Am Fest Kreuzerhöhung hat Kardinal Gerhard Müller in Lugano in seiner Predigt an die Botschaft von Kreuz und Erlösung erinnert, mit markanten, unverwechselbar katholischen Worten: "Wir sollen uns zu ihm bekennen nicht im Sinne der Symbolik einer Zivilreligion, um uns mit dem Verweis auf die christlichen Werte als Wurzeln der westlichen Kultur zu rechtfertigen gegenüber einer im Innersten dechristianisierten Umwelt. Das Christentum ist kein Kulturprogramm, wenn es auch die Wurzel aller Humanität für jede Kultur werden kann."

Kardinal Müller deutet die Signaturen der Zeit in vielen Staaten und in der Gesellschaft, aber auch in der verweltlichten Kirche. Manche Repräsentanten möchten sich nett, geschmeidig und verbindlich einfügen in eine saturierte Biederkeit und ein laues Wohlleben. Die kulturchristliche Rede von den Werten ist höchst unbestimmt. Der christliche Glaube taugt aber nicht als Dekoration des Alltags und zur Verschönerung einer weltlichen Existenzweise. Die Lehre der Kirche weist auf unsere Mängel, Fehler und Schwächen hin – darum ist sie vielen zum Kreuz geworden. Auch das Fegefeuer ist übrigens weder Erfindung noch Symbolbild. Manchmal entsteht der Eindruck, als wolle die Kirche sich vollständig der Welt angleichen. Der postmoderne Kulturchrist von heute möchte sich von allen Lasten befreien. Genannt wird das dann manchmal Emanzipation. Wenn die Sünde unzeitgemäß und störend erscheint, wird der Begriff entsorgt – und das Sündenbewusstsein getilgt. Der Wirklichkeit der Sünde tut es aber keinen Abbruch, auch wenn kein Mensch mehr daran glauben würde. Neben dem Relativismus ist auch die Banalisierung des Christentums höchst virulent. Wer das Kreuz ablege, so Kardinal Müller, der verleugne den Herrn. Wie glaubwürdig, so fragen wir uns, wäre eine Kirche, die der Botschaft, die ihr anvertraut ist, nicht mehr traut?

Ich erinnere mich an die säkularisierte Welt der frühen 1980er-Jahre. An dem Gymnasium, das ich so pflichtschuldig wie freudlos besuchte, wurde für die wenigen Katholiken, die dort zur Schule gingen, irgendwann Religionsunterricht angeboten. Als der Klassenlehrer – natürlich ein Katholik – das verkündete, brach im Klassenzimmer große Heiterkeit aus. Von 35 Schülern hatten fünf Katholiken also von nun an zwei Stunden mehr Unterricht pro Woche. Aus verschiedenen Klassen wurden wir damals am frühen Nachmittag zusammengeführt.

In dieser Schule war bis zum Abitur mitunter von Humanität die Rede, aber die Spuren eines galligen Zynismus waren allgegenwärtig. Ich weiß noch gut, als ich an einem Aschermittwoch nach der heiligen Messe das Klassenzimmer betrat. Die Spuren des Aschenkreuzes waren noch sichtbar an meiner Stirn. Ein Mitschüler fragte: "Hast du dir die Zigarette an der Stirn ausgedrückt?" Der Lehrer, jenseits aller Konfessionen stehend oder vielleicht gerade noch Protestant, lachte und kommentierte: "Ich sage ja immer: Nur die Harten kommen durch." Ich schwieg damals und sah keine Veranlassung, mir die Asche von der Stirn zu wischen.

In den Schulen dieser Welt können wir einiges lernen. Manches prägt so sehr viel mehr als der offizielle Lehrstoff. An der Universität – auch im Fach katholische Theologie – setzt sich dieser Weg dann manchmal fort. Wie ernst nimmt die Theologie von heute die Botschaft vom Kreuz? Im Berufsleben verhält es sich nicht anders, in der Familie sehr oft auch nicht. Wir Katholiken bekennen uns zum gekreuzigten Herrn Jesus Christus und wollen uns nicht von Ihm und Seinem Kreuz emanzipieren. Wir sollen es nicht verleugnen, sondern wir sind dazu berufen, unser Kreuz zu tragen. Kardinal Müller beendete seine Predigt mit den Worten: "Zum Zeichen des Heiles für jeden Menschen beten wir in froher Gewissheit: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung." So ist es – so und nicht anders. So stehen wir alle in der Weggemeinschaft der Kirche aller Zeiten und Orte auf weltlich verlorenem Posten und sind von innen her erfüllt von himmlischen Aussichten.

Das könnte Sie auch interessieren: 

https://twitter.com/cnadeutsch/status/1110081719661723653?s=20