Im weihnachtlichen Schmuck sieht man den Reichtum der Völker Europas

Interview mit Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in der kroatischen Wochenzeitung „Glas Koncila“ Ausgabe zu Weinachten 2021

Die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz.
Bistum Münster

Auf phänomenologischer Ebene ist das Christentum eine der großen Weltreligionen. Für Christen aber ist ihr Glauben mehr als Religion. Das hat wohl mit Weihnachten zu tun…

Glaube ist mehr als Religion. Religion ist der Brückenbau von der Welt zu den Göttern; Glaube aber antwortet auf die Brücke Gottes zur Welt. Er ist Annahme einer Offenbarung Gottes, die wir uns nicht ausdenken. So vieles in der Bibel geht über unser Begreifen: Denken wir nur naheliegend an die Geburt Gottes in die Zeit, in eine bestimmte Kultur, in die Enge unseres menschlichen Daseins. Alte, auch mythische Bilder anderer Religionen werden eingelöst und bewahrt, aber sie werden vor allem überholt durch das eine, einmalige, wirkliche Geschehen. Die Evangelien berichten Wirklichkeit: Empfängnis, Geburt, Kindheit, Reifejahre und Tod Jesu in genau überprüfbarer, historischer Zeit. Auch seine Mutter ist nicht eine der großen Muttergöttinnen; sie ist ein Mensch mit allem Glück und Leid, uns wunderbar verwandt, aber auch wunderbar ohne Schuld, anders als wir - aber wir gehen darauf zu… Daß Gott ein Mensch wird und eine Mutter hat - das ist Offenbarung.

Wie würden Sie aus religionsphilosophischen Perspektive – also „von außen“, als eine neutrale Betrachterin, wenn es überhaupt möglich ist – das Weihnachtsmysterium als „Novum“ in der Geschichte beschreiben?

Die alte Welt erlebte ihre Götter als Wesen der Macht. Die rohe Kraft der Götzen zeigte sich in Naturgewalten, im unzähmbaren Trieb, im rätselhaften, oft furchterregenden Verhängnis. Die Götter kamen überfallartig über den Menschen, prägten, verwirrten, begeisterten ihn und ließen ihn dann wieder in Ruhe. Andere Götter wurden ebenfalls „geboren“, aber im Rhythmus der Jahreszeiten, und sie starben mit diesem Rhythmus. Götter sind Ausdruck der Naturmächte, des Werdens und Vergehens, apersonale Mächte. Aber das kleine Israel, unscheinbar zwischen den Großreichen und ihren Religionen, behauptete etwas anderes über Gott. Seine Priester schrieben gleich am Anfang ihres Heiligen Buches einen Satz, der weltberühmt wurde: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis.“ „Bild“ (zelem) meinte wörtlich die Götterstatuen, die von ferne in den Tempeln schimmern. Der Satz heißt also eigentlich: „Gott schuf den Menschen als sein Götterbild.“ Das bewirkte eine geistige Explosion: Das echte Abbild Gottes ist der Mensch - nicht die Statuen aus Lehm und Gold, und ebenso wenig Feuer, Sturm und Erdbeben. Die Propheten hatten außerdem vorausgesagt, es werde noch mehr Undenkbares geschehen: nämlich die Geburt eines wunderbaren Kindes durch eine Jungfrau. So genau waren die Prophezeiungen, dass sogar von dem Dorf Bethlehem dabei die Rede war. Nur die Zeit dieser Geburt war unklar. Alle, die dann später das Kind sahen, hatten mit Verblüffung zu kämpfen, davon berichten Matthäus und Lukas. Ein neugeborener kleiner Gott in Windeln, eine für Tiere eingerichtete Unterkunft… Auch die Magier, die von einem Stern gelockt aus dem Osten anreisten, erwarteten ein königliches Kind, ausgewiesen durch die Abzeichen hoher Herkunft und vornehme Eltern. Was sie sahen, war Armut, sogar Dürftigkeit. Sie selbst waren Vertreter großen antiken Wissens, Astronomen und Mathematiker, die die Bewegungen der Sterne sakral deuten konnten. Aber dass die göttliche Herrlichkeit sich auf eine stallähnliche Höhle senkte, war unerwartet. Und doch so stark, dass sie niederfielen und anbeteten.

Also: Die Geburt Jesu ist einmalig und in ihren Umständen merkwürdig anders als erwartet, ebenso wie sein Tod. Gott wird ein wirklicher Mensch, mit einem bestimmten, aber unerwarteten Lebenslauf. Er ist nicht mehr Verkörperung von Natur, er steht in der Geschichte, in der völligen Freiheit seines Willens.

 

Wir wissen, dass es in den ersten drei Jahrhunderten des Christentums kein Weihnachtsfest gab. Kann ein Zufall sein, dass es sich zum wichtigsten Fest des Christentums nach Ostern entwickelt hat?

Tod und Auferstehung Jesu sind die größten Herausforderungen, die Gott zu glauben aufgibt. Denn Jesus zeigte sich leibhaft, berührbar, sogar mit seinen Wunden nach der Auferstehung. Andere Religionen sprechen nur vom Fortleben der Seele ohne Leib, oder nur von einer Wanderung der Seele durch die Materie, letztlich bleibt sie unerlöst und zerfällt. Aber: Immer ist das Fleisch der „Angelpunkt“ des Christentums: caro cardo. Deswegen wird die Geburt Jesu später logisch ebenso zum Angelpunkt des Glaubens: Gott im Fleisch (nicht nur in der Maske eines Menschen). Das führt in eine völlig neue Weltsicht, apokalyptisch: in das kommende neue Leben im neuen Leib auf der neuen Erde. Aber das Neue erlöst das Alte und zerstört es nicht. Wir sprechen vom verklärten = pneumatischen Leib nach dem Tod, so wie Jesus verklärt erschien. Der Anfang dieses Begreifens ist seine Geburt. 

Mehr in Europa

 

Die Menschwerdung Gottes hat natürlich das Menschenbild geprägt. Gerade Weihnachtsevangelien aber auch das Reichtum der Weihnachtstraditionen verschiedener Völker, vor allem europäischer Völker, könnten als ein besonderer Ausdruck, eine „Beschreibung“ dieses Menschenbildes betrachtet werden. Stimmen Sie zu?

Weltweit feiern die Kulturen nun oft recht merkwürdige Weihnachten - unter dem Namen Xmas: Da hört man schon nicht mehr, worum es geht. Oder man spricht von „Jahresendfeiern“. Tief im Kern sollen wir aber von der Geburt des Kindes sprechen, das alles verändert hat. In Europa haben wir unglaublich schöne Festfeiern entwickelt: herrliche Musik, brennende Kerzen, bunter Christbaum, strahlende Christmette, lange Freudentage bis zu den Heiligen Drei Königen am 6. 1., und zuvor schon die lange Erwartung im Advent. Ostern ist im Vergleich dazu eher karg ausgestaltet, nicht im Gedanken und Glauben, aber in der Volksfrömmigkeit. Besonders schön: Jede Nation hat ihre eigene Art, sich über die Geburt Jesu zu freuen. Im festlichen Schmuck sieht man den Reichtum der Völker Europas. Bei uns spielen die Kinder die Herbergssuche von Maria und Joseph oder ziehen als die Heiligen Drei Könige von Haus zu Haus und bitte um Gaben für arme Kinder. 

 

Wenn man große Sorgen der Kirche durch die „Jahre“ betrachten würde, die der Papst in der letzten Zeit ausgerufen hat, dann sind es: die Familie, die Figur des Vaters und die Bewahrung der Schöpfung. Sehr „weihnachtliche“ Bereiche…

Hier berühren wir die heutige Gefahr: die Familie aufzulösen. Das geschieht leider indirekt durch die politische Betonung anderer Formen des Zusammenlebens: wo Partner sich getrennt oder gar nie wirklich verbunden haben, wo Kinder aus verschiedenen Partnerschaften zusammenkommen oder sich an neue Partner ihrer Eltern gewöhnen müssen, wo gleichgeschlechtliches Zusammenleben als „Ehe“ propagiert wird, wo letztlich Kinder bei einer Leihmutter bestellt und bezahlt werden. Dabei ist der leibliche Vater in der Beziehung zu Kindern unersetzlich, wie wir aus humanwissenschaftlicher Forschung wissen. Kinder, die mit Hilfe einer Samenbank gezeugt wurden, fragen nach ihrem Vater; in Schweden muß dabei jetzt die Identität des Vaters dem Kind auf Befragung mitgeteilt werden. Schöpfung: Wir haben eigentlich dabei fast nur das Klima oder „Bio“-Produkte im Blick. Aber wir selbst sind auch Schöpfung, auch Biologie, haben eine Natur, sind nicht nur eine Selbst-Konstruktion nach eigenem Willen. Daß heute das eigene Geschlecht operativ und hormonell „umgebaut“ werden kann, allerdings nur oberflächlich, ist ein Zeichen, daß wir die Herkunft aus dem göttlich-väterlichen Willen nicht sehen, nicht achten, nicht begreifen. Die Annahme seiner selbst wäre die Aufgabe und der Dank.

 

Weihnachten ist das gesellschaftlich sichtbarste christliche Fest, und zwar ganz konkret: an Plätzen und Straßen, in Schulen und Kindergärten, letztlich in der Alltagssprache. In der letzten Zeit sind wir Zeugen – vor kurzem gab es ein Versuch auch in der EK - einer „Entchristianisierung“, einer politisch-korrekten Säuberung des Weihnachten: die äußere Struktur des Festes soll bleiben, aber ohne Symbole, die auf ursprüngliche Inhalte hinweisen. Weihnachten ohne Weihnachten, würde man sagen…

  1. S. Lewis (Autor von „Narnia“) hat einen meisterhaften kleinen Aufsatz über „Xmas und Christmas“ geschrieben, getarnt als „verschollenes Werk“ des Historikers Herodot. Dieser beobachtet auf einer Reise nach Westen im Dezember ein unverständliches Treiben für den Tag Xmas. Alle tauschen Geschenke aus und schreiben zwanghaft zahlreiche, belanglose Glückwünsche, sind an Xmas dann völlig erschöpft. Dann aber entdeckt „Herodot“ ein geheimnisvolles Fest namens Christmas bei einer Minderheit: Sie feiet die Geburt eines Gottes in einer Höhle feiert und zeigt dabei sichtlich große Freude… Er fragt sich: Haben die beiden Vorgänge überhaupt miteinander zu tun? Das bleibt letztlich unklar, und er vermutet zwei ganz getrennte Ursachen… 

 

Man könnte weiter denken und eine Frage aus der Sicht der Sākularisten stellen: Kann man überhaupt das „Gute“ des Christentums bewahren ohne das expliziten Christentum: ohne Gott, der Mensch geworden ist, ohne Zärtlichkeit Gottes, die in der Zärtlichkeit des Gotteskindes, in der Zärtlichkeit Mariens und Josephs sichtbar wird…? Oder: Wohin geht unsere westliche Kultur und Zivilisation ohne ihren christlichen Wurzeln? Ist sie wieder zum Heidentum verurteilt? 

Die europäische Neuzeit hat das Gute nurmehr als das Sittliche oder als Pflicht verstanden, so bei Kant. Damit trennt sie es vom Heilig-Guten. Zwischen Gott und dem Menschen wird das Gute, das durch die Schrift oder durch die Schöpfung freigelegt wird, unsicher. Es kommt zur weit verstandenen Autonomie der Person; so letztlich in der Aufklärung. Sie missversteht die menschliche Autonomie, als sei Gott eine heteronome = fremdgesetzliche Moralinstanz. Daher wird das Sittengesetz bei Kant letztlich zu einem Vernunftgesetz: Wenn ich selbst begreife, was vernünftig und gut ist, tastet das meine menschliche Freiheit nicht an; Gutes tun ist Entschluss meiner Vernunft. Das Sittlich-Gute wird damit vom Heilig-Guten abgeschnitten und dem eigenen Einsehen unterstellt. Ohne diese Verbindung kommt es heute zu merkwürdigen Freiheitsentwürfen: „freie“ Abtreibung eines ungewollten Kindes, „freier Suizid“, „freie“ Selbstwahl des Geschlechts… Eine solche unverstandene Freiheit führt zur Freiheit der (Selbst-)Zerstörung. Hegel sagte, die höchste Freiheit sei diejenige eines Leichnams, zu verwesen.

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Wenn man Ihre Interessen betrachtet, da fallen zwei große Figuren des 20. Jahrhunderts auf. Eine ist Romano Guardini, der Theologe, an dessen Aktualität auch die Enzyklika „Laudato sì“ erinnert. Können Sie aus seinem Opus einen Gedanken auswählen, den Sie besonders für dieses Weihnachten geeignet finden? 

Guardini ist ein unvergleichlicher Lehrer. Er zeigt auf unsere doppelte Geburt: „ Unser Bewußtsein reicht an unsere natürliche Geburt nicht heran. Die liegt für uns im Dunkeln, und erst langsam dringt Welle um Welle unseres Lebens ins Licht des Bewußtseins. Das Meiste aber bleibt doch im Dunkeln. Und das ist gut so. So ist es auch hier. Auch die Geburt unseres göttlichen Lebens liegt im Dunkeln; im Geheimnis der Taufe, der Gnade, im Schoße Gottes. Und wir erfahren nur, wie dieses Leben sich von Zeit zu Zeit ins Bewußtsein hebt. Wie merken seinen Anruf, seine Mahnungen und Gebote. Wir ahnen seine ewigen Möglichkeiten. Und wir sollen glauben, daß dieses Leben wirklich ist; wirklicher noch als das andere. (...) Von Gott ist dieses Leben in unser Leben hineingeboren, und wir glauben, daß dieser Gott ihm helfen und es zur Freiheit führen werde. Daß er die Dinge auf uns zuführen werde, die ihm gut tun (...) Dazu gehört aber auch der Glaube, daß diese Welt keine starre Maschine ist, sondern in Gottes Hand liegt. Daß immerfort das Geheimnis des göttlichen Waltens durch die Welt geht.“                 Romano Guardini, Die Glaubwürdigkeit des Erziehers, in: Quickborn 16, 6 (Februar 1929), 83.

 

Können Sie dasselbe für hl. Edith Stein, die zweite Figur Ihres Interesses, machen?

Unsere neue Patronin Europas hat einen Rat, wie man Weihnachten „verlängern“, immer wirklicher machen kann: „Der Heiland, der weiß, daß wir Menschen sind und Menschen bleiben, die täglich mit menschlichen Schwächen zu kämpfen haben, er kommt unserer Menschlichkeit auf wahrhaft göttliche Weise zu Hilfe. Wie der irdische Leib des täglichen Brotes bedarf, so verlangt auch der göttliche Leib in uns nach dauernder Ernährung. „Dieses ist das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Wer es wahrhaft zu seinem täglichen Brot macht, in dem vollzieht sich täglich das Weihnachtsgeheimnis, die Menschwerdung des Wortes.“

Edith Stein, Das Weihnachtsgeheimnis, in: dies., Geistliche Texte I, Edith Stein Gesamtausgabe (ESGA) 19, Freiburg 20, 12.

 

Auch vor dem Corona Virus lebte man, auch in Europa, in der Zeit großer Unsicherheiten. Jetzt sind nicht nur die Unsicherheiten und Ängste deutlicher geworden sind, sondern sind auch Menschen geteilt, sogar die Christen, sogar praktizierende Gläubige. Wo die einen ein „Licht am Ende des Tunnels“ sehen und daraus auch moralische Folgen ziehen, sehen die anderen Herrschaft der säkularen Religion und Rückkehr des staatlichen Totalitarismus und Apartheid. Kann uns Weihnachten in dieser Situation etwas sagen?

Manche Züge der heutigen Unsicherheit wirken apokalyptisch. Tatsächlich ist die Beherrschung des Virus nicht im Blick; seine Folgen können gemildert, aber seine Bedrohung in immer neuen Varianten kann nicht aufgehoben werden. Ob das Virus schon ein Vorbote der endgültigen Apokalypse ist, können wir nicht wissen; jede Zeit hat ihre eigene Art des Erschreckens und der Unerlöstheit. Erinnern wir uns aber an das seltsame Wort Jesu, als er über die Apokalypse sprach: „Wenn ihr das alles aber kommen seht: Erhebt eure Häupter! Denn eure Erlösung ist nahe“. (Lk 21,28) Großartig. Mut sollen wir fassen. Der Herr ist immer noch der Herr, wirklich über alles, und wenn er kommt, wird etwas Neues, Großes offen werden. Also: Hoch die Häupter!

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Glas Koncila ("Der Stimm des Konzils") in Zagreb.

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