Benedikt und das menschliche Antlitz Gottes: Paul Badde im Gespräch mit Erzbischof Forte

Vor zehn Jahren kam Papst Benedikt nach Manoppello, um Christus zu sehen

Erzbischof Bruno Forte in Manoppello.
EWTN/Paul Badde

"Gemäß dem Paradox der Menschwerdung können wir sagen, dass Gott ein menschliches Antlitz angenommen hat: das Antlitz Jesu. Infolgedessen brauchen wir von nun an, wenn wir das Antlitz Gottes wirklich erkennen wollen, nichts anderes tun, als das Antlitz Jesu zu betrachten! In seinem Antlitz sehen wir wirklich, wer Gott ist und wie Gott ist!" sagte Papst Benedikt XVI. am 6. September 2006 in seiner Generalaudienz auf dem Petersplatz.

Eine Woche vorher, am 1. September 2006, hatte er im Beisein Erzbischof Bruno Fortes aus Chieti als erster Papst nach über 400 Jahren wieder sein Knie vor dem geheimnisvollen Antlitz Christi im Heiligen Schweißtuch gebeugt, dem "Volto Santo", das heute in dem Abruzzenstädtchen Manoppello verehrt wird, nachdem es bis zum Jahr 1527 Jahrhunderte lang im Petersdom verwahrt worden war. Spätestens seit diesem 1. September wurde die Rede vom "menschlichen Antlitz Gottes" zu einer Art Siegel im Pontifikat des Papstes aus Deutschland. Paul Badde hat Erzbischof Bruno Forte für CNA zum Anlass des 10jährigen Jubiläums nach seiner Erinnerung an den Tag befragt:

CNA: Herr Erzbischof, vor zehn Jahren hat Papst Benedikt XVI. auf Ihre Einladung hin als erster Papst nach über 400 Jahren das Heilige Schweißtuch in Manoppello besucht, das heute "Volto Santo" genannt wird und lange als so genannter "Schleier der Veronika" verehrt wurde. Sie standen einen Meter neben dem Heiligen Vater bei dieser historischen Begegnung. Was ging Ihnen in diesen Minuten durch den Kopf?

Erzbischof Bruno Forte: In diesen Minuten ging mein Blick hin und her zwischen dem verehrten Bildschleier und dem Antlitz des Nachfolgers Petri, der ihn intensiv betrachtete, wie hingerissen von dieser Vision und gleichzeitig herausgefordert, in die Botschaft einzutreten, die dieser Schleier transportiert – mit jener außerordentlich mystischen und neugierigen Intelligenz, die das ganze Werk Joseph Ratzingers und Benedikt XVI. charakterisiert. Es war, wie einem Dialog beizuwohnen, in dem die Stille beredsamer war als jedes Wort: Einer Stille aus dem Überschuss, aus dem Berühren und Berührtsein von der Schwelle des Geheimnisses, von dessen Tiefen er sich beleuchten ließ.

"Der Papst war begeistert!" So haben Sie gleich nach dem Besuch des Papstes damals auf deutsch gesagt. Können Sie sich heute noch genauer an die unmittelbare Reaktion von Benedikt XVI auf dieses "von Angesicht zu Angesicht" jener Begegnung damals erinnern?

Natürlich. Der Enthusiamus des Papstes erschien mir wie der Ausdruck dessen, was der griechische Begriff "Enthusiasmós" im ursprünglichen Wortsinn bedeutet: "en theó ousía" – als ein "Akt des Daseins in Gott". Solch einen Eindruck vergisst man nicht…

Es gebe eine "moralische Gewissheit", sagten Sie 2006, dass der Bildschleier aus Manoppello identisch sei mit dem von dem Evangelisten Johannes erwähnten "soudarion" aus dem leeren Grab Christi in Jerusalem. Wie meinten Sie das?

In den Versen 6 und 7 im 20. Kapitel seines Evangeliums heißt es bei Johannes: "Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle." Die Leinenbinden – im Original "tá othónia – korrespondieren nach aller Wahrscheinlichkeit mit jenem einzigartigen Zeugnis, das wir in der berühmten Grabtuch vor uns haben, das in Turin aufbewahrt (und dort als "santa sindone" verehrt) wird.

Vom "Soudárion" hingegen lässt sich nach meinem Dafürhalten mir moralischer Sicherheit sagen, dass es mit dem Schleier aus Manoppello korrespondiert. Diese Sicherheit wird durch verschiedene Daten gestützt. Zuerst und zunächst wurde der Schleier in Jerusalem verwahrt, als kostbare Erinnerung an den Erlöser. Dann wurde er nach Camulia in Kappadokien verbracht, wo er lange verehrt wurde und von wo er in der Bedrohung und dem Wüten der Bilderstürmer des so genannten Ikonoklasmus zuerst nach Konstantinopel und dann nach Rom in Sicherheit gebracht wurde. Hier trat er zu Beginn des 13. Jahrhunderts in die Öffentlichkeit, wo er als unvergleichliche Reliquie in der Basilika von Sankt Peter aufbewahrt wurde. Als dort am 18. April 1506 der Neubau des großartigen neuen und heutigen Petersdoms begonnen wurde, befand sich das Heilige Sudarium noch in einem Tresor, von wo der Bildschleier nach aller Wahrscheinlichkeit von Kardinal Giampietro Carafa, dem Erzbischof von Chieti und späteren Gouverneur der Stadt (und zukünftigem Papst Paul IV) im Jahr 1527 in Sicherheit gebracht wurde, als deutsche und spanische Landsknechte Rom im so genannten "Sacco di Roma" verwüsteten.

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Und welcher Ort war dafür damals sicherer als ein Konvent jenseits der Grenzen des Kirchenstaates – in seiner Diözese von Chieti-Vasto? Dort aber war Manoppello das erste Städtchen hinter der Grenze, auf das man in dieser Diözese stieß, sobald man aus Rom hier ankam, und genau hierhin gelangte deshalb der heilige Schleier in einen Kapuziner-Konvent, nachdem er zuvor noch für eine gewisse Zeit in sicheren Händen in einigen Privathäusern aufbewahrt worden war. Als aber 1640 beschlossen wurde, das Schweißtuch wieder öffentlich auszustellen, wurde die Bedrohung, dass das Domkapitel des Vatikans den Schleier zurück verlangen könnte, durch einen gewissen Fra’ Donato da Bomba mit einer Chronik durchkreuzt und vereitelt, in der er behauptete, der heilige Schleier sei schon im Jahr 1506 in Manoppello angelangt, also in dem Jahr, als gerade mit den Arbeiten am neuen Petersdom begonnen wurde. Deshalb könne es unmöglich der sogenannte Schleier der Veronika sein, wie er damals in Rom auch noch genannt wurde.

Es war also eine fromme Lüge, und dennoch eine Lüge, auch wenn sie mit guten Absichten ausgesprochen worden war, die den Verbleib von diesem genuin göttlichen Zeugnis der Passion und Auferstehung Christi für die Abruzzen gerettet hat …

Wie erklären Sie denn den Widerstand gegen das Volto Santo, zum Beispiel aus Turin, selbst heute noch?

Das Grabtuch von Turin ist seit langem in aller Welt bekannt und verehrt. Dagegen scheint das Heilige Gesicht von Manoppello für manche immer noch als eine unerhörte Neuigkeit, die nicht in der gleichen Weise von der Wahrnehmung und Tradition aus dem Glauben des Gottesvolks gestützt wird. So ist es in Wirklichkeit aber nicht, wie ich hier gerade kurz in Erinnerung gerufen habe.

Zwischen diesen beiden unvergleichlichen Zeugnissen gibt es nicht nur überhaupt keinen Widerspruch, sondern es ist sogar längst eine perfekte Übereinstimmung und Entsprechung nachgewiesen worden. Die Trappistin Blandina Paschalis Schlömer hat an einer Vielzahl von übereinstimmenden Punkten die extreme Kompatibilität zwischen dem Antlitz auf der Sindone und dem Antlitz im Sudarium zwingend herausgestellt. Es deutet also vieles darauf hin, dass es zwischen den beiden Tüchern eine Beziehung gibt, die im heiligen Grab in Jerusalem begründet wurde. Jedenfalls zeigen das Grabtuch in Turin und das Schweißtuch in Manoppello auf unerklärliche und geheimnisvolle Weise denselben Menschen, einmal tot, einmal lebendig. Es ist Jesus Christus. Es ist der Herr.

Und was antworten Sie den Stimmen, die behaupten, das Christus-Porträt in dem Schleier von Manoppello sei einfach nur "gemalt", und zwar von Menschenhand, wohl in der Zeit der Renaissance?

Im Schleier von Manoppello hat man in Untersuchungen unter dem Elektronenmikroskop auch in außergewöhnlichen Vergrößerungen keine Farbspuren gefunden. Das Bild ist nicht gemalt, sondern ein wahres Lichtbild – und das macht es noch einmal wertvoller, weil es uns damit quasi das einzige authentische Bild liefert, das wir vom Erlöser der Welt haben!

In Deutschland ist seit Rudolf Bultmann selbst unter Theologen die Annahme weit verbreitet, Jesus sei nur "ins Kerygma" auferstanden, das heißt in den Glauben und das Reden und die Predigt der Apostel. Christus könne aber unmöglich von den Toten auferstanden sein. Wie bringen Sie als Theologe diese moderne Denkrichtung innerhalb der Kirche mit dem Prozess der Wiederentdeckung des heiligen Schweißtuchs im Bistum Chieti-Vasto in den letzen 40 Jahren zusammen?

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Die Thesen der existentialistischen Interpretation Bultmanns sind schon seit einiger Zeit wissenschaftlich überholt, dank der Rückkehr und Entwicklung der Forschung zum historischen Jesus. In dem Spalt, der sich zwischen dem Tod Jesu am Kreuz und dem Neubeginn von Ostern auftut, muss etwas Wesentliches geschehen sein, um die ängstlichen und fliehenden Jünger des Karfreitags in die wagemutigen Verkünder der Auferstehung Christi an Ostern zu verwandeln: Und dieses "etwas" war keine Frucht der überspannten Phantasie zu den Ereignissen, wie es zum Beispiel Ernest Renan dargelegt hat, sondern es ist ihnen von außen zugekommen, als ein unerwartetes Geschenk, das ihre Trauer in Freude verwandelte, und ihre Angst in kühnen Wagemut und ihre Flucht aus Jerusalem in ein neues Leben und weltweite Mission. Zu diesem Schluss besteht in der seriösen Forschung zum historischen Jesus inzwischen so gut wie vollständige Einmütigkeit

Seit dem Besuch Papst Benedikts vor 10 Jahren zieht das Volto Santo Jahr für mehr Pilger aus der ganzen Welt nach Manoppello, darunter auch zahllose Bischöfe aus allen Kontinenten. Welche Auswirkungen hatte der "private Besuch" Papst Benedikts sonst noch auf Ihr Bistum – und auf Ihren Glauben?

Sicherlich hat der Besuch Papst Benedikts, begleitet von mehr als dreihundert Medienvertretern und rund siebzig Fernsehsendern aus aller Welt die Kenntnis des Heiligen Gesichts von Manoppello auf ein wahrhaftig planetarisches Niveau erhoben und Ströme von Pilgern hierhin gezogen. Was mich als Gläubigen und als Hirten aber noch mehr erfreut, ist dies: dass sich die Fälle des Besuchs beim "Volto Santo" quasi insgesamt mit dem Hinzutreten zum Sakrament der persönlichen Beichte und der Teilnahme an der Eucharistie verbindet, und das ist kein ästhetisches Phänomen, sondern eine durch und durch tiefe und verwandelnde Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Und das ist ein wirklich wunderbares Geschenk an uns alle.

Am kommenden 17. September empfangen Sie 70 orthodoxe Bischöfe vor dem Heiligen Antlitz in Manoppello. 2005 hatten Sie Papst Benedikt zum Heiligen Schweißtuch eingeladen. Wie kam es zu dieser kühnen Initiative?

Hier muss ich richtig stellen und präzisieren, dass die Entscheidung Papst Benedikts, zum Volto Santo zu kommen, von ihm selbst und ganz allein getroffen wurde. Das hat er mir damals schon vor seiner Wahl zum Nachfolger Petri im Verlauf einer Audienz mitgeteilt, an der ich als Mitglied des päpstlichen Rats für die Einheit der Christen teilnahm. Diese Initiative war also ein großes und ganz eigenes Geschenk von ihm. Darüber war ich sehr glücklich, und das erfüllt mich ihm gegenüber für immer mit größter Dankbarkeit.

Was werden Sie Papst Franziskus zu dem konkreten "Misericordiae Vultus" (Gesicht der Barmherzigkeit) in Manoppello erzählen, wenn sich die Gelegenheit dazu einmal ergeben sollte?

Ich habe mit seiner Heiligkeit schon enthusiastisch über das Heilige Gesicht von Manoppello gesprochen und ihm auch eine schöne Reproduktion geschenkt. Darum lass ich jetzt alles in seinen Händen und in den Händen Gottes. Da liegt es nun und wird von dort schon auf die rechte Weise seinen weiteren Weg finden und gehen.

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