„Schrottpapier“ von Benedikt XVI. als gesellschaftspolitisches Leitbild?

Jörg Althammer
Martin Grünewald

Der Umgang von Öffentlichkeit und Fachwelt mit Papst Benedikt XVI. war nicht immer fair. „Unvorstellbar“ sei die Rezeption seiner Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“ gewesen, berichtete Jörg Althammer, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, auf der Fachtagung „Das sozialethische Erbe von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.“ an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT).

„Eine einzige Konferenz hat sie thematisiert – an der Katholischen Universität Eichstätt“, so Althammer. In der überregionalen Tagespresse war von einem „katholischen Selbstgespräch“ die Rede oder von einem „schwachen Aufguss des bereits Gesagten durch einen weltfremden Papst“. Ein katholischer Sozialethiker sprach von einem „Rückschritt“, ein anderer von einem „ziemlichen Schrottpapier“. Althammer hält das für unangemessen – daran ließ er keinen Zweifel.

Der Sozialenzyklika von Benedikt XVI. wurde vor allem ihre tugendethische Argumentation vorgehalten. Ein Blickwinkel, der bei der KHKT-Fachtagung von niemandem infrage gestellt wurde. Althammer hob gleichzeitig hervor, dass ein solcher Vorwurf auch unberechtigt wäre.

Sehr wohlwollend nahm der Referent die nüchterne Feststellung der Enzyklika hin: „Die Kirche hat keine technischen Lösungen anzubieten und beansprucht keineswegs, sich in die staatlichen Belange einzumischen. Sie hat aber zu allen Zeiten und unter allen Gegebenheiten eine Sendung der Wahrheit zu erfüllen für eine Gesellschaft, die dem Menschen und seiner Würde und Berufung gerecht wird.“

Bemerkenswert sei die Haltung der Kirche gegenüber dem „Markt“. So heißt es in der Enzyklika: „Die Kirche vertritt seit jeher, dass die Wirtschaftstätigkeit nicht als antisozial angesehen werden darf. Der Markt ist an sich nicht ein Ort der Unterdrückung des Armen durch den Reichen und darf daher auch nicht dazu werden.“

Die Soziallehre der Kirche sei der Ansicht, dass wahrhaft menschliche Beziehungen in Freundschaft und Gemeinschaft, Solidarität und Gegenseitigkeit auch innerhalb der Wirtschaftstätigkeit gelebt werden können. Jörg Althammer: „Der Markt gehört zum Tun des Menschen und muss – wie alles – moralisch gestaltet werden.“

Damit stelle sich die Kirche gegen gängige Ansichten, wie sie von Adam Smith, Max Weber und Friedrich August von Hayek vertreten werden, die den Markt teils als moralfrei und unpersönlich beschreiben. Auch wenn die Kirche die Liebe ins Zentrum rücke und seit der Enzyklika „Populorum progressio“ feststelle, dass die Ursachen der Unterentwicklung nicht in erster Linie materieller Art sind, so idealisiert sie auch nicht weltfremd.

So hält „Caritas in Veritate“ fest: „Die zunehmend globalisierte Gesellschaft macht uns zu Nachbarn, aber nicht zu Geschwistern. Die Vernunft für sich allein ist imstande, die Gleichheit unter den Menschen zu begreifen und ein bürgerliches Zusammenleben herzustellen, aber es gelingt ihr nicht, Brüderlichkeit zu schaffen.“

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Die Enzyklika richtet den Blick auch auf die „soziale Verantwortung“ der Unternehmen. Es wachse das Bewusstsein, nicht nur den Investoren gegenüber verantwortlich zu sein. Vielmehr breite sich die Grundüberzeugung aus, „nach welcher die Führung des Unternehmens nicht allein auf die Interessen der Eigentümer achten darf, sondern auch auf die von allen anderen Personenkategorien eingehen muss, die zum Leben des Unternehmens beitragen: die Arbeitnehmer, die Kunden, die Zulieferer der verschiedenen Produktionselemente, die entsprechende Gemeinde“.

Althammer hielt die Enzyklika „Caritas in Veritate“ sogar dafür geeignet, ein gesellschaftspolitisches Grundprinzip darzustellen. Dazu zitierte er: „Zum einen erfordert die Liebe die Gerechtigkeit: die Anerkennung und die Achtung der legitimen Rechte der einzelnen und der Völker. Zum andern geht die Liebe über die Gerechtigkeit hinaus und vervollständigt sie in der Logik des Gebens und Vergebens. Ferner muss besonderer Wert auf das Gemeinwohl gelegt werden.“

Bereits der erste Satz der Enzyklika fasse zusammen: „Caritas in veritate – die Liebe in der Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem irdischen Leben und vor allem mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit.“

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