München - Freitag, 2. August 2024, 14:30 Uhr.
Zehn Jahre nach der Eroberung von mehrheitlich christlichen Dörfern in der irakischen Ninive-Ebene durch Truppen des „Islamischen Staates“ (IS) ist ein großer Teil der vertriebenen Christen in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Das berichtete der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, bei einer Pressekonferenz des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ (ACN) Anfang Juli: „2014 waren 13.300 christliche Familien in der Ninive-Ebene registriert, von ihnen sind 11.000 im Land geblieben. 9000 sind jetzt in die Ninive-Ebene zurück. Dafür sind wir sehr dankbar.“ In Karakosch (Baghdida), der größten christlichen Stadt im Irak, lebten heute die Hälfte der früheren Einwohner wieder dort. Der syrisch-katholische Erzbischof von Adiabene im Nordirak, Nizar Semaan, der ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm, beziffert ihre Zahl auf „vielleicht 25.000“.
Angst vor neuer Eskalation
Dennoch sind sich die beiden Kirchenvertreter im Klaren, dass es bei den Christen, die das Land verlassen haben, kaum Hoffnung auf eine Rückkehr gibt. Viele von ihnen hätten im Libanon, in Jordanien, der Türkei und in westlichen Ländern eine neue Heimat gefunden, gab Erzbischof Warda an. Junge Christen hätten dort Familien gegründet und kämen nur noch in den Irak, um Verwandte zu besuchen. Andere hätten Angst vor einer neuen Eskalation im Irak, die durch den Konflikt im Heiligen Land und im Libanon geschürt werde. „Die Christen sind sich bewusst, dass sie oft zur Zielscheibe von Fundamentalisten oder zu Kollateralzielen anderer werden“, erklärte Warda.
Rückblickend stellte Erzbischof Semaan fest: „Worte können nicht beschreiben, was wir in den vergangenen zehn Jahren erlebt haben. Die Christen hier sind wie Olivenbäume: Man kann sie abschneiden und verbrennen, aber sie werden weiter Früchte tragen.“ Der IS habe „alles versucht, die Christen zu vernichten. Aber wir sind geblieben und tun als Kirche alles, um ein Zeichen der Hoffnung zu setzen“, betonte Semaan.
„Wenn die Kirche stark ist, wird die Gemeinde bleiben“
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Die verbliebenen Christen seien sehr stark mit der Kirche verbunden, ergänzte Erzbischof Warda. Statt zu Behörden oder öffentlichen Einrichtungen würden sich die Menschen bei Problemen an die kirchlichen Vertreter wenden. „Hier im Irak kommen die Familien, egal was sie erleben, in die Kirche. Es gibt keine Termine, die Menschen können ihre Seelsorger jederzeit anrufen.“ Die Gotteshäuser seien mehr als spirituelle Zentren. Für viele Menschen habe die Präsenz ihrer Pfarrer die ausschlaggebende Rolle bei der Entscheidung gespielt, im Irak zu bleiben, so Warda: „Wenn die Kirche stark ist, wird die Gemeinde bleiben. Wenn der Priester geht, wird die Gemeinde gehen.“
„Kirche in Not“ sei mit den Partnern im Irak stolz auf die geleistete Arbeit in den vergangenen zehn Jahren, betonte die geschäftsführende Präsidentin von „Kirche in Not“ (ACN), Regina Lynch: „,Kirche in Not‘ war die erste Organisation, die nach der Vertreibung durch den IS den Christen beigestanden ist. Zuerst haben wir geholfen, die Flüchtlinge im kurdischen Teil des Irak unterzubringen und später die zerstörten Häuser in der Ninive-Ebene wieder aufzubauen.“ Dieses Wiederaufbauprogramm sei eine der größten Hilfsaktionen in der über 75-jährigen Geschichte des Hilfswerks gewesen. Seit 2014 habe „Kirche in Not“ im Irak über 500 Projekte in einem Gesamtumfang von über 56 Millionen Euro unterstützt. Diese Hilfe werde auch weiterhin fortgesetzt, zum Beispiel im Bereich Ausbildung oder der pastoralen Arbeit in den irakischen Gemeinden.
Über Nacht geflohen
Am 6. August 2014 waren Truppen des IS auf die mehrheitlich von Christen bewohnten Ortschaften der Ninive-Ebene im Nordirak vorgerückt, nachdem sie zuvor bereits die Stadt Mossul erobert hatten. Über Nacht flohen mehr als 100.000 Christen nach Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan. Nach dem militärischen Sieg über den IS begann 2017 der Wiederaufbau. Auch wenn viele Christen in die Ninive-Ebene zurückgekehrt sind, ist die Zahl der Christen im Irak insgesamt kontinuierlich gesunken. Waren es 2003 1,5 Millionen, sind es heute schätzungsweise nur noch 250.000. Das sind weniger als ein Prozent der irakischen Bevölkerung.