Analyse: Ein Papst, der mit Konventionen brach und die Kirche umgestaltete

Papst Franziskus am 2. Februar 2025
Vatican Media

Bereits in den ersten Minuten seiner vor mehr als zwölf Jahren begonnenen Amtszeit hat Papst Franziskus signalisiert, dass er eine andere Art von Pontifex sein werde.

Als er auf der Loggia des Petersdoms erschien, verzichtete der erste Papst, der den Namen des Heiligen von Assisi trägt, darauf, die bei diesem Anlass traditionelle rote Mozzetta zu tragen. Als die Kardinäle, die ihn gerade gewählt hatten, in die Busse stiegen, die sie zu einem feierlichen Essen brachten, verzichtete der Papst auf seinen Privatwagen und stieg mit ihnen in den Bus. Bald darauf wurde bekannt gegeben, dass er nicht in den Apostolischen Palast einziehen, sondern im Gästehaus des Vatikans bleiben würde, wo er und die anderen Kardinäle während des Konklaves gewohnt hatten.

Mit diesen und vielen ähnlichen Gesten hat der Papst wiederholt seine Ablehnung gegenüber allem, was nach Adel riecht, zum Ausdruck gebracht. Das brachte ihm viel Lob für seine Bescheidenheit sowie den informellen Titel „Papst des Volkes“ ein.

Er zeigte auch eine Kühnheit, mit der er sich während seines gesamten Pontifikats durchsetzte, und veränderte eine zutiefst traditionelle Institution mehr, als die meisten Beobachter es innerhalb von nur einem Dutzend Jahren für möglich gehalten hätten.

Im Herbst 2012, wenige Monate vor dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI., fand im Vatikan eine Synode zur Neuevangelisierung statt – ein wichtiges Projekt des deutschen Papstes zur Wiederbelebung des Katholizismus in einem zunehmend glaubenslosen Westen. Kardinal Donald Wuerl aus Washington, einer der Leiter der Versammlung, beklagte einen „Tsunami des Säkularismus“, der die moderne Gesellschaft überrolle. Andere Redner sprachen ebenfalls von der Gegenkultur und warnten vor Relativismus und dem Verfall traditioneller Werte, der etwa durch die zunehmende Verbreitung der Homo-„Ehe“ veranschaulicht werde.

Der Vatikan unter Papst Franziskus war eine andere Angelegenheit. Er war Gastgeber von fünf Synoden, von denen die letzte auch Frauen als stimmberechtigte Mitglieder umfasste. Die Teilnehmer forderten eine Liberalisierung der kirchlichen Lehre oder wenigstens der kirchlichen Praxis zu Themen wie Scheidung, Homosexualität, verheiratete Priester und Frauenordination. Das Dikasterium für die Glaubenslehre erlaubte die nicht-liturgische Segnung von homosexuellen Verbindungen. Mitarbeiter der Päpstlichen Akademie für das Leben argumentierten öffentlich, dass Empfängnisverhütung, die nach der überlieferten katholischen Lehre als der Natur widersprechend verboten ist, in einigen Fällen erlaubt sein könnte.

Der Papst, der die jungen Katholiken zu Beginn seiner Amtszeit aufforderte, „ein Chaos anzurichten“, liebte es, mit Traditionen zu brechen und Normen zu missachten. Er war nicht nur revolutionär in dem Wandel, den er in der Kirche bewirkte, sondern auch in den Methoden, mit denen er dies tat. Er änderte kaum den Wortlaut der katholischen Lehre – abgesehen davon, dass er die Sprache des Katechismus gegen die Todesstrafe verschärfte. Aber er setzte neue Akzente – weniger durch offizielle lehramtliche Erklärungen als durch seine Interaktionen mit der Presse.

Nach einer Zählung des erfahrenen Vatikanjournalisten Luis Badilla hielt Papst Franziskus mehr als 40 fliegende Pressekonferenzen ab und gab mehr als 200 Interviews, darunter über 70 in Buchlänge. So etwas hatte noch kein Papst getan.

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Seine berühmtesten Aussagen waren jene, die er gegenüber Journalisten machte, vor allem eine rhetorische Frage über Homosexualität und Priester, die er während seiner ersten fliegenden Pressekonferenz im Jahr 2013 stellte: „Wer bin ich, dass ich darüber urteile?“ Diese Worte wurden zum inoffiziellen Motto seines Pontifikats, das weithin als Ausdruck einer nachsichtigen Haltung zur Sexualethik und allgemein eines versöhnlichen Umgangs mit der zeitgenössischen Kultur verstanden wurde. Ein Eindruck, den er in den folgenden Jahren nicht zerstreute, sondern eher noch verstärkte.

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„Wir können nicht nur auf Fragen im Zusammenhang mit Abtreibung, Homo-‚Ehe‘ und der Verwendung von Verhütungsmethoden bestehen“, sagte Papst Franziskus dem Jesuitenpater Antonio Spadaro in einem Interview einige Monate nach seiner Wahl. Während er betonte, dass er an der katholischen Lehre in diesen Bereichen festhalte, deutete er an, dass die Kirchenführer von diesen Themen „besessen“ seien. „Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden“, sagte er.

Obwohl der Papst oft seinen Abscheu vor der Abtreibung zum Ausdruck brachte, die er mit der Anheuerung eines Auftragsmörders verglich, um ein Problem zu lösen, schenkte er der wirtschaftlichen Ungleichheit, den Rechten von Migranten und dem Schutz der Umwelt größere Aufmerksamkeit.

Papst Franziskus hat die Führung der Kirche auf bemerkenswerte Weise verändert. Er ernannte Laien, darunter auch Frauen, zu Inhabern wichtiger Ämter des Heiligen Stuhls und des Staates der Vatikanstadt. Er übertrug einer Ordensfrau die Aufsicht über die Ordensgemeinschaften in der ganzen Welt, wobei ein Kardinal als ihr Stellvertreter fungieren soll. Nach den Maßstäben der säkularen Welt waren dies kleine Veränderungen, aber innerhalb des Vatikans wirkten sie radikal.

Der verstorbene Papst sorgte für eine noch nie dagewesene regionale Vielfalt im Kardinalskollegium. Er verringerte den Anteil der Europäer und Nordamerikaner und erhöhte den Anteil der Kardinäle aus dem globalen Süden, darunter die ersten Kardinäle in der Geschichte, die aus Ländern wie Laos, Tonga und Myanmar stammen, in denen die Zahl der Katholiken sehr gering ist. Er brach mit der Tradition, den Erzbischöfen der großen Bischofssitze wie Mailand, Los Angeles und Sydney den roten Hut aufzusetzen, und wählte eher Männer mit progressiver Gesinnung. Diese Veränderungen werden sich zweifellos auf die Dynamik des bevorstehenden Konklaves auswirken, wenn auch in einer Weise, die schwer zu berechnen ist, da Papst Franziskus seine Kardinäle nur einmal, im Februar 2014, zu einer offenen Diskussion zusammengerufen hat und die meisten von ihnen einander fremd sind.

Die Änderungen, die der verstorbene Papst an der Bischofssynode vornahm, gehören möglicherweise zu den bedeutendsten seiner institutionellen Umgestaltungen. Durch die Aufnahme von Laien und Frauen als stimmberechtigte Mitglieder einer solchen Versammlung, die zuvor faktisch auf die Bischöfe beschränkt war, und durch die Annahme ihres Abschlussberichts im Jahr 2024 als Teil seines ordentlichen Lehramts hat Papst Franziskus einen wichtigen Präzedenzfall für eine breitere Konsultation der Katholiken bei der Entwicklung der Lehre geschaffen. Er nutzte die Synode auch als Forum für die Erörterung einiger der umstrittensten Themen in der Kirche.

Doch das große Paradox an Papst Franziskus ist, dass der Verfechter der synodalen Dezentralisierung und Geißel des „Klerikalismus“ – dieser Vorwurf war einer der schwerwiegendsten in seinem reichhaltigen Lexikon der Anschuldigungen – die Macht des Amtes so konsequent ausübte wie kein anderer Pontifex in der modernen Geschichte.

Papst Franziskus erließ fast doppelt so viele Motuproprios (das päpstliche Äquivalent von Verordnungen) wie seine beiden unmittelbaren Vorgänger zusammen über einen Zeitraum, der fast dreimal so lang war. Er konnte willkürlich und selbstherrlich sein und einen Kardinal wegen angeblicher Verbrechen vor dem gerichtlichen Prozess aus den Reihen der Kardinäle entfernen. Während der Untersuchung des gescheiterten Londoner Immobiliengeschäfts, die in diesem Prozess gegen zehn Angeklagte gipfelte, änderte der Papst mehrfach vatikanisches Recht in einer Weise, die nach Ansicht der Anwälte der Angeklagten die Staatsanwaltschaft begünstigte und die Fairness des Verfahrens untergrub.

Die Männer, die bald den Nachfolger von Papst Franziskus wählen werden, suchen vielleicht nach jemandem, der weniger eigensinnig oder zumindest zurückhaltender ist, und mit ihm eine Rückkehr zu den Normen, die der verstorbene Pontifex oft missachtete. Doch selbst wenn der nächste Papst einen anderen Kurs einschlägt, lassen sich die Veränderungen des letzten Jahrzehnts nicht so leicht rückgängig machen. Papst Franziskus hat die Kirche nicht nur strukturell und personell umgestaltet, sondern auch in ihrer Sensibilität, indem er ihren Schwerpunkt in einer Weise verschoben hat, die den Katholizismus für die kommenden Jahre prägen wird.

Übersetzt und redigiert aus dem Original von Catholic News Agency (CNA), der englischsprachigen Partneragentur von CNA Deutsch.