Mexiko-Stadt - Donnerstag, 18. Februar 2016, 10:28 Uhr.
"Erbittet die Gabe der Tränen. Erbittet die Gabe der Umkehr." Papst Franziskus wendet sich an die Bewohner von Ciudad Juarez, aber auch an alle die auf der anderen Seite des Netzes sind. Eines Netzes, das — so klagt der Papst an — "immer die Ärmsten einfängt und zugrunde richtet". Der Altar ist erhöht aufgestellt, so dass ihn auch jene jenseits der Grenze Mexikos sehen können. Und die Lesung gibt dem Papst einen Vergleich ein: Ciudad Juarez wie Ninive.
Papst Franziskus kommt gegen 16.30 Uhr, nach einem kurzen Anfahrt mit dem Papamobil, auf dem Messegelände von Juarez an. Ein Runde im Stadion, ein Gruß an alle. Und dann Richtung Grenze, zum Kreuz der Migranten, das auf einem erhöhten Podest errichtet ist und im Zentrum ein stilisiertes Bild der Heiligen Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten zeigt. Es steht am Ende einer Rampe, die mit Blumen geschmückt ist. Um das Kreuz herum weitere Kreuze. Papst Franziskus verweilt schweigend, im Gebet. Dann legt er einen Strauß Blumen nieder, in stillem Gedenken an diejenigen Flüchtlinge, die es nicht geschafft haben. Er macht ein kurzes Kreuzzeichen über die Kreuze, die an die Opfer erinnern. Dann blickt er auf die andere Seite, nach El Paso, nur 80 Meter vom Kreuz entfernt, und sendet einen Gruß und einen Segen. Es ist das emblematische Bild dieser Reise.
Der Chor singt einen Kreuzeshymnus. Die Atmosphäre ist feierlich und zugleich traurig. Auf dem Altar thront ein anderes Kreuz, das in Vorbereitung auf die Reise in alle Pfarreien Mexikos gebracht worden war und nun auf diesen Altar gestellt wurde, so als wolle es die Tränen und Hoffnungen aller Mexikaner sammeln. Papst Franziskus feiert die Heilige Messe unter diesem Kreuz. Der Hirtenstab war von den Gefangenen geschnitzt worden, zu denen er am Nachmittag gesagt hatte: "Ihr könnt Propheten in der Gesellschaft sein." Auch ein Abbild der Gottesmutter von Guadalupe ist aufgestellt. All das in der Stadt Juarez. Juarez wie Ninive.
Ninive, die verdorbene Stadt. Ninive, die Stadt, der Jona die Zerstörung vorausgesagt hatte, die aber vierzig Tage Zeit hatte, um sich zu bekehren. Und sie tat es. Denn Gott sendet Jona, um ihnen zu verkünden, dass sie "sich derart an den Verfall gewöhnt haben, dass sie die Sensibilität angesichts des Schmerzes verloren haben." Aber dann bekehren sich die Menschen und hier kommt das Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit zum Tragen, "die immer an die eingeschlafene, betäubte Güte in jeder Person appelliert. Weit davon entfernt, zu zerstören, wie wir es oft verlangen oder tun wollen, nähert sich die Barmherzigkeit jeder Situation, um sie von innen heraus zu verwandeln. Sie nähert sich und lädt zur Bekehrung, zur Buße ein; sie lädt dazu ein, den Schaden anzusehen, den wir auf allen Ebenen verursachen. Die Barmherzigkeit dringt immer in das Böse ein, um es zu verwandeln."
Und es ist diese Verwandlung, die Papst Franziskus für Ciudad Juarez erhofft, die Grenzstadt, die als Beispiel einer gewalttätig und gleichgültig gewordenen Welt gilt, einer Welt, die die Armen und Verletzbaren an den Rand drängt. Ciudad Juarez wie Ninive. Ciudad Juarez wie die Welt. Und der Papst, der versucht, wie Jona zu sein.
"Jona hilft, zu erkennen, er hilft dabei, sich bewusst zu werden. Sofort danach findet sein Aufruf Männer und Frauen, die fähig sind, zu bereuen und fähig sind, zu weinen. Weinen über die Ungerechtigkeit, weinen über die Verdorbenheit, weinen über die Unterdrückung." Das ist es, worum der Papst inständig bittet: lernen zu "llorar", zu weinen.
Franziskus erklärt: "Die Tränen sind es, die den Weg zur Verwandlung öffnen können. Die Tränen sind es, die das Herz erweichen können. Die Tränen sind es, die den Blick läutern und helfen können, den Strudel der Sünde zu sehen, in dem wir oft versunken sind. Die Tränen sind es, denen es gelingt, den hart gewordenen - und vor allem angesichts des Leides der anderen eingeschlafenen - Blick und das hart gewordene Verhalten zu sensibilisieren. Die Tränen sind es, die einen Bruch erzeugen können, der fähig ist, uns für die Umkehr zu öffnen." Wie die Tränen des Petrus, fügt der Papst hinzu, der zum Verräter wird und dann bereut.
Und die Tränen sind es, die Ciudad Juarez braucht, die Stadt des Netzes, der Verzweifelten, des Drogenhandels und des Menschenhandels. Die Stadt der Frauenmorde und der verschwundenen Personen, an die man sich nicht erinnern zu wollen scheint. Der Papst ergreift das Thema der "humanitäre Krise, die in den letzten Jahren die Migration von Tausenden von Menschen bedeutet hat, die per Zug, auf der Straße und auch zu Fuß Hunderte von Kilometern über Berge, durch Wüsten und auf unwirtliche Wege zurückgelegt haben."
Das ist das "globale Phänomen" der Zwangsmigration. Eine Krise, die "mit Zahlen gemessen werden kann", die jedoch die Kirche lieber "mit Namen, Geschichten und Familien" erfasst. Und während sich die Brüder und Schwestern in Schwierigkeiten befinden, "breitet sich angesichts vieler Gesetzeslücken ein Netz aus, das immer die Ärmsten einfängt und zugrunde richtet. Es sind Arme, die "nicht nur unter der Armut leiden, sondern vor allem durch diese Formen der Gewalt." Eine Ungerechtigkeit, "die sich bei den Jugendlichen radikalisiert: Wie Kanonenfutter werden sie verfolgt und bedroht, wenn sie versuchen, aus der Spirale der Gewalt und aus der Hölle der Drogen auszubrechen. Ganz zu schweigen von den vielen Frauen, denen zu Unrecht gewaltsam das Leben genommen wurde."
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Daher ermutigt der Papst "die Gabe der Bekehrung zu erbitten", denn "es ist immer noch Zeit, etwas zu ändern, es gibt immer einen Ausweg und eine Gelegenheit, es ist immer noch Zeit, die Barmherzigkeit des Vaters zu erflehen."
Papst Franziskus setzt so auf die Umkehr. Dies gründet sich auch auf die Arbeit vieler Organisationen der Zivilgesellschaft zugunsten der Migranten, auf den Einsatz vieler Ordensleute, Priester und Laien, die "an vorderster Front Hilfe leisten und dabei oft das eigene Leben riskieren". Sie sind "Propheten der Barmherzigkeit, sind sie das verständnisvolle Herz und die mitgehenden Füße der Kirche, die ihre Arme öffnet und unterstützt."
Am Ende der Predigt grüßt der Papst "unsere lieben Brüder und Schwestern, die uns gleichzeitig von der anderen Seite der Grenze aus folgen und all jene, die im Stadion der Universität von El Paso versammelt sind." Und er schließt: dank der Technik "können wir diese barmherzige Liebe feiern, die der Herr und schenkt und die keine Grenze uns hindern kann, zu teilen. Danke, liebe Brüder von El Paso, dass ihr es möglich macht, dass wir uns als eine einzige Familie und eine einzige christliche Gemeinschaft fühlen."
Ciudad Juarez wie Ninive. Der Papst hofft es zumindest. Unterdessen hat Monsignore René Blanco, Vikar der Bischofs, ein Zeichen der Hoffnung gesetzt. In einem Interview des diözesanen Radiosenders hat er in diesen Tagen angekündigt, dass dort, wo sich das Messegelände befindet "eine sehr große und sehr schöne Kirche gebaut werden wird, sowie ein Pastoralzentrum zum Dienst an den Migranten, für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen und ferner ein Zentrum zur Verteidigung der Frauen." Das Zentrum wird "Der Punkt" genannt werden und viele - darunter verschiedene Unternehmer - haben an diesem Projekt mitgewirkt. Vielleicht beginnt Ninive gerade, sich bewusst zu werden.
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