29. Mai 2025
Die Menschen leben heute in einer Zeit der Unsicherheit: Atomwaffen bedrohen den Frieden, Kriege werden zunehmend von Maschinen geführt, der Weltraum wird zum nächsten strategischen Schauplatz. Gleichzeitig hungern Millionen – und gigantische Summen fließen in Rüstung statt in Hilfe.
Inmitten all dieser Entwicklungen erhebt die Kirche ihre Stimme für Abrüstung, für Menschenwürde, für Gerechtigkeit und Frieden. Papst Franziskus sprach von einer „Logik der Begegnung“ – doch was heißt das konkret?
Christian Peschken (EWTN) sprach mit dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN Genf, Erzbischof Ettore Balestrero, über die moralische Kraft der Kirche im Atomzeitalter, über künstliche Intelligenz und Krieg und darüber, wie Militärbudgets Leben retten könnten. Auch weitere Themen kommen zur Sprache.
Papst Franziskus bezeichnete bereits den bloßen Besitz von Atomwaffen als unmoralisch. Wie bringt der Heilige Stuhl diese klare moralische Haltung mit der Realität in Einklang, dass viele Staaten Atomwaffen weiterhin als unverzichtbar für ihre Sicherheit ansehen? Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn die Kirche eine prophetische Stimme erhebt?
Ich meine, ganz ehrlich – ich glaube, es ist schwierig, die beiden Positionen miteinander in Einklang zu bringen, und dass es hier eine tiefgreifende Divergenz gibt. Was ich betonen möchte, ist, dass die Sichtweise des Heiligen Stuhls weder unrealistisch noch, sagen wir, übermäßig idealistisch ist. Der Grundpfeiler und das entscheidende Kriterium der Vision der Kirche sind die Würde des menschlichen Lebens und das Streben nach Frieden.
Wenn der Heilige Stuhl also schon den bloßen Besitz solcher Waffen verurteilt, dann fordert er die Nationen auf, anzuerkennen, dass wahre Sicherheit nicht durch Abschreckung auf der Grundlage der Drohung gegenseitiger Vernichtung erreicht werden kann. Sicherheit kann vielmehr durch Dialog, durch Vertrauen und durch Brüderlichkeit erreicht werden.
Tatsächlich, wenn wir darüber nachdenken, was Abschreckung eigentlich bedeutet – sie ist nur dann wirksam, wenn es eine echte Bereitschaft gibt, Atomwaffen einzusetzen. Aber der Einsatz von Atomwaffen führt zwangsläufig zu Vergeltung und einer Eskalation beim Einsatz solcher Bomben. Und diese Eskalation kann zur Zerstörung ganzer Länder und Bevölkerungen führen, die mit dem Konflikt gar nichts zu tun haben. Hunderttausende oder sogar Millionen unschuldiger Menschen würden getötet und ins Verderben gestürzt. Und all das widerspricht der menschlichen Würde.
Je mehr Atomwaffen produziert werden und je größer deren Anzahl und Zerstörungskraft ist, desto höher ist das Risiko, dass sie tatsächlich eingesetzt werden – sei es durch eine bewusste Entscheidung oder schlicht durch einen fatalen Fehler seitens derer, die sie besitzen. Es gibt Bücher, die Ereignisse schildern, die der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind, die sich aber tatsächlich zugetragen haben, bei denen die Menschheit aufgrund von Fehlern in den Systemen zur Steuerung dieser Waffen am Rande eines Atomkriegs stand.
Das alles müssen wir uns vor Augen halten. Und wir müssen uns auch der enormen Ressourcen bewusst sein, die für Atomwaffen und ihre Infrastruktur verschwendet werden. Dieser gewaltige Reichtum könnte dazu beitragen, Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien.
Das ist also die Position und das sind die – sehr realistischen – Grundlagen der Haltung des Heiligen Stuhls. Natürlich versteht der Heilige Stuhl gleichzeitig die komplexen, besonders heute sehr komplexen geopolitischen Realitäten, die Staaten manchmal dazu bringen, nukleare Aufrüstung als notwendig zu betrachten.
In diesem Kontext prophetisch zu sprechen bedeutet daher nicht nur, die moralische Gefahr von Atomwaffen anzuprangern, sondern auch, Staaten mit Atomwaffen zu konkreten Schritten in Richtung Abrüstung zu ermutigen. Aber diese Abrüstung muss allgemein sein, sie muss ausgewogen und kontrolliert verlaufen. Das würde eine globale Ethik der Verantwortung fördern – und in dem Maß, wie alle Atomwaffenbesitzer einbezogen werden, würde dies auch den anderen das nötige Vertrauen geben, dass diese Waffen wirklich von allen abgebaut werden.
Der Heilige Stuhl warnt vor tödlichen autonomen Waffensystemen und betont, dass keine Maschine jemals über Leben und Tod eines Menschen entscheiden dürfe. Wie lässt sich aus katholisch-moralischer Sicht die Würde des Menschen in einer Zeit verteidigen, in der Krieg zunehmend automatisiert, distanziert und unpersönlich wird?“
Wir verteidigen die menschliche Würde, wenn wir betonen, dass menschliches Leben niemals auf eine algorithmische Berechnung oder ein von künstlicher Intelligenz identifiziertes Ziel reduziert werden darf. Deshalb lehnt der Heilige Stuhl, die Kirche, tödliche autonome Waffensysteme ab, weil sie davon überzeugt ist, dass die moralische Verantwortung – insbesondere bei Entscheidungen über Leben und Tod – stets beim Menschen liegen muss, geleitet vom Gewissen, von ethischen Prinzipien und im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht.
Als Katholiken sehen wir die Schöpfung als Geschenk, das uns zur treuhänderischen Sorge anvertraut ist. Sie bezeichnen den Weltraum als ein „Gemeingut“ der Menschheit. Welche spirituelle und ethische Verantwortung haben wir, damit der Himmel nicht zum nächsten Kriegsschauplatz wird?
Wenn wir in die Bibel schauen, dann heißt es dort: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Der Himmel wurde also von Gott erschaffen. Er wurde der Menschheit anvertraut, damit er dazu dient, Gott zu dienen und einander zu dienen – nicht damit die Starken sich mit allen Mitteln dauerhaft gegenüber den Schwachen durchsetzen oder sie gar aus wirtschaftlichen Gründen noch weiter ausbeuten.
Was eindeutig ist: Das ist die Botschaft der Bibel. Und ebenso eindeutig ist, dass der Weltraum die neue Grenze ist, die die Menschheit zu erschließen beginnt – mit wachsendem Wettbewerb im sogenannten äußeren Weltraum, sei es zu kommerziellen, industriellen oder auch militärischen Zwecken.
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Deshalb ist es umso wichtiger, den Weltraum als ein globales Gemeingut zu bewahren, das ausschließlich zu friedlichen Zwecken genutzt werden soll. Wir sind eine Familie, eine Menschheitsfamilie. Wir teilen uns einen gemeinsamen Raum – mit all den Wundern und Verwundbarkeiten, die diese Realität mit sich bringt.
In diesem Sinne denke ich, dass es einer Anerkennung bedarf, dass der Weltraum Teil von Gottes Geschenk an die Menschheit ist – ein Gemeingut – und dass er nur für friedliche und konstruktive Zwecke genutzt werden darf. Nicht zur Militarisierung, nicht für Konflikte und nicht zur Ausbeutung.
Letztlich ergibt sich die ethische Verantwortung, den Weltraum davor zu bewahren, ein weiteres Schlachtfeld zu werden, aus unserem umfassenderen Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Würde aller Menschen und Völker. Und genau das müssen wir berücksichtigen, um den Weltraum zu schützen.
Während Millionen hungern, fließen jährlich Milliarden in Rüstung. Papst Franziskus forderte, wenigstens einen Bruchteil davon für nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung zu nutzen. Warum fällt es der Staatengemeinschaft so schwer, dieser moralisch klaren Forderung zu folgen? Fehlt es am Willen oder am Mut?
Ja, genau. Der Vorschlag von Papst Franziskus wird in der internationalen Arena oft aufgegriffen, und es wächst die Erkenntnis, dass dauerhafter Frieden untrennbar mit menschlicher Entwicklung verbunden ist. Wenn der Papst dazu aufruft, auch nur einen Bruchteil der Rüstungsausgaben für die Beseitigung des Hungers umzulenken, wird das nicht bloß als ethischer Appell verstanden, sondern als pragmatische Strategie für globale Sicherheit. Gerade in Staaten, die unter den Folgen von Konflikten, Migration oder Umweltzerstörung leiden, wächst der Ruf nach Investitionen in Entwicklung, um Instabilität vorzubeugen. Wie Papst Paul VI. sagte: Entwicklung ist der neue Name für Frieden.
In Ihrer Botschaft an die Vereinten Nationen rufen Sie dazu auf, die Logik der Konfrontation zu überwinden und die Logik der Begegnung zu leben. In einer Welt voller Spaltung und Gewalt: Wie können wir als gläubige Christen diesem Ruf Jesu im Alltag folgen und so zu glaubwürdigen Zeugen des Friedens werden?
Die Logik der Begegnung zu leben beginnt damit, anzuerkennen, dass Frieden nicht einfach die Abwesenheit von Krieg ist, sondern vielmehr die Präsenz von Gerechtigkeit, von Dialog und menschlicher Geschwisterlichkeit. Und all das schließt gemeinsamen Wohlstand mit ein. Wir sind also aufgerufen, in unserem Alltag Friedensstifter zu sein – indem wir einen Geist des Zuhörens, der Empathie und der Versöhnung fördern, sei es in unseren Familien, an unseren Arbeitsplätzen oder in unseren Gemeinschaften.
Das bedeutet auch, der Versuchung zu widerstehen, jene zu entmenschlichen, mit denen wir nicht übereinstimmen, Beziehungen zu pflegen, die politische und ideologische Gräben überwinden, und eine Kultur zu fördern, in der die Würde jedes einzelnen Menschen geachtet wird.
Natürlich ist das wesentlich – aber es reicht nicht, es nur zu glauben. Wir müssen es auch bezeugen. Deshalb sind wir aufgerufen, mutig darin zu sein. Führungspersönlichkeiten sollten Diplomatie über Konflikt stellen. Und gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, im Alltag Zeugnis für die Logik der Begegnung abzulegen – indem sie Spaltungen heilen und Brücken bauen über all die Unterschiede hinweg, die in unseren Leben und Gesellschaften unvermeidlich bestehen.
Original-Interview aufgenommen in Genf von Alex Mur | Teamleitung Genf: Laetitia Rodrigues | Produktionsleitung: Patricia Peschken | Sprecher: Jan Terstiege | Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.