Vatikanstadt - Mittwoch, 26. Oktober 2022, 11:15 Uhr.
Kardinal Hollerich hat in einem umfangreichen Interview mit der Vatikanzeitung L’Osservatore Romano erklärt, Menschen mit homosexueller Orientierung seien keine „faulen Äpfel“.
„So viele unserer Brüder und Schwestern sagen uns, dass sie sich ihre sexuelle Orientierung, was auch immer der Ursprung und die Ursache dafür sein mag, sicher nicht selber ausgesucht haben“, so der Jesuit und Erzbischof von Luxemburg, der als Generalrelator eine Schlüsselrolle bei der mehrjährigen Weltsynode zur Synodalität spielt. „Auch sie sind die Frucht der Schöpfung. Und in Bereschit (dem Buch Genesis) lesen wir, dass Gott bei jedem Schritt der Schöpfung mit seinem Werk zufrieden ist: ‚und er sah, dass es gut war‘.“
Er glaube nicht, „dass eine sakramentale Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts möglich ist, weil sie nicht auf die Fortpflanzung ausgerichtet ist – was aber nicht bedeutet, dass ihre affektive Beziehung keinen Wert hat“.
Tatsächlich gelte: „Wenn wir uns an die Etymologie des Wortes ‚gut‘ halten, glauben Sie, dass Gott jemals ‚schlecht‘ über zwei Menschen sprechen könnte, die sich lieben? [Das ist ein Wortspiel mit dem italienischen ‚benedire‘, ‚segnen‘; es bedeutet wörtlich ‚gut-sprechen‘.] Ich wäre mehr daran interessiert, andere Aspekte des Problems zu erörtern. Zum Beispiel: Was ist die Ursache für die auffällige Zunahme homosexueller Orientierungen in der Gesellschaft? Oder warum ist der Anteil der Homosexuellen in kirchlichen Einrichtungen höher als in der Zivilgesellschaft?“
Priestertum
Mit Blick auf das Priestertum und den Vorwurf des Klerikalismus sagte Hollerich, das Taufpriestertum aller Gläubigen nehme nichts vom Amtspriestertum weg: „Im Gegenteil, wir Priester müssen verstehen, dass es kein Amtspriestertum ohne ein allgemeines Priestertum der Christen gibt, weil es von diesem ausgeht.“
„Ich bin mir bewusst, dass die Schwierigkeit, einen doch so elementaren Begriff zu assimilieren, durch eine priesterliche Ausbildung erschwert wird, die immer noch an einer ‚ontologischen Andersartigkeit‘ festhält, die es nicht gibt“, so der Kardinal. „Die Theologen sollten sich damit befassen und genauere Definitionen zum Thema Charakter und Gnade des Sakraments liefern. Vor allem aber müssen sich die Bischöfe ernsthaft und intensiv um die Ausbildung der künftigen Priester kümmern. Wir haben heute noch Seminare, die ich als ‚liberalisierte Tridentiner‘ bezeichnen würde …“
Zukunft
Die Weltsynode, die von Papst Franziskus um ein Jahr bis Oktober 2024 verlängert wurde, werde wie auch ein Rückgang der Berufungen dafür sorgen, dass „das Gleichgewicht zwischen Laien und Klerus in Zukunft ganz anders aussehen wird als heute“, zeigte sich Hollerich überzeugt. „Es gibt jedoch ein Hindernis für die Entwicklung eines konstruktiven Dialogs, das zunächst beseitigt werden muss. Ich beziehe mich auf die Tatsache, dass sich die Konfrontation oft nur um das Thema Macht dreht.“
Dennoch werde die Kirche in Europa bald „viel kleiner sein. Die Mehrheit der Europäer wird Gott und sein Evangelium nicht kennen. Kleiner, aber auch lebendiger. Ich glaube, dass diese zahlenmäßige Verringerung nach Gottes Plan notwendig ist, um neuen Schwung zu gewinnen.“
„In einigen Teilen Nordeuropas wird es vor allem eine Kirche der Migranten sein; die reichen Einheimischen sind die ersten, die das Boot verlassen, weil das Evangelium mit ihren Interessen kollidiert“, sagte Hollerich. „Das ist der Wunsch von Papst Franziskus: eine arme Kirche, eine lebendige Kirche.“
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