Vatikanstadt - Sonntag, 15. November 2015, 9:21 Uhr.
Mit einer Rede, die Literatur und Theologie mit der Flüchtlingskrise verknüpft, hat Papst Franziskus auf die anhaltende Relevanz der beiden klugen Köpfe verwiesen, die einen großen Einfluss auf sein eigenes Denken gehabt haben: Romano Guardini, ein führender Theologe des 20. Jahrhunderts, und Fjodor Dostojewski, der berühmte Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.
"Ich bin überzeugt, daß Guardini ein Denker ist, der auch den Menschen unserer Zeit viel zu sagen hat, und das nicht nur Christen", sagte der Papst am 13. November vor Mitgliedern der Romano-Guardini-Stiftung. Diese feierten den 130. Geburtstag ihres Namensstifters im Clementina-Saal des Vatikans. Die Stiftung, so Franziskus, bringe Guardinis Denken ins Gespräch mit den Sphären der Politik, Kultur und Wissenschaft von heute.
Guardini war Priester, Theologe und Religionsphilosoph. Er gehörte zu den führenden Köpfen der Liturgischen Bewegung und übte Einfluß auf das Zweite Vatikanische Konzil aus, ebenso wie auf den heiligen Papst Johannes Paul II sowie vor allem Papst Benedikt XVI.
Guardini hatte jedoch auch großen Einfluss auf Franziskus, der ihn fünf Mal in seiner Enzyklika Laudato si zitiert, und je einmal in Lumen fidei und Evangelii Gaudium. Auch in Reden und Interviews zitiert er ihn immer wieder – und ähnlich sieht es mit Fjodor Dostojewski aus: Auch auf ihn beruft sich der Papst in Lumen Fidei und mehreren Interviews.
Kein Wunder also, dass Franziskus in seiner Rede am vergangenen Freitag auf Guardinis Buch über die religiöse Welt von Dostojewski zu sprechen kam, das 1933 publizierte Werk “Der Mensch und der Glaube. Versuch über die religiöse Existenz in Dostojewskis großen Romanen”.
Franziskus erinnerte daran, dass Guardini in diesem Buch eine Stelle in Dostojewskis “Die Brüder Karamasow” über die Barmherzigkeit, in der eine Frau sich von dem älteren Mönch Sossima geistlich begleiten läßt. Der Papst sagte, dass dieser Priester der Frau einen Ausweg aus ihrer Verzweilfung gibt: "Ihr Leben hat einen Sinn, weil Gott sie im Moment der Reue empfangen wird”, so Franziskus wörtlich. Er zitierte die Worte des Starez Sossima an die Frau:
“Fürchte dich vor nichts und fürchte dich niemals, beunruhige dich nicht! Wenn die Reue in deinem Herzen nicht schwächer wird, so wird Gott dir verzeihen. Auf der ganzen Erde ist keine Sünde, die Gott einem, der aufrichtig bereut, nicht vergibt. Der Mensch kann auch gar keine so große Sünde begehen, daß die unendliche Liebe Gottes durch sie erschöpft würde. Oder kann es eine so große Sünde geben, daß sie über Gottes Liebe hinausgeht? Sorge nur, daß du bereust, ohne Unterlaß. Und vertreibe die Furcht! Glaube, daß Gott dich unausdenkbar liebt, trotz deiner Sünde und in deiner Sünde.”
Diese Passage kommentierte Franziskus wie folgt: "In der Beichte bekehrt sich die Frau und erhält neue Hoffnung. Die einfachsten Menschen verstehen, worum es da geht. Sie nehmen die Größe wahr, die aus der Weisheit [des Priestermönchs] leuchtet, und aus der Kraft seiner Liebe. Sie verstehen, was Heiligkeit bedeutet, das heißt, ein Leben im Glauben, das in der Lage ist zu sehen, dass Gott den Menschen nahe ist, dass er ihr Leben in seinen Händen hält.”
Darauf habe auch Guardini in seinem Werk über Dostojewski abgezielt: Wer in Einfachheit seine Existenz in der Hand Gottes akzeptiere, verwandle seinen persönlichen Willen in den Willen Gottes; und auf diese Weise, ohne dass das Geschöpf aufhöre, Geschöpf zu sein und Gott wahrlich Gott, werde ihre lebendige Einheit herbeigeführt.
Dies sei die tiefgreifende Vision von Guardini, so Papst Franziskus.
"Für Guardini besteht diese lebendige Einheit mit Gott in der konkreten Beziehung des Menschen mit der Welt und mit anderen um sie herum”, sagte Franziskus. “Der Einzelne fühlt sich als ein Teil eines Volkes, das heißt, in einer ursprünglichen Einheit von Menschen, die nach Art, Nation und historischer Entwicklung im Leben und in Schicksalen ein einmaliges Ganzes darstellen”, paraphrasierte Franziskus sein deutsches Vorbild.
Für Guardini, so Franziskus erwähnt, sei ein Volk nicht als Gesellschaft im individualistischen Sinne der Aufklärung zu verstehen, mit seinem eingeengten Rationalismus, sondern vielmehr als ein "Kompendium dessen, was im Menschen echt ist, tiefgreifend und gehaltvoll", so Franziskus wörtlich. Dies führe zur Erfahrung von Gottes Willen nicht in der Isolation, sondern in einer Gemeinschaft.
"Vielleicht können wir Guardini Überlegungen auf unsere Zeit übertragen, und versuchen, die Hand Gottes in aktuellen Ereignissen zu entdecken", sagte der Papst.
"Auf diese Weise werden wir vielleicht zu erkennen in der Lage sein, dass Gott in seiner Weisheit uns, im reichen Europa, die Hungrigen zur Speisung geschickt hat, die Durstigen zum Stillen ihres Durstes, den Fremden zur Begrüßung, und den Nackten, um ihn zu bekleiden. Die Geschichte zeigt dann folgendes: Wenn wir ein Volk sind, werden wir sicherlich diese Menschen als unsere Brüder begrüßen; wenn wir nur eine Gruppe von Individualisten sind, werden wir nur versucht sein, unsere eigene Haut zu retten, aber wir werden keine Kontinuität haben”, so der Papst.
Franziskus beendete seine Rede mit einem Dank für die Arbeit der Guardini-Gesellschaft und den Worten: "Von Herzen segne ich Sie, und ich bitte Sie, bitte beten Sie für mich."