Grenzenlose Liebe des Lamm gewordenen Hirten

Predigt von Kardinal Kurt Koch

Agnus Dei – Das Lamm Gottes – von Francisco des Zurbarán entstand um 1640. Das Original hängt heute im Museo del Prado.
Gemeinfrei (CC0)

Zum Karfreitag hat Kardinal Kurt Koch, Präsident des Rates für die Einheit der Christen, über die Ernsthaftigkeit der grenzenlosen Liebe Gottes gepredigt.

Das wahre und neue Opfer Jesu Christi besteht deshalb nicht mehr in der Übergabe von Tieren oder Sachen an Gott, sondern in der Selbstgabe des Sohnes an seinen Vater für die Menschen. Ihm konnte es nicht genügen, Gott irgendwelche materiellen Opfer darzubringen, Tieropfer und Sachopfer, wie dies im Jerusalemer Tempel der Fall gewesen ist. 

CNA dokumentiert den Wortlaut der Predigt mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Hirten.

Grenzenlose Liebe des Lamm gewordenen Hirten

Leiden und Sterben, Hingabe des Lebens und Tod bilden den cantus firmus der Liturgie am Karfreitag. Im Mittelpunkt des Wortgottesdienstes steht deshalb die Passionsgeschichte, die Geschichte des Leidens unseres Herrn Jesus Christus nach Johannes, die wir mit innerer Beteiligung gehört haben. Das Leiden Jesu Christi steht freilich in der Geschichte Gottes mit uns Menschen nicht vereinzelt da. Es hat vielmehr sein Vorausbild im alttestamentlichen Gottesknecht, der sein Leben nach dem Willen Gottes ausgerichtet hat und deshalb ins Leiden geraten ist: "Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut." Die erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja hat uns die Leidensgestalt des Gottesknechtes vor Augen geführt, der "wegen unserer Verbrechen" durchbohrt und "wegen unserer Sünden" zermalmt worden ist. In diesem Gottesknecht haben die ersten Christen ein Vorausbild des leidenden Christus gesehen, der uns in der zweiten Lesung aus dem Hebräerbrief als erhabener Hohepriester vor Augen gestellt ist, der mitfühlen kann mit unserer Schwäche. Hier begegnet uns ein äusserst sym-pathischer Gott, für den das Leiden kein Fremdwort ist, der es vielmehr mit uns Menschen teilt.

Der Wortgottesdienst am Karfreitag will uns helfen, uns für seine Botschaft und seine Zumutung zu öffnen, die darin besteht, Gott und das Leiden, die Lebensmacht Gottes und die Todeskraft der Welt zusammen zu denken. Denn diese Botschaft hat es in der heutigen Welt und in der Kirche nicht leicht. Viele Menschen und selbst Christen haben heute ein regelrechtes "Kreuz" mit dem Kreuz. Hinter dem Kreuz Jesu vermögen sie nichts anderes mehr wahrzunehmen als das Bild Gottes als eines grausamen Herrschers, dessen unnachsichtige Gerechtigkeit ein Menschenopfer, und zwar das Opfer seines eigenen Sohnes verlangt und Vergebung keineswegs unbedingt, sondern nur aufgrund des am Kreuz vergossenen Blutes gewährt.

So verbreitet dieses Bild auch heute ist, so widerspricht es völlig der Botschaft des Karfreitags. Die Lesungen in der heutigen Liturgie helfen uns, tiefer zu verstehen, worum es im Kreuzesopfer Jesu Christi geht. Denn bei diesem Opfer handelt es sich nicht um eine dingliche Sach-Gabe, sondern um eine personale Selbst-Gabe. Im Opfertod Jesu am Kreuz haben die Kirchenväter deshalb die endgültige Erfüllung der Opferung Isaaks durch Abraham erblickt. Wiewohl Abraham bereit gewesen ist, den eigenen Sohn Isaak hinzugeben und damit Gott seine grösste Liebe zu opfern, hat Gott Isaak verschont und sich mit dem Widder begnügt, der sich im Gestrüpp verfangen hat und den Abraham anstelle seines Sohnes Gott dargebracht hat. Während der alttestamentliche Isaak nicht sterben musste, sondern durch einen Widder ersetzt wurde, gibt der neue Isaak, nämlich Jesus Christus sein Leben selbst ohne jeden Ersatz dahin, wie Origenes sensibel bemerkt hat: "In wunderbarer Weise wetteifert Gott in der Freigebigkeit mit den Menschen: Abraham hat Gott einen sterblichen Sohn geopfert, ohne dass dieser sterben musste; Gott hat den unsterblichen Sohn dem Tod überliefert für die Menschen." Das wahre und neue Opfer Jesu Christi besteht deshalb nicht mehr in der Übergabe von Tieren oder Sachen an Gott, sondern in der Selbstgabe des Sohnes an seinen Vater für die Menschen. Ihm konnte es nicht genügen, Gott irgendwelche materiellen Opfer darzubringen, Tieropfer und Sachopfer, wie dies im Jerusalemer Tempel der Fall gewesen ist. Indem Jesus nicht irgendetwas, sondern sich selbst dargebracht hat, ist an die Stelle der Tieropfer im Tempel der neue Kult getreten, den Christus am Kreuz seinem Vater dargebracht hat und der im Sich-Selbst-Geben für uns Menschen besteht. In diesem neuen Kult gibt es keinen Ersatz durch Tieropfer mehr, sondern nur Einsatz des eigenen Lebens. 

Die Hingabe des eigenen Lebens zugunsten der Menschen ist das Opfer, das Jesus dargebracht hat, um uns seine Liebe zu schenken. Dieses Opfer ist gerade nicht mit dem Bösen und mit Gewalt verbunden, sondern mit Liebe. Das Kreuz Jesu ist Selbstoffenbarung und Selbstvollzug der Liebe, wie der Evangelist Johannes dieses Geheimnis in einem einzigen Satz verdichtet hat: "Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern das ewige Leben hat" (Joh 3, 16). Am Kreuzesopfer Jesu wird sichtbar und vor allem erfahrbar, dass es Liebe nicht ohne Opfer gibt. Denn Opfer ist Liebe als Hingabe des eigenen Lebens und damit Hingabe seiner selbst an die Anderen.

Um der Ernsthaftigkeit der grenzenlosen Liebe Gottes in Jesus Christus ansichtig werden zu können, lädt uns der Karfreitag ein zu bedenken, dass Christus sich dadurch als Guter Hirte erwiesen hat, dass er sich auf die Seite der geschundenen Lämmer gestellt hat und selbst Lamm geworden ist. Er begegnet uns in einer Weise, die wir Menschen von uns aus nie erwartet hätten. Wir Menschen würden ihn nämlich nicht als Lamm, sondern eher als Löwen erwarten, der mit seiner Kraft die Welt und ihre Strukturen aus den Angeln hebt und eine neue Welt schafft. Es ist gewiss kein Zufall, dass sich die Herrscher in unserer Welt immer wieder mit dem Bild des Löwen dargestellt haben, um damit ihre Macht demonstrativ zu feiern. Jesus Christus ist aber nicht als Löwe in unsere Welt gekommen. Der christliche Glaube verkündet vielmehr, dass die Erlösung der Menschen nicht durch die grossen und mächtigen Tiere in unsere Welt kommt, dass Jesus vielmehr als Lamm zu uns Menschen kommt und damit in der Kraft seiner wehrlosen Liebe, die freilich die konkrete Weise seiner Macht ist.

"Gott kommt als Lamm, das ist die Erlösung der Welt." In diesem einfachen, aber inhaltsschweren Satz hat Papst Benedikt XVI. die Botschaft des Karfreitags einmal zusammengefasst. Diese Botschaft macht uns froh und weckt in uns Dankbarkeit für das grösste Geschenk der Liebe, die uns Gott bereitet hat. In dieser Grundhaltung der Dankbarkeit feiern wir Karfreitag und verehren wir das Kreuz Jesu als Zeichen seiner grenzenlosen Liebe. Wir vollziehen dies in der Gewissheit, dass wir am Kreuz Jesus Christus als Lamm begegnen und dass uns deshalb Erlösung geschenkt ist: "Gott kommt als Lamm, das ist die Erlösung der Welt." Amen.

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