Wuerl wusste bereits 2004 von Missbrauchsvorwürfen gegen McCarrick

Kardinal Donald Wuerl
Michelle Baumann / CNA Deutsch

Eine Beschwerde wegen sexuellen Fehlverhaltens gegen Erzbischof Theodore McCarrick wurde im Jahr 2004 an Kardinal Donald Wuerl gemeldet – entgegen seiner Behauptung, erst 2018 von Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens durch McCarrick erfahren zu haben. Auch der Vatikan war offenbar informiert. Doch viele Fragen sind offen.

Das Bistum Pittsburgh teilte am gestrigen Donnerstag (Ortszeit) mit, dass Wuerl damals den Missbrauchsvorwurf dem Apostolischen Nuntius gemeldet habe.

Ein Sprecher der Erzdiözese Washington bestätigte gegenüber CNA, dass eine Beschwerde über McCarrick tatsächlich Wuerl vorgelegt wurde, als dieser Bischof von Pittsburgh war. Ein laisierter Priester, Robert Ciolek, erhob gegen McCarrick die Vorwürfe.

In einer Erklärung teilte das Bistum Pittsburgh mit, dass Ciolek im November 2004 vor einem diözesanen Prüfungsausschuss über seine Vorwürfe des Missbrauchs durch einen Priester des Bistums ausgesagt habe. Bei dieser Gelegenheit "sprach Herr Ciolek auch darüber, dass ihn der damalige Kardinal Theodore McCarrick missbrauchte", so das wörtliche Statement der Diözese. Es sei das erste Mal gewesen, dass das Bistum von diesem Vorwurf erfahren habe.

"Ein paar Tage informierte der damalige Bischof Donald Wuerl den Apostolischen Nuntius in den Vereinigten Staaten über den Missbrauchsvorwurf", so das Bistum in seiner Erklärung am gestrigen Donnerstag.

Damit hat zum ersten Mal eine kirchliche Stelle bestätigt, dass Wuerl von Vorwürfen gegen McCarrick wusste, bevor die Erzdiözese New York im Juni 2018 damit an die Öffentlichkeit ging – CNA Deutsch berichtete damals.

Die Nachricht wirft Fragen auf über die bisherigen öffentlichen Aussagen Wuerls: Dieser hat 2018 noch bestritten, auch nur von "Gerüchten" über seinen Vorgänger als Erzbischof von Washington gewusst zu haben.

80.000 Dollar für das Opfer

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Ed McFadden, Sprecher des Erzbistums Washington, sagte gegenüber CNA, dass Ciolek im Jahr 2004 "darum gebeten habe, seine Beschwerde gegen McCarrick an den [Apostolischen] Nuntius weiterzuleiten. Und das wurde sie auch."

"Wuerl hat die Akte und seine Beschwerde im Jahr 2004 an die Nuntiatur weitergeleitet."

Zum damaligen Zeitpunkt habe Ciolek um absolute Vertraulichkeit gebeten – "und dass sein Name nicht erwähnt wird."

Die Erklärung des Bistums Pittsburgh bestätigte zwar, dass Ciolek ursprünglich auf Vertraulichkeit bestanden habe. Doch vor kurzem habe er dem Bistum erlaubt, sich öffentlich zu diesem Fall zu äußern.

"Herr Ciolek bat darum, dass die Anschuldigung gegen den damaligen Kardinal McCarrick nur kirchlichen Autoritäten mitgeteilt werden", heißt es in der Erklärung.

"Im November 2018 gab Herr Ciolek der Diözese Pittsburgh die Erlaubnis, auf Presseanfragen zu dieser Angelegenheit zu antworten."

Die Diözese bestätigte, dass Ciolek kürzlich Pittsburgh besuchte, um Akten im Zusammenhang mit seiner Beschwerde zu überprüfen, und dass die Diözese darüber informiert war, dass er vorhatte, an die Presse zu gehen.

Ciolek hat sich im Jahr 2005 mit drei Bistümern in New Jersey im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs geeinigt; im Raum standen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen McCarrick und einen katholischen Lehrer. Dabei erhielt Ciolek rund 80.000 Dollar.

Die Diözese Pittsburgh betonte, sie sei erst im Juli 2018 darüber informiert worden. Auch die Erzdiözese Washington gab an, dass Wuerl von dem Vergleich damals nichts gewusst habe.

Die Details des Vergleichs zugunsten Cioleks gerieten erstmals im September 2018 an die Öffentlichkeit. Damals berichtete die "Washington Post", dass dieser außergerichtliceh Einigung auch Wuerl und die Diözese Pittsburgh erwähne.

"Rückenmassagen" im Strandhaus

Weder das Bistum Pittsburgh noch der Washingtoner Pressesprecher McFadden teilten mit, welche spezifischen Vorwürfe gegen McCarrick erhoben wurden. McFadden sagte jedoch, dass sie das Verhalten McCarricks in seinem Strandhaus in New Jersey beträfen. Dort soll der Erzbischof angeblich mit Seminaristen das Bett geteilt haben. Auch von "Rückenmassagen" sei die Rede.

In seiner Beschwerde gegen McCarrick gegenüber Wuerl habe Ciolek jedoch nicht von "direktem sexuellem Kontakt mit McCarrick" gesprochen.

Wenn Wuerl bereits 2004 eine formelle Beschwerde gegen McCarrick erhalten hat und diese der Apostolischen Nuntiatur in Washington überstellte, dann wirft dies schwerwiegende Fragen darüber auf, was Wuerl noch im Jahr 2018 öffentlich über McCarrick sagte.

So schrieb Wuerl in einem Brief vom 21. Juni 2018, dass er "schockiert und betrübt" sei über Vorwürfe gegen McCarrick.

Mehr noch: Im gleichen Brief bekräftigte Wuerl, dass "während seiner Zeit hier in Washington kein Vorwurf - glaubwürdig oder nicht - gegen Kardinal McCarrick erhoben wurde".

Die Darstellung des Erzbistums Washington

In einer am gestrigen 10. Januar (Ortszeit) veröffentlichten Stellungnahme teilt das Erzbistum Washington mit, "Kardinal Wuerl war bemüht, bei der Beantwortung von Fragen über Erzbischof McCarrick korrekt zu sein. Seine Aussagen bezogen sich früher auf Vorwürfe sexuellen Missbrauch eines Minderjährigen durch Erzbischof McCarrick, sowie über Gerüchte über ein solches Verhalten. Der Kardinal steht zu diesen Aussagen, deren Absicht es nicht war, ungenau zu sein."

"Kardinal Wuerl hat gesagt, dass bis zu dem Zeitpunkt, zu dem in New York der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen durch Kardinal McCarrick erhoben wurde, niemand aus diesem Erzbistum einen Missbrauchsvorwurf gegen Erzbischof McCarrick während seiner Zeit in Washington erhoben hat."

"Es ist wichtig zu beachten, dass Erzbischof Theodore McCarrick im November 2000 in die Erzdiözese Washington berufen und im Februar 2001 zum Kardinal ernannt wurde, Jahre bevor Herr Ciolek seine Beschwerde erhob. Bischof Wuerl war nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden, der zur Ernennung und Beförderung führte."

Der Rücktritt von Wuerl als Erzbischof von Washington wurde am 12. Oktober 2018 angenommen. Der Kardinal wurde von Papst Franziskus gleichzeitig zum Apostolischen Administrator ernannt, eine Art kommissarischer Leiter, bis ein Nachfolger ernannt wird.

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(Ein Nachfolger ist zur Stunde noch nicht ernannt worden.)

Kardinal Wuerl geriet in der zweiten Jahreshälfte 2018 massiv in Kritik, nachdem ein Bericht der Pennsylvania Grand Jury über klerikalen sexuellen Missbrauch Fragen aufwarf über seine Zeit als Bischof von Pittsburgh – wie CNA Deutsch berichtete.

Die jetzt bekannt gewordenen Tatsachen werfen weitere Fragen auf: Etwa darüber, wie McCarrick nach seinem Eintritt in den Ruhestand offenbar weiter uneingeschränkt als Seelsorger aktiv sein konnte.

Wann wurde der Vatikan informiert?

Im Juli 2018 teilte ein Priester namens Pater Boniface Ramsey der "New York Times" mit, dass er den Kirchenbehörden bereits im Jahr 2000 Bedenken über dessen Umgang mit Seminaristen meldete – damals wurde McCarrick zum Erzbischof von Washington ernannt.

Ramsey sagte, er habe den damaligen Apostolischen Nuntius, Erzbischof Gabriel Montalvo Higuera, schriftlich darüber informiert, dass es Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen McCarrick gab, wegen seines Umgangs mit Seminaristen in seinem Strandhaus. Ramsey gab ab, von Kurskollegen darüber informiert worden zu sein.

Der Nuntius habe auch versprochen, die schriftlichen Angaben an Rom weiterzuleiten, so Ramsey. Und dies sei offenbar auch geschehen: Ramsey veröffentlichte einen Brief des Staatssekretariats des Vatikans aus dem Jahr 2006, der von Kardinal Leonardo Sandri unterzeichnet wurde. Dieses offizielle Schreiben bestätigt seine Beschwerde des Jahres 2000 – zumindest ein Indiz dafür, dass Montalvo den Brief Ramseys mit Vorwürfen gegen McCarrick damals tatsächlich nach Rom geschickt hat.

Montalvo war noch im Amt, als Wuerl offenbar die Beschwerde von Ciolek im Jahr 2004 weiterleitete. Der Nuntius starb, plötzlich, im August 2006.

Der Washingtoner Pressesprecher McFadden sagte gegenüber CNA, dass Wuerl zwar bestätige, dass er die Beschwerde von Ciolek wie gewünscht an den Nuntius schickte. Doch weder er noch Wuerl wüssten, ob beziehungsweise welche weiteren Maßnahmen in dieser Angelegenheit ergriffen wurden.

"Soweit wir wissen, hat die Nuntiatur nie darauf reagiert, aber wir haben keine weiteren Informationen", so McFadden wörtlich.

Montalvos Nachfolger als Nuntius in Washington war Erzbischof Pietro Sambi. Wie CNA Deutsch bereits berichtete, wies Sambi im Jahr 2008 McCarrick auf ausdrückliche Anweisung von Papst Benedikt XVI. hin an, aus dem diözesanen Priesterseminar auszuziehen, in das er in seinem Ruhestand gezogen war - wie CNA Deutsch berichtete.

Vorwürfe Viganos erneut bestätigt?

Diese Anordnung und andere Sanktionen, die McCarrick während seiner Pensionierung auferlegt worden sein könnten, waren ein zentrales Element der Vorwürfe von Sambis eigenem Nachfolger, Erzbischof Carlo Maria Vigano.

In seinem inzwischen berühmten "Zeugnis", das im August letzten Jahres veröffentlicht wurde, bestand Vigano darauf, dass Wuerl sich der Beschränkungen bewusst war, die McCarrick während seines Ruhestands seit mehreren Jahren auferlegt wurden, und dass diese direkt dessen Umgang mit Seminaristen betrafen.

In einem späteren Schreiben sagte Vigano, dass es sich bei diesen Maßnahmen nicht um offiziell verhängte "Sanktionen" handelte, sondern um "Vorschriften", "Bedingungen" und Einschränkungen", die von Papst Benedikt nicht unbedingt schriftlich verhängt worden seien.

Als Reaktion auf Viganos mehrfach betonten Behauptungen leugnete Wuerl, "vom Heiligen Stuhl Unterlagen oder Informationen erhalten zu haben, die das Verhalten von Kardinal McCarrick betreffen, oder Einschränkungen seines Lebens und seiner Seelsorge", wie Vigano behaupte.

Übersetzt und redigiert aus dem englischen Original.

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