Augsburg - Dienstag, 9. Januar 2024, 15:30 Uhr.
Der Rechtsanwalt Ulrich Wastl hat gesagt, Erzbischof Georg Gänswein habe seiner Kanzlei im Rahmen der Erstellung einer Studie zum Thema Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising versucht, „den Rahmen vorzugeben, in dem wir überhaupt arbeiten hätten dürfen“. Gänswein war lange Jahre Privatsekretär von Kardinal Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI., der wiederum von 1977 bis 1982 für die Erzdiözese München und Freising zuständig war.
Wastl sagte der Augsburger Allgemeinen in dieser Woche, Gänswein habe „zum Beispiel etwa zehn Seiten an äußerungsrechtlichen Ausführungen“ an die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) geschickt, die mit der Ausarbeitung der Missbrauchsstudie betraut war und diese vor rund zwei Jahren der Öffentlichkeit vorstellte.
„Welche Personen alle Einfluss zu nehmen versuchten, kann ich gar nicht sagen“, so Wastl auch mit Blick auf das Erzbistum selbst. „Was ich sagen kann: Unser Gutachten hat allen Einfluss- und Drohversuchen standgehalten, seit zwei Jahren ist es unverändert auf unserer Internetseite einsehbar. Für mich zeigt das, dass es Rückgrat braucht. Denn solche Versuche wurden und werden in anderen Aufarbeitungsprojekten immer wieder unternommen.“
Es habe „nicht nur im Falle Benedikts Einflussnahmeversuche und Drohszenarien“ gegeben. „Es wurde über Bande gespielt, verzögert und auf unseren Auftraggeber, die Erzdiözese München und Freising, eingewirkt.“
Konkret zu Benedikt XVI. sagte Wastl: „Das Vorgehen in seinem Fall ließ für uns nicht erkennen, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Problematik gewünscht war. Es gab von vorneherein eine jegliche Schuld abwehrende Verteidigungshaltung. Es wurde eine Wand aufgebaut, hinter die wir nicht schauen sollten, so mein Eindruck.“
Für Empörung hatte bei der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie die Tatsache gesorgt, dass in einer von Juristen für Papst Benedikt angefertigten Stellungnahme zu zahlreichen Fragen an einer Stelle behauptet wurde, der damalige Kardinal Ratzinger habe an einer Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980, bei der es um einen Priester X und seinen Umzug in die Erzdiözese München und Freising gegangen war, „nicht teilgenommen“. Dies widersprach klar dem Sitzungsprotokoll.
Das Team von Juristen hatte einen Fehler gemacht, wie der zuständige Kirchenrechtler, Volljurist und Priester Stefan Mückl umgehend erläuterte. Er habe aufgrund der eingesehenen Akten „eine kondensierte Zusammenfassung erstellt von ungefähr 20 Seiten und hatte dort vermerkt: Jene Sitzung fand statt in der Anwesenheit des Erzbischofs und in der Abwesenheit des Generalvikars. Und das ist dann innerhalb der späteren Arbeitsschritte vertauscht worden.“
Tatsächlich hatte die Anwaltskanzlei trotz der offensichtlichen Diskrepanz zwischen der 82-seiten Stellungnahme im Namen des Papstes und dem Sitzungsprotokoll nicht nachgefragt, ob ein Fehler vorliege, sondern die Aussage so übernommen. Mückl sagte später, einer der Rechtsanwälte habe bei der Vorstellung der Studie „diese Ungenauigkeit, diesen sachlichen Fehler geradezu zelebriert“.