendig, alles zu tun, was möglich ist, um für eine bessere Prävention zu sorgen und dieses Anliegen in der Kirche mit Entschlossenheit zu verfolgen. Auch wir werden dies nach Kräften tun."
"Maulkorb" in Sachen Glaubens- und Sittenlehre
Der Churer Priesterkreis, der für den Widerstand gegen den Kodex verantwortlich ist, zitiert mehrere Stellen, durch die "der Glaubens- und Sittenlehre ein Maulkorb umgehängt würde".
Laut VK müssen die Priester dem Satz zustimmen: "Ich verzichte auf pauschal negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung."
Demgegenüber betont der Priesterkreis: "Wer diesen Satz unterschreibt, dürfte – selbst unter Berufung auf das vorrangige Grundrecht der Religionsfreiheit – nicht mehr die kirchliche Lehre zur Homosexualität verkünden, wie sie im 'Katechismus der katholischen Kirche' (KKK) festgehalten ist." Dort heißt es, homosexuelle Handlungen seien "in sich nicht in Ordnung" und "in keinem Fall zu billigen".
Ferner heißt es im Kodex: "In Seelsorgegesprächen greife ich Themen rund um Sexualität nicht aktiv auf. In jedem Fall unterlasse ich offensives Ausfragen zum Intimleben und zum Beziehungsstatus. Dies gilt auch für Gespräche die ich als Vorgesetzte*r führe."
Die Priester warnen: Zustimmung zu diesem Punkt würde es Priestern und Diakonen verbieten, die in der Ehevorbereitung obligatorischen Fragen zu stellen, etwa ob die zukünftigen Eheleute "einer Ehe als 'sakramentale Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau' für das eigene Leben zustimmen". Auch müsse "ausdrücklich nach dem 'Beziehungsstatus' gefragt werden in Bezug auf frühere Eheschliessungen und Scheidungen oder betreffend allfällige Kinder aus früheren Beziehungen".
Nicht nur in Sachen Ehe, sondern auch in der Priesterausbildung würde der VK die Anwendung geltender Normen unmöglich machen, warnen die Geistlichen. So könne man nicht mehr angemessen dafür sorgen, dass Männer mit homosexuellen Tendenzen nicht geweiht werden.
Weiter fragt der Priesterkreis: "Wie könnte man von einem Priesteramtskandidaten noch glaubwürdig verlangen, dass er sich 'nach dem vorgeschriebenen Ritus öffentlich vor Gott und der Kirche' zum lebenslangen Zölibat verpflichtet (can. 1037), wenn gleichzeitig erklärt wird, sein 'Beziehungsstatus' sei für die kirchliche Leitung faktisch tabu?"
Schließlich heißt es: "Wenn Priester, Diakone und Laienmitarbeiter, die in unsittlichen hetero- oder homosexuellen Beziehungen leben, nicht mehr zur Rede gestellt und, wenn keine Besserung eintritt, aus dem kirchlichen Dienst entlassen werden dürfen, wird in zweifacher Weise eine Doppelmoral installiert." Einerseits würde die Kirche in der Verkündigung weiter an der überlieferten Lehre festhalten, sie andererseits aber nicht von ihren Geistlichen und ihren Laien einforden.
Diskriminierung und Menschenrechte
Mit dem Verhaltenskodex sollen Priester und andere Menschen, die in der Seelsorge tätig sind, erklären: "Ich unterlasse jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität." Und: "Ich anerkenne die sexuellen Rechte als Menschenrechte, insbesondere das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung."
Die konsequente Anwendung der Sexualmoral der Kirche werde "von Teilen der Gesellschaft als diskriminierend empfunden", schreibt der Churer Priesterkreis. Dies sei beispielsweise deshalb der Fall, weil die Kirche homosexuelle Beziehungen nicht segnen kann. Dabei gehe es der Kirche lediglich "darum, dass sie unter Berufung auf das vom Staat anerkannte und gewährleistete vorrangige Grundrecht der Religionsfreiheit gemäss ihrer immerwährenden Lehre wirken kann".
Die Aussage des VK zu Menschenrechten sei "für verschiedene Interpretationen offen", aber letztlich abzulehnen, weil etwa Abtreibungen vielfach als Menschenrecht und Teil der sexuellen Selbstbestimmung charakterisiert würden, erklärten die Priester.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen
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Über die Anmerkung von Bischof Bonnemain hinaus, dass der VK verbindlich sei, scheint der Kodex auch arbeitsrechtliche Konsequenzen nicht auszuschließen. So hält er fest: "Eine Verweigerung der Unterschrift zeigt massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit, da die Person zu Pauschalurteilen neigt oder das Anliegen der Prävention nicht genügend mitträgt. Von einer weiteren Zusammenarbeit ist abzuraten."
"Bei bestehenden Anstellungsverhältnissen wird der VK spätestens an der jährlichen MAB [Mitarbeiterbesprechung] unterschrieben", heißt es im Kodex weiter.
In der Schweiz sind die Priester sowie die hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeiter in der Regel bei den durch die Kirchensteuer finanzierten öffentlich-rechtlichen kantonalen Körperschaften angestellt. Die Bistümer als kirchliche Struktur unterstehen direkt Rom, sind aber finanziell nur für einige wenige Mitarbeiter verantwortlich.
Appell an Bischof Bonnemain
Der Churer Priesterkreis stellt klar: "Wir haben den Diözesanbischof im Vorfeld der Publikation des VK gebeten, diesen nicht zu unterzeichnen. Da er ihn inzwischen veröffentlicht und unterschrieben hat, bitten wir ihn nun unsererseits öffentlich, seine Unterschrift unter den VK zurückzuziehen und dadurch den von ihm verursachten Gewissenskonflikt vieler seiner Mitarbeiter zu heilen.
Andernfalls werde man "selbst einen Verhaltenskodex im Dienst der Übergriffsprävention erarbeiten, der in Einklang mit der kirchlichen Lehre steht und den wir zu unterzeichnen bereit sind".
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