Warschau - Mittwoch, 25. Mai 2022, 9:15 Uhr.
Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz Polens hat gesagt, dass der Ansatz des Vatikans gegenüber Russland "naiv und utopisch" sei.
Erzbischof Stanisław Gądecki äußerte sich in einem Interview mit der polnischen katholischen Nachrichtenagentur KAI, das am 23. Mai nach einem Besuch in der Ukraine vom 17. bis 20. Mai veröffentlicht wurde.
Der 72-jährige Erzbischof von Posen wurde zu seinem Treffen mit Erzbischof Paul Gallagher, dem Sekretär des Vatikans für die Beziehungen zu den Staaten, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew befragt.
Der Interviewer stellte fest, dass Papst Franziskus ein "spezielles Memorandum" über die "aktuelle Ostpolitik des Vatikans" erhalten habe. Es wird davon ausgegangen, dass Gądecki das Dokument dem Papst während einer Privataudienz am 28. März vorgelegt hat.
Dabei war es auch um den umstrittenen deutschen "Synodalen Weg" gegangen, wie CNA Deutsch berichtete.
Gądecki sagte gegenüber KAI: "Meiner Meinung nach sollte der Vatikan eine vernünftigere Herangehensweise an Russland wählen, da die bisherige Herangehensweise sehr naiv und utopisch erscheint."
"Natürlich ist das Ziel der Kontaktaufnahme und des Dialogs ehrenwert und beruht auf der Tatsache, dass Russland groß ist und Respekt verdient. Aber dies wird nicht von einer ausreichend ernsthaften Betrachtung seitens des Vatikans begleitet."
Er fuhr fort: "Für Russland ist der Vatikan eine wichtige Instanz, aber gleichzeitig sollte er gedemütigt werden, wie Putin selbst mehrmals gezeigt hat, indem er absichtlich mehrere Stunden zu spät zu einem geplanten Treffen mit dem Papst kam."
Gądecki bezog sich dabei auf Treffen zwischen dem russischen Präsidenten und dem Papst im Vatikan in den Jahren 2013, 2015 und 2019. Berichten zufolge kam Putin 2013 mit 50 Minuten Verspätung zur Papstaudienz, 2015 mit 70 Minuten und 2019 mit fast einer Stunde Verspätung.
Der Erzbischof fügte hinzu: "Der Heilige Stuhl sollte verstehen, dass er in seinen Beziehungen zu Russland vorsichtiger sein sollte, um es vorsichtig auszudrücken, denn aus der Erfahrung der mittel- und osteuropäischen Länder scheint es, dass Lügen für die russische Diplomatie zur zweiten Natur geworden sind."
Der Erzbischof von Poznań (Westmittelpolen) meinte, die vatikanische Diplomatie habe die Länder Mittel- und Osteuropas in der Vergangenheit "unterschätzt".
"Utopische Ideen einer Befreiungstheologie"
Der polnische Prälat bezog sich auf den "Primas des Jahrtausends", den seligen Kardinal Stefan Wyszyński, der die polnische Kirche während des Kommunismus leitete: "Kardinal Stefan Wyszyński hat versucht, dies zu ändern, aber ich glaube nicht, dass es ihm gelungen ist. Es waren vielmehr die Vorsehung, seine Bemühungen und seine Entschlossenheit und nicht die Bemühungen der Diplomatie des Apostolischen Stuhls, die die Kirche in Polen gerettet haben. Erst das Pontifikat von Johannes Paul II. brachte einen radikalen Wandel, aber jetzt scheinen wir zur alten Linie zurückzukehren".
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Gądecki räumte ein, dass der Heilige Stuhl zur Neutralität in internationalen Angelegenheiten verpflichtet sei.
"Die vatikanische Diplomatie - die sich bewusst ist, dass Christen oft auf beiden Seiten kämpfen - zeigt nicht auf einen Aggressor, sondern versucht alles zu tun, um eine friedliche Lösung durch diplomatische Bemühungen zu erreichen", sagte er.
"Aber heute, in der Situation des Krieges, betont [das ukrainische griechisch-katholische Oberhaupt] Erzbischof Schewtschuk, ist das Wichtigste, dass der Heilige Stuhl die Ukraine auf allen Ebenen unterstützt und nicht utopischen Ideen aus der Befreiungstheologie folgt."
In dem Interview beschrieb Gądecki seinen Solidaritätsbesuch in der Ukraine als Teil einer Delegation, der auch Erzbischof Wojciech Polak, der Primas von Polen, und Erzbischof Stanisław Budzik von Lublin in Ostpolen angehörten.
Die polnischen Bischöfe trafen sich mit Erzbischof Mieczysław Mokrzycki, dem Vorsitzenden der ukrainischen Bischofskonferenz des lateinischen Ritus, in Lemberg (Lwiw, Westukraine) sowie mit Erzbischof Swiatoslaw Schewtschuk in Kiew. Sie besuchten auch die befreiten Städte Irpin und Bucha, um für die unter russischer Besatzung getöteten Ukrainer zu beten.
Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.
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