Redaktion - Sonntag, 16. November 2025, 8:00 Uhr.
Mit „Am Ende wartet Gott“ legt Pater Engelbert Recktenwald (FSSP) ein neues philosophisches Buch vor, das die Frage nach Wahrheit, Moral und Vernunft radikal zu Ende denkt. Der Schüler Robert Spaemanns und Mitgründer der Priesterbruderschaft St. Petrus zeigt, warum Denken, das ehrlich zu Ende geführt wird, nicht im Zweifel endet, sondern bei Gott.
Im Gespräch mit CNA Deutsch erklärte er, warum der Atheismus in die moralische Sackgasse führt, wie das Christentum die eigentliche Vollendung der Aufklärung ist, und was geschieht, wenn eine Kultur Gott aus ihrem Denken verbannt.
Warum führt Ihrer Meinung nach konsequentes Denken notwendig zu Gott und nicht etwa in den Agnostizismus?
Es kommt immer darauf an, woraus man die Konsequenzen zieht. Am Beispiel mehrerer Denker wie z. B. Nietzsche zeige ich, wie ein konsequenter Atheismus zur Zerstörung der Moral führt. Moralische Werte und Normen werden als menschliche Erfindungen oder auch als Produkt der Evolution interpretiert.
Der berühmte Biologe E. O. Wilson hält Moral für eine Illusion, die uns von unseren Genen vorgegaukelt wird. Trotzdem halten wir zum Beispiel an unserem Urteil fest, dass es böse sei, die eigene Mutter aus Habgier zu töten. Niemand von uns hält im Ernst heimtückischen Mord und liebevolle Rücksichtnahme für moralisch gleichwertig. Aber das müssten wir, wenn die atheistischen Moral-Entlarver Recht hätten. Der Atheismus reißt die Brücke ein zwischen dem, was ich theoretisch denke, und dem, was ich existentiell lebe.
Im existenziellen Lebensvollzug kann ich von der Moral nicht abstrahieren. Das bedeutet umgekehrt: Wenn ich das, was ich im Gewissen erfahre, konsequent bedenke, lande ich bei Gott. Er ist die Brücke, die mein theoretisches Weltbild mit dem verbindet, was mich existentiell trägt. In meinem Buch zeige ich, wie diese Entdeckung zum Beispiel Hugo Ball, den Gründer des Dadaismus, zum Glauben an Gott zurückführte.
Ihr Lehrer Robert Spaemann verband Philosophie und Glauben auf einzigartige Weise. Inwiefern prägt seine Denkweise Ihr eigenes Projekt?
Spaemann hat dieselbe Argumentationsfigur auf die Vernunft angewandt. Die Vernunft kann sich selbst als Vernunft nur dann verstehen und ernst nehmen, wenn sie mehr ist als das zufällige Produkt der Evolution, also mehr als die evolutionäre Anpassung an die Umwelt zum Zweck des Überlebens.
Vernunft, wie sie mir in der Erfahrung des eigenen Denkens begegnet, ist etwas Letztes und Unhintergehbares. Ich kann sie nicht in die Chemie des Gehirns auflösen. Spaemann hat den unauflösbaren Zusammenhang zwischen dem Gottesglauben und der theoretischen Vernunft mittels des Wahrheitsbegriffs herausgearbeitet. Ich lege den Schwerpunkt auf die praktische Vernunft.
Sie treten mit Ihrer Streitschrift bewusst in eine säkulare Debattenlandschaft. Was entgegnen Sie Philosophen, die Religion als irrationalen Restposten betrachten?
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Religion ist ja tatsächlich in vielen ihrer Formen irrational, denken wir nur an das Schamanentum oder an den antiken Götterglauben. Die Aufklärung verstand sich als Überwindung des Aberglaubens durch die Vernunft. Das leistete in der Antike bereits die griechische Philosophie in Bezug auf den Götterglauben.
Der Clou des Christentums dagegen besteht in der Tatsache, dass es an die Philosophie anschlussfähig war und dadurch selbst zur Aufklärung wurde, oder um es mit Ratzinger umgekehrt zu formulieren: „Im Christentum ist Aufklärung Religion geworden und nicht mehr ihr Gegenspieler.“
Die protestantische Kritik an der sogenannten Hellenisierung des Christentums war nur möglich, weil in der protestantischen Theologie Religion und Vernunft wieder auseinandergerissen wurden, beginnend mit Schleiermacher, der Religion zur Gefühlssache erklärte. Auf katholischer Seite war es dann hundert Jahre später der Modernismus, der die Religion in die subjektive Innerlichkeit verbannte. Religion wird dann zur Geschmacksfrage: Der eine ist dann eben religiös unmusikalisch, wie Max Weber es ausdrückte, der andere nicht.
Mein Buch ist weniger eine Streitschrift als vielmehr eine für jeden nachvollziehbare Besinnung auf die Kraft der Vernunft, die uns bis zu einem Punkt hinführt, wo wir vernünftigerweise bereit sind, uns von einer höheren, göttlichen Vernunft abholen und weiterführen zu lassen. Dass wir im Lichte der christlichen Offenbarung das, was wir zuvor mit unserer natürlichen Vernunft erkannt haben, nun noch viel besser verstehen, ist der Lackmustest für ihre Echtheit. Christlich glauben bedeutet keinen Bruch mit der Vernunft, sondern ihre übernatürliche Vollendung.
Wenn Denken zu Gott führt – was sagt das über eine Kultur aus, die Gott aus dem Denken verbannt hat?
Mit Gott verliert eine Kultur ihren Bezugspunkt, der alles zusammenhält. Es kommt zur Fragmentierung der Kultur, der Bildung, des Wissens, und das wiederum führt zu konkurrierenden Totalitätsansprüchen: Der Biologe erklärt alles biologisch, der Psychologe alles psychologisch, der Soziologe alles soziologisch.
Entsprechend verschieden fällt dann das Selbstverständnis des Menschen aus, und der Einzelne switcht zwischen Rollen hin und her, denen ein je ganz verschiedenes Selbstbild zugrundeliegt. So wird er manipulierbar und die Politik zu einem ideologischen Schlachtfeld, wo die Vernunft auf verlorenem Posten steht.
Während zum Beispiel im akademischen Vorlesungssaal die Moral aus kühler Distanz relativiert wird, werden in der politischen Arena einzelne Positionen moralisch so absolutistisch aufgeladen, dass die Entrüstung über abweichende Positionen größer ist als die über die Ermordung ihres Vertreters. Das Problem ist weniger die Koexistenz verschiedener kultureller Milieus als solche als vielmehr die Ohnmacht der Vernunft, zwischen ihnen Brücken der Verständigung zu schlagen. Aus der Unantastbarkeit der Würde des Menschen wird die Unantastbarkeit der eigenen Meinung. Die Mikroaggression gegen diese wird für frevelhafter gehalten als die Makroaggression gegen jene.
Gott ist die Bedingung der Möglichkeit absoluter Maßstäbe, wie ich zum Beispiel im Anschluss an Viktor Frankl zeige. Wird Gott geleugnet, gibt es immer Menschen, die sich an seine Stelle setzen, indem sie ihre eigenen Ideen absolut setzen und sich das Recht anmaßen, gegen Kritiker Gewalt anzuwenden. Der Jubel über Charlie Kirks Ermordung hat erschreckend gezeigt, welches Ausmaß diese Vermessenheit bereits angenommen hat.





