Lahore - Mittwoch, 21. Dezember 2022, 11:37 Uhr.
Mehr als dreißig Organisationen, darunter die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der pakistanischen Bischofskonferenz, die von der internationalen Stiftung Aid to the Church in Need (ACN) unterstützt wird, haben die Regierung aufgefordert, Daten über Fälle von Zwangskonvertierungen zu sammeln und dem Parlament vorzulegen.
Die Zahl der Fälle von Zwangskonvertierung in Pakistan steigt rasant. In einem Bericht, der dem UN-Menschenrechtsrat im Juli vorgelegt wurde, stellte das Zentrum für soziale Gerechtigkeit (Centre for Social Justice (CJS)) in Lahore 78 Fälle von Zwangsbekehrungen im Jahr 2021 vor. Sicher ist, dass eine wesentlich größere Zahl von Fällen nicht gemeldet und somit nicht erfasst wird.
Asif Aqeel, stellvertretender Direktor des Zentrums für Recht und Gerechtigkeit (CLJ), erklärte gegenüber ACN, er sei überzeugt, dass diese Bemühungen ins Leere laufen werden, solange die Gefahr von Kindesentführung und Zwangsheirat nicht beseitigt ist. Aqeel argumentiert, dass die Verwendung der Begriffe „Kindesentführung“ und „Zwangsheirat“ anstelle von „Zwangskonvertierung“ eher zu Gerechtigkeit führen wird.
Gezwungen, zum Islam zu konvertieren und zu heiraten
Einer dieser Fälle ist der des christlichen Mädchens Mehwish Bibi, das aus den Händen seines Entführers, eines muslimischen Nachbarn, der sie zum Übertritt zum Islam und zur Heirat gezwungen hatte, gerettet werden konnte.
Das Leben von Mehwish Bibi hat sich verbessert, seit ein Gericht ihr im Oktober 2021 die Scheidung von Muhammad Imran, einem Mann in den Vierzigern, aufgrund von dessen „hartem und grausamen Verhalten“ zusprach.
Der Alptraum der in seiner Gefangenschaft verbrachten Monate verfolgt die 14-Jährige jedoch nach wie vor. Sie ist die Tochter eines armen christlichen Ehepaares aus Sheikhupura, einem gut 30 km von Lahore, der Hauptstadt der Provinz Punjab, entfernt liegenden Ort. Der Vater ist Arbeiter, die Mutter hat eine Stelle als Hausmädchen. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands ihrer Mutter hatte Mehwish Bibi selbst begonnen, als Kindermädchen zu arbeiten und verdiente 2.000 Rupien, etwa 9 US-Dollar im Monat.
Am 4. August 2021 bot Imran an, sie zur Arbeit mitzunehmen. „Er bot mir ein Erfrischungsgetränk an. Es war mit Drogen versetzt und ich weiß nicht, was dann geschah“, sagt Mehwish Bibi. Sie wurde nach Sargodha gebracht, rund 140 km von ihrem heimatlichen Dorf entfernt, wo man sie in einen Lieferwagen sperrte. Eine Woche später legte Imran einem lokalen Gericht Dokumente über ihre Bekehrung und ihre Heirat mit ihm vor. „Ich habe mich immer gegen ihn gewehrt, aber er hat mir immer etwas ins Essen getan. Geschlagen hat er mich auch“, sagt Mehwish Bibi.
Ihre Eltern suchten Hilfe bei Christians' True Spirit (CTS), einer Organisation mit Sitz in Lahore, die beim Familiengericht die Auflösung von Mehwish Bibis Ehe beantragte. Mehwish Bibi lebt seit fast einem Jahr in der CTS-Unterkunft. Das zweistöckige Gebäude befindet sich in einem belebten Basar und beherbergt acht gerettete Frauen im Alter zwischen 13 und 60 Jahren. Obwohl sie jetzt in Sicherheit ist, wird sie oft von Albträumen geplagt.
Traurigkeit, Angst und Phobien
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Seit dem vergangenen Jahr bietet die Psychologin Aghania Rafaqat im Zweiwochenrhythmus Sitzungen mit den Bewohnerinnen der Unterkunft an. „Meine Pazientinnen verhalten sich ganz unterschiedlich. Manche werden aggressiv und bekommen oft Weinkrämpfe. Sie erleben tiefe Traurigkeit und haben sehr große Angst, wie ihre Zukunft aussehen wird. Die Alpträume führen nicht selten zu Phobien“, sagt Aghania Rafaqat.
Lange Zeit hatte Bibi Angst vor den Männern, die in die Unterkunft kamen, in der sie jetzt lebt: „Ich hatte Angst vor Elektrikern und Klempnern, die kamen, um etwas zu reparieren“, erzählt Bibi gegenüber ACN.
Die Psychologin sagt, dass sich Opfer wie Mehwish Bibi nie ganz erholen können, weil die tragischen Ereignisse in einem so jungen Alter sich in das Langzeitgedächtnis einprägen. „Sie können die Traumata nicht vergessen. Als Psychologin kann ich ihnen nur dabei helfen, die Situation zu akzeptieren und weiterzuleben“, fügt sie hinzu. Zu ihrer Strategie für ihre Patientinnen gehört neben einer Reihe psychologischer Tests auch eine spirituelle Dimension. „Ihnen die Hand zu halten und mit ihnen zu beten hilft ebenfalls“, betont sie.
Katherine Sapna, Katholikin und Leiterin des CTS, erklärt, dass die Mädchen nach ihrer Tortur nicht sofort zu ihren Eltern zurückkehren, weil sie weiterhin von den Entführern bedroht werden, auch wenn das Gericht den minderjährigen Mädchen die Wiedervereinigung mit ihren Familien erlaubt. Um dem sozialen Stigma zu entgehen, tauchen sie in vielen Fällen unter oder ziehen an einen anderen Ort. Die Unterkunft ist eine willkommene Alternative und bietet eine Berufsausbildung als Schneiderin oder Köchin an, vor kurzem hat sogar ein Kurs für Kosmetikerinnen begonnen.
Vergewaltigt und bedroht, doch nun in Sicherheit
Die vierzehn Jahre alte Bewohnerin Shumaim Lazir wurde im vergangenen Januar in Rahwali, einem kleinen, 100 km von Lahore entfernten Ort, drei Tage lang von zwei muslimischen Männern vergewaltigt. Ein 36-jähriger Mann wurde angeklagt und befindet sich in Haft, während der andere Verdächtige sich noch auf freiem Fuß befindet.
„Er wollte mich heiraten, aber ich wollte meinen Glauben nicht aufgeben. Als er von den Polizeirazzien in der Gegend hörte, ließ er mich eines Nachts in der Nähe meines Zuhauses gehen und drohte mir, mich umzubringen, wenn ich einen Laut von mir geben würde“, berichtet Shumaim Lazir, deren Vater Traktorfahrer ist. In der Unterkunft hat ein wenig Schneidern gelernt. „Ich möchte meine Eltern unterstützen, indem ich zuhause schneidere“, sagt sie.
Das CTS beherbergt außerdem 15 Schülerinnen der St. Joseph’s Girls High School in Lahore, einer katholischen Mädchenschule, die von den Barmherzigen Schwestern von Jesus und Maria geleitet wird. Es sind fünf christliche Kinder von Frauen, die zwangsweise zum Islam konvertiert sind und zehn ehemalige Kinderarbeiterinnen, die in Ziegeleien arbeiteten.
Zu letzteren gehört die 12-jährige Sara Fayaz, Tochter einer christlichen Mutter und eines muslimischen Vaters. Als Sara von ihrem Vater vergewaltigt wurde, beschloss ihre Mutter, die 2007 entführte worden und zum Islam übergetreten war, mit ihr zu fliehen. Ihre jüngere Schwester wurde ebenfalls vergewaltigt, von einem ihrer Cousins väterlicherseits. „Mein Vater hat meine Mutter regelmäßig geschlagen“, sagt die Schülerin der sechsten Klasse mit Tränen in den Augen. Sie ist fest entschlossen, Ärztin zu werden, um anderen zu helfen.