Abt Maximilian Heim: "Eine die Kirche liebende, noble Haltung"

Abt Maximilian Heim
Pater Karl Wallner / Stift Heiligenkreuz (GFDL)

Wie passen in der Zeit der Kirchenkrise noch Leben und Glaube, Gebet und Wissenschaft zusammen? Ganz zu schweigen von Theologie und Liturgie? Abt Maximilian Heim hat in seiner Laudatio für den Empfänger des diesjährigen Augustin-Bea-Preises die Antworten von Klaus Berger reflektiert.

Dabei erinnerte der Zisterzienser an die Worte des Ordensvaters St. Bernhard von Clairvaux: 

"Wissenschaft ohne Liebe bläht auf. Wissen mit Liebe baut auf".

Eine solche Haltung finde sich Lebenswerk des fleissigen Autors und Professors Berger.  Er bescheinigte ihm nicht nur eine "die Kirche liebende, noble Haltung", sondern klopfte auch vier Grundlinien fest, die dessen Beitrag zur Theologie auszeichnen.

Dabei erinnere Berger daran, "dass schon die schlichteste Liebesgeschichte mit Kausalität nicht erklärbar ist, geschweige denn biblische Kategorien wie Wunder, Erwählung, Verstockung oder Sendung."

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CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut der Laudatio des Abtes von Stift Heiligenkreuz.

Laudatio zur Verleihung des Augustin-Bea-Preises an Prof. Dr. Klaus Berger

am 6. Dezember 2019 in Heidelberg

Sehr geehrter Herr Professor Berger, lieber Familiar unseres Ordens,

sehr geehrte Frau Prof. Dr. Christiane Nord,

sehr geehrter Herr Präsident der Internationalen Stiftung Humanum,

Prof. Dr. Wolfgang Spindler,

sehr geehrte Ehrengäste,

verehrte Damen und Herren!

Heute erinnere ich in dieser Laudatio an ein überraschendes Ereignis, das Sie, verehrter Herr Professor Berger und Familiar unseres Ordens, außerordentlich berührt hat: Es war am 9. September 2007, als der Heilige Vater Papst Benedikt XVI. bei seinem Österreich-Besuch in unserer Zisterzienserabtei Heiligenkreuz plötzlich das Protokoll verließ, als er Sie – herausragend unter den vielen Gläubigen – in unserer Stiftskirche erblickte, spontan auf Sie zusteuerte und Sie herzlich begrüßte. Dies war mehr als eine Laudatio: Es war ein Dank nicht nur für Ihre wissenschaftliche Leistung, sondern auch für Ihre die Kirche liebende, noble Haltung. Wie außergewöhnlich dieser Gruß war, mag die Tatsache belegen, dass Benedikt XVI. sich sonst streng an das zeitliche Protokoll hielt und nicht einmal seinem langjährigen Freund, Bischof em. Hubert Luthe, der extra aus Essen angereist war, die Hand geben konnte. Heute am Nikolaustag darf ich mich einreihen in die Gratulanten, die Ihnen Gottes Segen wünschen zum Namenstag wie auch zur Verleihung des Augustin-Bea-Preises.

Der Nikolaustag war für Sie immer ein besonderer Tag, den Sie mit einer humorvollen und gelehrten Nikolausvorlesung ehrten. Wie Sie einmal erzählten, nahmen Sie die historisch-kritische Methode auf die Schippe, indem Sie wissenschaftlich nachwiesen, dass ihre historische Existenz unbegründet wäre. Ein andermal, so erzählte es der evangelische Pfarrer Wolfgang Krimmer, konnten Sie die „fort- und immerwährende Existenz des heiligen Nikolaus“ mithilfe von mittelalterlich-scholastischen Beweisschritten darlegen. Und einer der Beweise damals war eben der aus der „Schokoladenheit“. Was wollten Sie damit ausdrücken? Wenn Menschen sich die Mühe machen, ein Abbild des Heiligen in Schokolade zu gießen, dann muss das Urbild nun wirklich existieren. Die Aula – mit bald 2.000 Studierenden hoffnungslos überfüllt – bog sich vor Lachen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich Sie im Auditorium Kloster Stiepel kennenlernen durfte, wohin Herr Rainer Kohlhaas, der Organisator, Sie immer wieder im Namen von Prior P. Beda einlud. Und wenn Sie kamen, war das Auditorium nicht nur bis zum letzten Platz gefüllt, sondern die Zuhörer hingen mit ihren Ohren sogar noch an den Fenstern, um Ihren Worten zu lauschen. Was war der Grund einer solchen Attraktivität? Vielleicht das, was Johannes der Täufer, diese adventliche Gestalt, ein Prophet, verkündete, als er gefragt wurde, wer er sei: „Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste. Bereitet dem Herrn den Weg.“  

Sie sind am 25. November 1940 in Hildesheim geboren, wurden katholisch getauft und gefirmt, wollten katholischer Priester werden und haben schon in Ihrer Dissertation das Prophetische an Ihrem Wirken erkennen lassen: „Christus habe weder den Alten Bund noch das mosaische Gesetz abschaffen wollen.“ Das war für damalige Ohren zu viel. Ja, es ging Jesus von Nazareth nicht um die Abschaffung des jüdischen Glaubens und Gesetzes, sondern um seine Vollendung. Eine Wahrheit, die Jahrzehnte später 1992 der Katechismus der Katholischen Kirche ausdrücklich zu glauben vorlegte. Denn das antike Judentum inklusive Qumran, Philo, Weisheit, früher Mystik und Apokalyptik sind geistig und geistlich so unglaublich reich. Wer sie erforscht, kann erkennen, dass Jesus und die Offenbarung des dreifaltigen Gottes nicht die Zerstörung des jüdischen Glaubens darstellen, sondern von Jesus her als seine Vollendung zu verstehen sind. Einer, der das wunderbar verstanden hat, war der Apostel Paulus.

Es bewirkte, dass Sie sich schließlich in der evangelischen Fakultät 1967 promovierten und 1971 an der Universität Hamburg habilitierten. Über Ihre Dozentur für Neues Testament und altchristliche Literatur an der Rijksuniversität in Leiden (älteste Universität der Niederlande, eine der weltweit renommiertesten Institutionen, insb. für Geisteswissenschaften u. a.) bekamen Sie einen Ruf nach Heidelberg. Hier wirkten Sie jahrzehntelang (1974 bis zu Ihrer Emeritierung 2006) an der hiesigen evangelisch-theologischen Fakultät als Professor für Neues Testament segensreich. 60 Schülerinnen und Schüler haben Sie zur Promotion und /oder Habilitation begleitet.

Ihr Lebenswerk ist so umfangreich, dass es kaum möglich ist, es in einer Laudatio streiflichtartig zu beleuchten. Die Basis Ihrer wissenschaftlichen Forschungen sind die biblischen und christlich-orientalischen Sprachen, also das Aramäische, Altsyrische, Äthiopische, Koptische, Arabische und natürlich auch das Griechische. Weil Sie nicht einfach nur trockene Wissenschaft betreiben, sondern ein Theologe sind, der vor allem von dem spricht, dessen Stimme er sein darf, halten Sie regelmäßige Andachten, Vorträge und Fragestunden im Hörfunk, vor allem bei Radio Horeb und Radio Maria. 400 Sonntagsmeditationen, Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätze in der FAZ oder in der Tagespost, im VATICAN-magazin, für CNA Deutsch, … haben Sie verfasst.

70 selbständige Buchpublikationen haben Sie herausgegeben, davon 7 Bände kommentierte Übersetzungen. Eine Besonderheit stellt „Das Buch der Jubiläen“ dar mit ca. 350 Seiten, das Sie 1981 veröffentlichten und in dem Sie äthiopische, syrische, hebräische und lateinische Handschriften übersetzten und kommentierten. Zusammen mit Ihrer Gattin, Frau Prof. Dr. Christiane Nord, einer renommierten Übersetzungswissenschaftlerin, haben Sie 1999 „Das Neue Testament und frühchristliche Schriften“ (1.500 S.) herausgegeben. Außerdem zwei Bände „Werke des Zisterzienservaters Wilhelm v. St. Thierry“, darin erstmalig übersetzt ins Deutsche dessen Römerbrief-Kommentar.

Ein entscheidender thematischer Schwerpunkt ist für Sie die Eschatologie. Ihre private Sammlung antiker Apokalypsen ist vermutlich die größte Apokalypsensammlung weltweit. 2017 erschien im Herder-Verlag Ihr 2-bändiger gewaltiger Kommentar zur Apokalypse des Johannes und im Jahr darauf ein weiterer Band zur Theologie der Apokalypse. Das Bild der Hochzeit des Messias aus der apokalyptischen Tradition eröffnete Ihnen auch ein neues Verständnis der christlichen Ehe, das Sie in Ihrem neuen Buch „Ehe und Himmelreich: Frau und Mann im Urchristentum“ (2019) gerade veröffentlichten. Ein prophetisches Thema gerade in unserer orientierungslosen Zeit. Sie eröffnen durch Ihr Forschen am Urtext den Horizont für die gesamte biblische und apokryphe Tradition der Geschichtsapokalypsen inklusive der Kommentare bis 1600. Unter diesen Geschichtsapokalyptikern ragt der selige Zisterzienserabt Joachim von Fiore hervor, der 1202 gestorben ist. 

Außerdem sind Sie fasziniert von den alten lateinischen und orientalischen Liturgien. Sie hatten schon vor Ihrem Abitur zu diesem Thema geforscht, indem Sie 5.000 mittelalterliche Glockeninschriften unter die Lupe nahmen. Denn Glockeninschriften haben meist auch einen Bezug zur gefeierten Liturgie und zum Glauben. Das Wirken des Heiligen Geistes beleuchteten Sie in einer ersten Schrift 1957 unter dem Titel „Der Heilige Geist in der lateinischen Liturgie“.  Für die Formgeschichte des Neuen Testaments bezogen Sie sich auf Erkenntnisse der Religionsgeschichte wie auch der antiken Rhetorik und Ästhetik. Sie stellten aber klar, dass diese formgeschichtliche Methode sich nicht eignet, Berichte und Erzählungen des Neuen Testaments in echt oder unecht aufzuteilen.

Hier sind wir schließlich bei Ihren theologischen Grundlinien:

  1. Die Theologie muss sich immer als die Stimme eines Rufenden verstehen. In diesem Gehorsam ist sie gesandt, das je größere Wort Gottes gleichsam in den begrenzten Verständnishorizont der Menschen zu heben, mit dem Wissen, dass der Rufende der eigentliche Autor bleibt und die Stimme nur sein Werkzeug ist. Er ist nur der Übersetzer.
  2. Religionsgeschichte und Liturgiegeschichte gehen daher Hand in Hand bei dem Unternehmen, das Neue Testament von seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte her zu deuten.
  3. Das Übersetzen muss Schritt um Schritt versuchen, die Fremdheit immer mehr zu verstehen, ohne sie jedoch zu verdrängen oder zu überspielen. Diese Fremdheit des Wortes Gottes bewirkt vielmehr, dass das Wort Gottes niemals veraltet und deshalb nie als zeitbedingt abgewertet werden darf.
  4. Der an den Naturwissenschaften orientierte Positivismus des 19. Jh. ist daher, wie Sie oft betonten, als Rahmen für das Verständnis des Neuen Testaments ungeeignet. Insbesondere empfanden Sie es als Ärgernis, dass auf dieser Basis das im Neuen Testament Berichtete seitenweise als unhistorisch und als Märchen oder Dichtung abgetan wurde. Ihre Frage ist stets: Seit wann ist kausale Erklärbarkeit der Maßstab für Wirklichkeit?

Und Sie erläutern dies, indem Sie darauf hinweisen, dass schon die schlichteste Liebesgeschichte mit Kausalität nicht erklärbar ist, geschweige denn biblische Kategorien wie Wunder, Erwählung, Verstockung oder Sendung. Auch der „Heilige Geist“ als Forschungsthema lässt sich hier einordnen, denn er weht, wo er will. Diese biblischen Gegebenheiten verstehen Sie nicht als Phantasieprodukte, sondern als mystische Fakten, also als etwas, das in der Geschichte wirkt, ohne kausal erklärt werden zu können. Aber wenn es Gottes Art ist, wie Nicolaus Cusanus erklärt, gewissermaßen in oder hinter unserem Rücken zu wirken, das Nicht-Andere zu sein, dann wirkt Gott eben oft anders als nach den Naturgesetzen.

 

In Ihrem Buch „Die Bibelfälscher: Wie wir um die Wahrheit betrogen werden“ (2013) haben Sie so eine Generalabrechnung mit dem positivistischen, moralisierenden, liberalen Protestantismus vorgelegt.

Ihre Vorliebe für die jüdische Herleitung neutestamentlicher Aussagen trifft sich hier mit der strengen und durchgängigen Forderung nach der historischen Basis. Hatte doch die liberale Theologie all das als unhistorisch bezeichnet, was nicht rational erklärbar war und sich – wie Sie, lieber Herr Professor, es schrieben – selbst für die Jesusworte so entschieden, dass die wenigen echten auf einer Postkarte unterkommen könnten.  Der leidige Rest sei eben Mythologie gewesen.  

Sie hingegen haben die „Theologie des Neuen Testaments“ auch als Theologiegeschichte verstanden. Denn Theologie als luftige Spekulation, das läge Ihnen zu nahe an Hegel. Die konkrete, an den Texten ausweisbare Traditionsgeschichte ist hier das dynamische Brückensystem zwischen Altem und Neuem Testament, zwischen Neuem Testament und Kirchengeschichte. 

In Ihrem Verhältnis zur Systematischen Theologie und Dogmatik erkennen Sie in aller Demut, dass die Exegeten zwar Hypothesen zur Deutung vorlegen können, letztlich aber die Kirche in ihrem Lehramt in der Treue zur regula fidei, zum Credo der Kirche, die Einheit der Offenbarung bezeugt. Offenbarung wird so zum lebendigen Wort Gottes in der Verflechtung von Wort und Zeuge und Glaubensregel.

Wie Sie auch zeigten, unterscheidet sich hier die katholische Schriftauslegung von der Sicht der meisten Protestanten. Sie sagen dies ganz einfach: „Der Exeget ist kein Bischof.“ Daher gilt: „Der wahre Ort der Schriftauslegung ist die Liturgie.“

Hinter dieser Aussage steht das theologische Axiom Lex orandi – lex credendi – das heißt übersetzt: „Das Gesetz des Betens entspricht dem Gesetz des Glaubens.“ Dieser Grundsatz von Prosper von Aquitanien (5. Jahrhundert) ist ein altes Prinzip der kirchlichen Liturgie: Die Kirche betet so, wie sie glaubt und glaubt so, wie sie betet (vgl. KKK 1124). Diese Harmonie zwischen Glaube und Gebet führt uns zum Grundsatz, dass der gefeierte Glaube in der Liturgie zugleich schön und daher der Kunst nahesteht und sie beflügelt.

Lieber Herr Professor, als Abt von Heiligenkreuz – mit seinen Prioraten in Bochum-Stiepel, Neuzelle und Wiener Neustadt sowie mit einer Gründung in Sri Lanka – gratuliere ich Ihnen auch im Namen meiner Mitbrüder von ganzem Herzen zur Verleihung des Kardinal-Augustin-Bea-Preises. Sie stehen in einer Reihe von renommierten Preisträgern mit dem Generalsekretär des Weltkirchenrats Willem A. Vissert Hooft, Schwester Karoline Mayer SSpS (Chile), dem Sozialethiker Johannes Messner, den Kardinälen Joseph Frings, Joseph Ratzinger und Joachim Meisner, den Erzbischöfen Jsidore de Souza (Benin) und Johannes Dyba sowie den Professoren Hans Urs von Balthasar, Paul Kirchhof, Anton Rauscher, dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor – und nun auch Sie, lieber Herr Prof. Klaus Berger. 

Wenn der Herrgott Ihnen die Chance schenkt, könnte Ihr letztes Buch einmal heißen – wie Sie mir verrieten –: „Stille. Das Neue Testament inmitten der Religionsgeschichte des Schweigens.“ Und auch das wäre dann wieder gut monastisch. Und so möchte ich enden mit einem Wort unseres Ordensvaters, des hl.  Bernhard von Clairvaux, im 900. Jubiläumsjahr der Carta Caritatis, der Carta der Liebe, dem Grundgesetz unseres Ordens:

Scientia sine caritate inflat – Wissenschaft ohne Liebe bläht auf.

Scientia cum caritate aedificat – Wissen mit Liebe baut auf. (vgl. 1 Kor 8,1)

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