14. Dezember 2025
Christen in Nigeria erleben eine Mischung aus beeindruckender Glaubensstärke und schweren Herausforderungen. Während das Land eine der am schnellsten wachsenden christlichen Gemeinschaften der Welt beherbergt – geprägt von lebendiger Liturgie, starken Berufungen und einer engagierten Jugend – steht diese Vitalität im Kontrast zu anhaltender Unsicherheit. In mehreren Regionen sind Christen Angriffen extremistischer Gruppen, bewaffneten Banden und häufigen Entführungen ausgesetzt. Doch trotz dieser Härten bleiben die Gemeinden erstaunlich widerstandsfähig: Kirchen sind voll, Hilfswerke arbeiten weiter, und katholische Einrichtungen prägen Bildung, Gesundheit und Versöhnung.
Eine Stimme, die diese Realität besonders klar einordnet, ist gebürtiger Nigerianer und heute US-Staatsbürger. Als Priester, Theologe, Professor und Gründer von Gratia Vobis Ministries verbindet er durch seine Medien- und Lehrtätigkeit unterschiedliche Kulturen und Kirchenerfahrungen. In diesem Gespräch mit Christian Peschken (EWTN) spricht Maurice Emelu über die Hoffnungen und Sorgen der Christen in Nigeria, über Glauben inmitten von Unsicherheit und über die Bedeutung der Evangelisierung im digitalen Zeitalter.
Viele Beobachter sagen, die nigerianische Kirche sei gleichzeitig „verfolgt und blühend“. Wie deuten Sie dieses Paradox aus Ihrer pastoralen Erfahrung heraus im Licht der katholischen Lehre über das erlösende Leiden und die Hoffnung?
Es stimmt. Nigeria ist eines der wenigen Länder, in denen Kreuz und Auferstehung im Alltag Seite an Seite zu stehen scheinen. Das Leiden hat hier ein Gesicht. Im Norden Nigerias geschehen Gewalt und Tötungen mit einer derart erschreckenden Häufigkeit, dass man das Gefühl hat, es könne nicht real sein. Ich spreche mit Menschen, die in diesen Gemeinden leben. Sie sagen mir, dass viele Tötungen gar nicht in den Medien berichtet werden. Der Schmerz ist schlichtweg unerträglich. Das Leiden ist tief gefühlt und vielschichtig.
Doch ebenso ist die Hoffnung spürbar – und oft sogar heller. Diese Gläubigen gehen buchstäblich mutig zur Kirche und führen ihr geistliches Leben und ihre Andachten fort, selbst wenn sie dabei feurigen Kugeln trotzen. Sie sind wahre Helden und Zeugen des gekreuzigten Herrn. Eines habe ich gelernt: In Nigeria wächst der Glaube genau dort, wo das Leben versucht, ihn zu brechen. Das ist das Paradox.
Die katholische Lehre vom erlösenden Leiden hilft mir, dies einzuordnen. Unsere Menschen romantisieren den Schmerz nicht; sie entdecken Christus inmitten dieses Schmerzes. Dieses Leiden ist vermeidbar; die nigerianische Regierung muss endlich entschlossen dagegen vorgehen.
Die Kirche blüht nicht, weil unsere Herausforderungen klein wären, sondern weil die Gnade hartnäckig ist. Gnade hat die Fähigkeit, auf kargem Boden aufzublühen.
Priester und Ordensleute in Nigeria stehen unter enormem pastoralen Druck – einschließlich Sicherheitsrisiken und sehr großen Pfarreien. Welche spirituellen und praktischen Tugenden sind heute am wichtigsten, und wie kann die Weltkirche sie besser unterstützen?
In der gegenwärtigen Situation sind vier Tugenden entscheidend: innere Resilienz, demütige Präsenz, kompromisslose Integrität und ansteckende Liebe. Priester und Ordensleute in Nigeria dienen nach schlaflosen Nächten, unter Bedrohungen und mit sehr wenigen Ressourcen.
Ich kehre immer wieder zu dieser Wahrheit zurück: Ein nigerianischer Priester muss lernen, im Sturm zu stehen und dennoch Frieden zu sprechen. Ein solcher Mut angesichts lodernder Bedrohungen muss in tiefer innerer Resilienz verwurzelt sein – einer Resilienz, die im unerschütterlichen Vertrauen auf Gott gründet, dessen Worte uns durch den Mund Hiobs zugesprochen werden: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Ijob 19,25).
Integrität ist besonders entscheidend. Einige von uns – mich eingeschlossen – sind mit schmerzhaften Stereotypen konfrontiert worden, sogar innerhalb der Kirche. Wenn von Nigeria gesprochen wird, geschieht dies oft mit einem schweren Ballast an negativen Annahmen, die dazu führen, dass Menschen, die helfen könnten, zögern. Doch ich kenne zahllose Priester, Ordensleute und Laien, die hart arbeiten, vieles aus dem Nichts aufbauen und treu und aufrichtig leben. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich trotz nachgewiesener Glaubwürdigkeit ständig wieder von Neuem beweisen musste, dass ich vertrauenswürdig bin – nur weil ich Nigerianer bin.
Wenn schreckliche Dinge in Nigeria geschehen, wie die anhaltenden Massaker, wollen viele sich nicht einbringen, weil es „nur Nigeria“ sei. Ich appelliere an das Gewissen der Weltgemeinschaft, dies anders zu sehen.
Für Priester, Ordensleute und missionarische Führungskräfte – besonders im Norden Nigerias, wo die Gewalt am heftigsten ist – gilt: Lebt weiterhin Integrität in Wort und Tat. Integrität des Verhaltens spricht lauter als jede Predigt. Nichts stellt das Herz eines gewalttätigen Terroristen stärker in Frage als ein Leben, das das genaue Gegenteil seines blutigen Handelns verkörpert.
Damit verbunden ist die ansteckende Liebe. Der Herr selbst spricht darüber: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,44). Glauben Sie mir, das ist schwer – sehr schwer. Wie kann ich jemanden lieben, der meinen Eltern, meinen Verwandten oder Freunden das Leben nahm? Oder jemanden, der unsere Kinder entführte oder unser Dorf überfiel und unsere verwundbarsten Menschen wie Gras niedermähte? Es ist sehr schwer. Doch Gott schenkt die Gnade dazu – nicht nur für die anderen, sondern für unsere eigene Heilung und die verwandelnde Kraft des Evangeliums.
Viele sagen mir: „Hochwürden, niemals. Es ist Zeit, selbst zu den Waffen zu greifen und uns zu verteidigen.“ Ja, natürlich müssen wir uns verteidigen. Staatliches Eingreifen und internationale Unterstützung sind dringend nötig, um diese grausamen Taten zu beenden. Doch wir dürfen nicht das werden, was wir bekämpfen. Wir dürfen nicht hassen wie sie oder Vergeltung suchen wie sie.
Auch Transparenz und Demut sind entscheidend. Transparenz im Leben und im Dienst lässt die Menschen Gott durch uns erkennen. Demut erlaubt uns, Hilfe anzunehmen, wenn wir sie brauchen – und zu erkennen, dass wir sie tatsächlich brauchen. Niemand sollte schweigend leiden, wenn er sagen kann: „Hilf mir.“
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Auch Nigeria braucht diese Demut – besonders die Regierung. Man kann nicht zu Goge, Ogene oder Bàtá (traditionelle Tänze der Hausa, Igbo und Yoruba) tanzen, während das Haus brennt. Man kann keine Zeit damit verschwenden, darüber zu debattieren, wer was gesagt hat, während die Menschen massakriert werden. Man muss handeln.
Die Weltkirche kann unterstützen durch geistliche Begleitung, Weiterbildung, mentale Gesundheitsunterstützung, ihre Stimme – und durch die Gnade der einfachen Anerkennung. Oft ist die größte Unterstützung, wirklich gesehen zu werden für die Opfer, die man bringt.
Die nigerianische Kirche braucht außerdem finanzielle Hilfe zum Wiederaufbau zerstörter Häuser, Kirchen und Schulen. Meine Organisation Gratia Vobis Ministries trägt dazu bei – ebenso wie viele andere, etwa Catholic Charities und zahlreiche NGOs. Doch wir brauchen noch viel mehr helfende Hände.
Junge Nigerianer sind ein lebendiger Teil der Kirche, stehen aber unter enormem wirtschaftlichem Druck, erleben Migrationsstress und kulturelle Spannungen. Wie kann die Kirche sie so formen, dass sie in Christus verwurzelt bleiben und gleichzeitig soziale Realitäten navigieren können?
Junge Nigerianer sind brillant und viele von ihnen tief gläubig, aber sie sind durch die Anforderungen des Überlebens stark beansprucht. Die Kirche muss zu ihrer Seele und zu ihrer Realität sprechen. Die Bischofskonferenz Nigerias tut dies bereits – ebenso viele andere kirchliche Leiter. Wir müssen damit fortfahren. Und wir müssen ihnen so gut wir können Wege eröffnen, sich auf eine bessere Zukunft vorzubereiten. Die Probleme sind gewaltig, aber wir können sie Schritt für Schritt angehen, damit wir nicht überwältigt werden.
Unsere erste Aufgabe ist es, sie in Christus zu verankern: Ein junger Mensch, der in Christus verwurzelt ist, kann stehen, selbst wenn die Welt um ihn herum erschüttert wird.
Dann müssen wir Gewissen, Vorstellungskraft und kritische Medienkompetenz bilden – besonders in einer digitalen Welt voller Abkürzungen. Dazu gehört ethische Bildung im Umgang mit KI und digitalen Technologien. Ich sehe viel Gewalt und spaltende Rhetorik im nigerianischen Jugend-Social-Media-Bereich. Der Heilige Vater, Papst Leo XIV., hat KI und digitale Technologie zu einem Schwerpunkt erklärt. Wir müssen vom Papst und der Katholischen Soziallehre lernen und die Jugend gut formen. Der Papst lädt die Welt dazu ein, über ethikbasierte Formung nachzudenken, nicht nur über Regeln.
Wenn Menschen gut geformt sind, handeln sie ethischer. Und wir müssen ihnen reale Wege bieten: Fähigkeiten, Mentoring, digitale Kompetenz, Unternehmertum. Hoffnung wird glaubwürdig, wenn die Kirche nicht nur mit den jungen Menschen betet, sondern mit ihnen an einer Zukunft baut.
In Regionen, in denen Gewalt oder Extremismus die interreligiösen Beziehungen belasten: Welche Rolle können Eucharistie, Marienfrömmigkeit und der Ruf zur Vergebung spielen, um Frieden zu schaffen, ohne die Wahrheit zu verwässern?
Zunächst möchte ich ein Missverständnis korrigieren. Im Norden Nigerias, wo diese Gewalt geschieht, sind zwar Christen oft die Zielscheibe dieser Terroristen, doch es gibt viele Muslime dort, die diese Gewalt nicht unterstützen. Es findet bereits viel interreligiöse Zusammenarbeit statt, und ich hoffe, dass dies so bleibt. Nun zur Frage.
Die Eucharistie, die Marienverehrung und die Vergebung sind keine „weichen“ Tugenden; sie sind transformierende Kräfte. Die Eucharistie lehrt uns, dass Gemeinschaft stärker ist als Konflikt. Die selige Jungfrau Maria zeigt uns, wie man am Fuß des Kreuzes stehen kann, ohne Hass in sich wachsen zu lassen.
Vergebung ist keine Kapitulation; sie ist geistlicher Mut. Ich habe kleine Gesten gesehen – zum Beispiel jemandem nach einem Konflikt das Handy zu reparieren –, die zu Momenten der Gnade wurden. Vergebung schützt das Herz, während Wahrheit die Stimme leitet. Friede entsteht nicht dadurch, dass man die Wahrheit vermeidet, sondern dass man sie in Liebe ausspricht.
Die Kirche Nigerias wird oft als „missionarische Kraftquelle“ beschrieben. Wie sehen Sie das Wirken des Heiligen Geistes in den Erfahrungen der nigerianischen Kirche – in ihrem Leiden, ihrer Freude und ihrem missionarischen Eifer – zum Nutzen der Weltkirche?
Meiner Meinung nach schenkt Nigeria der Welt drei einzigartige Gaben: unser Leiden, unsere Freude und unseren missionarischen Eifer.
Unser Leiden lehrt Ausdauer, unsere Freude inspiriert Hoffnung, und unser missionarischer Eifer entzündet den Glauben neu – überall dort, wo er hinkommt. Man sieht dies in den Tausenden nigerianischen Priestern weltweit, die oft ganze Pfarreien wiederbeleben. Und man sieht es in unserem Umgang mit den Armen. Während unseres Heilig-Jahr-Events, als den materiell Armen gesagt wurde: „Diese geschmückten Tische sind für euch“, weinten viele. Dies erinnerte mich daran: Das Evangelium beginnt dort, wo Würde wiederhergestellt wird.
Nigerias Zeugnis ist einfach: Hoffnung ist keine Idee. Sie ist etwas, das man berühren kann – in einer Mahlzeit, einer Geste, einem Wort.
Können Sie einen Moment aus Ihrem priesterlichen Dienst teilen, in dem die Resilienz der nigerianischen Gläubigen Ihre eigene Spiritualität tief geprägt hat?
Es gibt viele solcher Momente. Lassen Sie mich zwei der jüngsten nennen. Während des Heilig-Jahr-Events von Gratia Vobis Ministries weinten die 5000 Ärmsten der Armen, als man ihnen sagte, sie seien die wichtigen Personen. Dieser Moment berührte mich tiefer als viele theologische Abhandlungen. Das Priestertum ist im Kern der Dienst, Menschen ihren Namen zurückzugeben.
Ich erinnere mich auch an einen jungen Erdnussverkäufer in Lagos, der tanzte und voller Freude war, obwohl das Leben ihm wenig gegeben hatte. Seine Hoffnung stellte mich in Frage. Ich sprach mit ihm, und die Freude, die er ausstrahlte, war etwas, das ich selten erlebe. Nigeria hat mich gelehrt, dass Heiligkeit sich oft im Alltäglichen verbirgt – wenn man Augen hat, sie zu sehen.
Diese Momente prägen meine Spiritualität weit mehr als Bücher. Die Resilienz unserer Menschen ist ein lebendiger Katechismus.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.




