Berlin - Donnerstag, 11. Februar 2016, 17:06 Uhr.
Der "Tatort" ist und bleibt eine einzigartige Erscheinung im deutschen Fernsehen. Unter den zehn meistgesehenen Fernsehsendungen des Jahres 2015 rangierten sieben Fußballspiele (Länderspiele, Champions League- und DFB-Pokal-Spiele) und drei "Tatort"-Folgen. An erster Stelle – noch vor allen Fußballmatches – steht "Schwanensee", die "Tatort"-Folge aus Münster, die am 8. November 13,69 Millionen Zuschauern vor den Fernseher locken konnte. Platz drei belegte mit 13,03 Millionen Zuschauern ein weiterer Münsteraner Tatort: "Erkläre Chimäre" vom 31. Mai. Die siebte Stelle nahm eine weitere Tatort-Folge, diesmal aus Franken, ein: "Der Himmel ist ein Platz auf Erden" erreichte am 12. April 12,21 Millionen Zuschauer.
Die am längsten laufende Krimireihe im deutschen Sprachraum
Auffällig sind dabei eigentlich nicht die Zahlen. Erstaunlich ist vielmehr die Entwicklung, die der "Tatort" seit einem paar Jahren – ein genaues Datum lässt sich nicht ausmachen, denn es geschah nach und nach – genommen hat. Den "Tatort" gibt es seit November 1970.
Damit ist er nicht nur die beliebteste, sondern auch die am längsten laufende Krimireihe im deutschen Sprachraum. Denn ausgestrahlt wird die Fernsehreihe nicht nur in Deutschland (im Ersten), sondern auch in Österreich (ORF 2) und in der Schweiz (SFR 1). Jahrzehnte lang galt der "Tatort" jedoch als "Opas Fernsehen". Inzwischen gehört er zu den "Muss"-Terminen selbst bei jungen Menschen. Die gute, alte, aber teilweise rundumerneuerte Krimireihe ist zu einem gemeinsamen Gesprächsstoff auch unter Medienfachleuten geworden.
Sonntag um 20:15 Uhr ist Tatortzeit
Unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten stellt die Erstürmung der Charts durch den "Tatort" die Umkehrung einer in den letzten drei Jahrzehnten dominierenden Tendenz dar. Denn auf die Einführung des Privatfernsehens im Jahre 1984 folgte die sogenannte "Atomisierung" des Fernsehmarktes.
War es bis dahin möglich, sich auf dem Schulhof oder im Büro über eine bestimmte Sendung zu unterhalten, so gab es ab der Einführung des Privatfernsehens das gemeinsame Gesprächsthema nicht mehr, weil jeder den Abend bei einem anderen Sender verbracht hatte. Ausnahmen blieben etwa die Spiele der Fußball-Nationalmannschaft vor allem bei einem EM- oder WM-Turnier.
Der Tatort stellt die Rückkehr der Einmütigkeit bei der Auswahl des Fernsehprogramms dar: Sonntags um 20.15 Uhr versammeln sich bis zu 13 Millionen Menschen in Deutschland vor dem Fernseher. Denn dann ist "Tatort"-Zeit.
Ein doppelt erneuertes Format
Der Erfolg ist auf eine doppelte Erneuerung des Fernsehformats zurückzuführen. Erneuerung heißt hier einerseits eine Weiterentwicklung der Filmsprache, für die exemplarisch die Wiesbadener "Tatort"-Folge "Im Schmerz geboren" im Oktober 2014 mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle steht. Besonders an dieser Folge ist nicht nur die an der hohen Zahl von Toten abzulesende Gewalt, sondern die Vermischung verschiedener Erzählebenen und -tonarten, zu der auch die Kommentierung durch einen, dem klassischen griechischen Chor entnommenen Erzähler zählt, der sich direkt an das Publikum wendet.
So entsteht der Eindruck, dass sich die Handlung als Theaterdarbietung präsentiert. Die Folge gewann nicht nur den "3sat-Zuschauerpreis", sondern auch in der Kategorie Bester Fernsehfilm die "Goldene Kamera" 2015. Die Leipziger "Tatort"-Folge "Niedere Instinkte" (Ausstrahlung: 26.04.2015) wiederholt diesen Kunstgriff: Kommissar Andreas Keppler (Martin Wuttke) wendet sich mehrfach direkt an den Zuschauer.
Dass in dieser Hinsicht freilich der Bogen überspannt werden kann, zeigt eine weitere Tatortfolge aus Wiesbaden, die am 27. Dezember 2015 ausgestrahlt wurde: "Wer bin ich?". Dabei geht es um einen Film im Film: Ulrich Tukur, der Kommissar Murot spielt, wird selbst eines Mordes verdächtigt. Rasch erkennt Tukur, der Tukur spielt, dass es in der Filmbranche keine Loyalitäten gibt. Er stellt sich aber auch noch andere Fragen, die mit der Natur der filmischen Illusion zu tun haben und mit seiner eigenen Rolle im Spiel um die Widersprüche des Genres.: Wie ist das eigentlich, wenn man einen Kommissar spielt oder spielt, ihn nur zu spielen, während man eigentlich Ulrich Tukur ist, wobei man den allerdings hier auch nur spielt? Die Folge, ein Paradebeispiel an Selbstbezüglichkeit, spaltete jedoch die Zuschauer. Es gab viel Lob ("Einer der intelligentesten Tatorte seit langem"), aber auch scharfe Kritik ("Der Film im Film im Film: Tatort, da bleibt das Verständnis auf der Strecke").
22 Teams ermitteln im Tatort
Erneuerung meint jedoch andererseits auch eine Vielzahl neuer Ermittlerteams: Von den 22 "Tatort"-Teams sind seit 2011 elf – genau die Hälfte – neu zusammengestellt, von denen wiederum vier sogar in den Jahren 2015–2016 an den Start gingen beziehungsweise gehen sollen: Am 22. März 2015 startete der neue Berliner "Tatort" mit den Kriminalhauptkommissaren Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke).
Das Franken-"Tatort"-Team, bestehend aus fünf Ermittlern, löste seinen ersten Fall am 12. April 2015. Im neuen "Tatort" aus Dresden, der als "Sachsen-Tatort" das Ermittlerteam aus Leipzig ersetzt, ermittelt ab dem 6. März 2016 erstmals ein rein weibliches "Tatort"-Team (gespielt von Karin Hanczewski, Alwara Höfels und Jella Haase). Das neueste Tatort-Team wird in Freiburg und dem Schwarzwald beheimatet sein. Vorgesetzter von Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Eva Löbau (Franziska Tobler) ist Kriminaloberrat Gernot Schöllhammer, der von Harald Schmidt verkörpert wird, was eine ziemliche Überraschung darstellt. Denn schauspielerisch ist der prominente TV-Entertainer und Talk-Master bislang kaum in Erscheinung getreten. Zusätzlich wurde in Freiburg ein "Tatort-Special" mit Heike Makatsch als Hauptkommissarin gedreht. "Fünf Minuten Himmel" soll Ostern ausgestrahlt werden. Obwohl zunächst angekündigt wurde, dass Makatsch weitere "Tatort-Specials" drehen würde, hat der SWF inzwischen mitgeteilt, dass der Beginn des neuen Freiburger Ermittlerteams auch bedeute, dass es keine weiteren "Tatort-Specials" (wenigstens aus Freiburg) geben wird.
Nur vier von 51 Kommissaren sind verheiratet
Bei der großen Anzahl Ermittler – 22 Teams mit insgesamt 51 Kommissarinnen und Kommissaren sowie zwei prominenten Vorgesetzten – könnte man meinen, sie bildeten eine gewisse Bandbreite an familiären Situationen ab.Verheiratet aber sind von den 51 "Tatort"-Hauptfiguren – soweit bekannt – lediglich ganze vier.
Eine halbwegs "normale" Ehe scheint allerdings nur der von Dietmar Bär gespielte Kölner Hauptkommissar Freddy Schenk zu führen, der in der Rollenbeschreibung als "Familienmensch" bezeichnet wird. Darin heißt es auch: "Weil er so viel arbeitet und deshalb weniger zu Hause ist, gibt es immer häufiger Ärger mit seiner Frau, den er meistens am Telefon zu schlichten versucht. Seine beiden Töchter sieht er mit gemischten Gefühlen zu jungen Frauen aufwachsen."Im neuesten "Tatort" aus Köln "Kartenhaus" (Ausstrahlungstermin: 28.02.2016) spielt jedoch das Privatleben der Ermittler keine Rolle. Ebenfalls verheiratet sind zwei "Tatort"-Kommissarinnen.
Bei Martina Bönisch (Anna Schudt) aus dem Dortmunder "Tatort", der Mutter von zwei fast erwachsenen Söhnen, "funktioniert ihre Ehe mehr schlecht als recht". Bezeichnenderweise hält sich Hauptkommissarin Martina Bönisch nach Feierabend kaum zu Hause auf. Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Folgen des "Tatorts" aus Dortmund die Szenen, in denen sie an der Bar eines Hotels sitzt. Was auch zu einer außerehelichen Affäre führen kann, so in der letzten Folge "Hundstage" (ausgestrahlt am 31.01.2016).
Die Achterbahnfahrt in der Ehe von Nina Rubin (Meret Becker) besitzt sogar eine besondere Bedeutung für die Dramaturgie des neuen Berliner "Tatorts". In der ersten Folge "Das Muli" (22.03.2015) lebt sie mit ihrem Mann Viktor, einem Facharzt, und ihren beiden Söhnen, Kaleb (12) und Tolja (16), in Kreuzberg. Allerdings liebt Nina das Berliner Nachtleben und gewisse "Freiheiten". Die erste Folge beginnt gerade mit einem Discobesuch und einer kurzen Affäre der Kommissarin und endet mit der Trennung der Ehepartner, so dass sich die beiden in der zweiten Folge "Ätzend" (ausgestrahlt am 15.11.2015) um Sorgerechtfragen für die gemeinsamen Söhne streiten. Dennoch scheint die Ehe von Viktor und Nina Rubin nicht ganz vor dem Aus zu stehen. Es gibt gewisse Anzeichen dafür, dass das Hin-und-Her in ihrer Ehe weiterhin zu den dramaturgischen Elementen des Berliner "Tatorts" bleiben wird.
Verheiratet soll auch die Kommissarin im neuesten Tatort-Team sein, das in Freiburg und dem Schwarzwald ermitteln wird. In welchem Zustand sich aber die Ehe der von Eva Löbau verkörperten Hauptkommissarin Franziska Tobler befindet, ob sie darüber hinaus auch Kinder hat, lässt sich zurzeit nicht vorhersagen, da die Dreharbeiten für den "Schwarzwald-Tatort" noch nicht begonnen haben.
In einer "festen Beziehung" lebt darüber hinaus auch eine der Kommissarinnen aus dem neuen Dresdner "Tatort". Bei der von Alwara Höfels dargestellten Oberkommissarin Henni Sieland heißt es: "Zu Hause wartet ihr Freund auf sie – wobei nicht klar ist, wie lange noch ..." Bereits zu Beginn der ersten Folge (Ausstrahlungstermin: 06.03.2016) wird ihre Beziehung als problematisch dargestellt: Obwohl die beiden wegen der Möglichkeit, Kinder zu bekommen, gerade beim Arzt waren, sagt ihr Freund: "Wenn Du Dich zwischen einer Leiche und mir entscheiden muss, ziehe ich immer den Kürzeren." Von ihrer Kollegin Karin Gorniakin, für die jede Beziehung ohnehin zum Scheitern verurteilt sei, bekommt Sieland nicht gerade Unterstützung in ihrer Beziehung zu ihrem Freund.
Sonderfall: Die Verwitweten
In einer besonderen familiären Situation leben die zwei verwitweten Ermittler aus dem "Tatort"-Pool. Der in Dortmund ermittelnde Peter Faber (Jörg Hartmann) verlor Frau und Kind bei einem Autounfall. Der Ehemann der in Konstanz diensttuenden Klara Blum (Eva Mattes) wurde erschossen.
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Für Peter Faber stellte der Unfalltod seiner Familie einen regelrechten Sturz dar. Ein Privatleben kennt er nicht. Der stets mit einem grünen Parka gekleidete Faber schläft häufig im Büro: "Privat kennt er keine Zukunft, will keine Zukunft und bezweifelt, dass es eine Zukunft jenseits des ‚Jobs’ für ihn gibt", heißt es in der Charakterbeschreibung. Faber ist ein Getriebener, der auf Verbrecherjagd geht, um nicht in den Wahnsinn zu verfallen.
Klara Blum hingegen scheint den Tod ihres Mannes besser verarbeitet zu haben. Sie wohnt alleine in einem Haus am Konstanzer See.
“Komplizierte Beziehungen”
Zum Rollenprofil der meisten "Tatort"-Kommissare gehört jedoch die Bezeichnung "geschieden" oder "ledig". Ausdrücklich geschieden sind der von Oliver Mommsen gespielte Kommissar Stedefreund in Bremen, Frank Thiel (Axel Prahl) in Münster sowie der neue Hamburger Hauptkommissar Nick Tschiller (Til Schweiger). Bei Letzterem spielt der Familienstand sogar eine dramaturgische Rolle: Tschiller lässt sich vom SEK nach Hamburg versetzen, weil seine geschiedene Frau mit der 15jährigen Tochter dorthin zieht. Bliebe er in Frankfurt, würde er seine Tochter kaum sehen.
Dennoch versuchen eine Reihe der geschiedenen oder alleinerziehenden Fernsehkommissare, für ihre Kinder Verantwortung zu übernehmen, so etwa Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der aus der Beziehung mit einer verheirateten Frau einen inzwischen volljährigen Sohn hat. Immer wieder versucht er, einen offenkundig abgerissenen Kontakt wiederaufzunehmen, was allerdings nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Der Kieler Borowski (Axel Milberg) telefoniert in jeder Folge häufig mehrfach mit seiner erwachsenen Tochter. Von der in Frankfurt ermittelnden Anna Janneke (Margarita Broich) ist bekannt, dass sie einen 1989 geborenen Sohn aus einer Affäre hat. Allerdings ist dieser in den bisher zwei gesendeten Folgen des neuen Frankfurter "Tatorts" nicht in Erscheinung getreten.
Eine komplizierte Beziehung zur erwachsenen Tochter hat hingegen die in Bremen ermittelnde Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel), vor allem deshalb weil die eigene Tochter Helen zu ihrem Team gehört. Alleinerziehende Mutter ist ebenfalls Karin Gorniak (Karin Hanczewski) aus dem neuen Dresdner Team. Dass auch ihr die Balance zwischen Mutter- und Polizistendasein nicht gerade leicht fällt, wird von Anfang an deutlich. Ihren pubertierenden Sohn verstören offenkundig die Tatort-Bilder, die von seiner Mutter nach Hause mitgebracht werden.
Gehen “Bulle und Familie” nicht zusammen?
Auch wenn bei etlichen "Tatort"-Ermittlern der Familienstand unbekannt bleibt, kann für viele von ihnen gelten, was Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) von sich behauptet: "Bulle und Familie zusammen geht nicht". Ob dies in der Wirklichkeit zutrifft, sei dahingestellt.Für Fernseh-Kommissare trifft dies in den allermeisten Fällen jedenfalls zu.
Die Beziehungslosigkeit nimmt sich jedoch nicht immer gewollt aus. Einige von ihnen würden gerne das Falkesche Diktum Lügen strafen. Von Kriminalhauptkommissar Lessing (Christian Ulmen) in Weimar heißt es, er verspreche sich von seinem Umzug nach Weimar "vielleicht auch endlich die Frau zu finden, mit der er alt und glücklich werden kann". Der in Luzern ermittelnde Reto Flückiger (Stefan Gubser) hatte zwar nie eine feste Beziehung, versucht aber immer wieder, endlich die Frau fürs Leben zu finden. Allerdings stellt er sich dabei ziemlich ungeschickt an.
So lernt er zwar in der neuesten Folge ("Kleine Prinzen", die am 13.03.2016 ausgestrahlt wird) eine geheimnisvolle Frau kennen. Allerdings sei dies "schon kompliziert", sagt er zu seiner Kollegin, weil diese Frau verheiratet sei. Weiter auf der Suche nach der Richtigen ist ebenso Mario Kopper (Andreas Hoppe). Seit einigen Folgen telefoniert der Halbitaliener immer wieder mit seiner neuen Flamme. Ob sich etwas Dauerhaftes daraus entwickelt, lässt sich kaum vorhersagen. Auch miteinander haben es einige "Tatort"-Kommissare versucht.
Die "Tatort"-Ermittler aus Wien Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) waren offenbar einmal ein Paar. Nun verfolgen sie mit einer gewissen Neugier das Liebesleben des jeweils Anderen. So staunte Moritz nicht schlecht, als in der letzten Folge "Sternschuppe" (07.02.2016) Bibi eine Affäre einging – allerdings wird von vorne herein klar, dass dies eine einzelne Episode bleiben soll.
Komplizierter gestaltet sich demgegenüber die Beziehung zwischen den jungen Dortmunder Oberkommissaren Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske): Waren sie zu Beginn ein Paar, so zerbricht die Beziehung. Vor allem in den "Tatort"-Folgen, die unmittelbar auf die Trennung folgten, belastete sie die Arbeit im Ermittler-Team. Obwohl Nora inzwischen eine neue Beziehung zu einem deutlich älteren Mann eingegangen ist, kann sich Daniel damit nicht abfinden. Es ist anzunehmen, dass das turbulente Verhältnis zwischen Nora Dalay und Daniel Kossik weiterhin zu den dramaturgischen Elementen des Dortmunder "Tatorts" bleiben werden.
Heterosexuell, bisexuell, lesbisch?
War es bislang eine Selbstverständlichkeit, dass ein "Tatort"-Kommissar heterosexuell ist, so macht der Zeitgeist auch vor dem Flaggschiff der ARD keinen Halt. Zwar gab es bereits in einer Folge eine explizite lesbische Szene ("Schmutziger Donnerstag", 10.02.2013) mit Kommissarin Liz Ritschard (Delia Mayer) aus Luzern. Darstellerin Delia Mayer sagte aber damals: "Liz ist nicht lesbisch. Sie ist jemand, der sucht. Heterosexuell, bisexuell, lesbisch? Wir werden es sehen ..." In der Folge "Zwischen zwei Welten" (21.04.2014) lebte Liz wieder in einer lesbischen Beziehung, aber seitdem gab es für die Luzerner Kommissarin keine weiteren Affären, weder hetero- noch homosexueller Art.
Weitaus mehr Aufmerksamkeit erregte freilich die zweite Folge des neuen Berliner "Tatorts" ("Ätzend", 15.11.2015) mit einer homoerotisch aufgeladenen Szene. Daraufhin titelte etwa Focus: "Nach 45 Jahren kommen auch im 'Tatort' homosexuelle Männer endlich zu ihrem Recht". In "Ätzend" sieht der Zuschauer den von Mark Waschke gespielten Ermittler Robert Karow in einer Bar Blickkontakt mit einem anderen Gast aufnehmen, den er mit nach Hause nimmt. In der nächsten Einstellung steht Karow am nächsten Morgen im Balkon eine Zigarette rauchend. Ist also Robert Karow der erste homosexuelle "Tatort"-Kommissar? Die Frage lässt sich indes nicht so leicht beantworten.
"Tatort"-Redakteurin Josephine Schröder-Zebralla vom RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) sagte zu den Spekulationen um die sexuellen Vorlieben der Figur: "Es gibt keine Antwort auf diese Frage. Robert Karow ist flirrend und rätselhaft, und so bleibt auch die Frage nach seiner sexuellen Ausrichtung ein Geheimnis." Wahrscheinlich soll damit eher um den Ermittler eine mysteriöse Aura aufgebaut werden. Da er in der ersten Folge "Das Muli" (22.03.2015) aber mit der Gerichtsmedizinerin Nasrin Reza (Maryam Zaree) flirtete, soll offensichtlich um seine sexuelle Ausrichtung ein ähnliches Geheimnis geschaffen werden wie um den Tod seines ehemaligen Partners, der unter nicht ganz geklärten Umständen starb.
Lauter beziehungsunfähige Beamten
Allzu häufig wird die Bindungsunfähigkeit der Fernseh-Kommissaren betont: Ob es sich bei Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) in Köln, dem bereits erwähnten Thorsten Falke in Hamburg, dem in Frankfurt ermittelnden Paul Brix (Wolfram Koch) oder einem der Publikumslieblinge handelt, dem Münsteraner Pathologen Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), allesamt sind sie "Singles", die an einer Liebesbeziehung überhaupt nicht interessiert sind.
Bei einigen gehört das Desinteresse für eine Liebesbindung sogar zu den Wesensmerkmalen der Figur.
So heißt es in der Charakterbeschreibung von Hauptkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus Hannover: "Lindholm scheut engere Bindungen", obwohl sie sich schon einmal auf eine Affäre einließ. Der in Wiesbaden ermittelnde Felix Murot (Ulrich Tukur) ist ein "ewiger Junggeselle, der die Frau, die zu ihm passt, weder gesucht noch gefunden hat". Aus Überzeugung "Single" ist ebenfalls die dienstälteste "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), die in Ludwigshafen ermittelt.
Was bleibt, ist eine Befürchtung
Der Zuschauer würde den "Tatort"-Kommissaren gerne wünschen, dass sie sich nicht irgendwann einmal den Seufzer von Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) zu Eigen machen müssen: "Meine größte Angst ist, dass ich eines Tages allein zu Hause sterbe, und dass mich niemand findet, weil mich niemand vermisst" (in der "Tatort"-Folge "Blackout" vom 26.10.2014). Eine Befürchtung, die von den meisten "Tatort"-Ermittlern geteilt werden könnte.
Dr. phil. José Garcia ist freier Journalist und Filmkritiker.