Die letzten Meter mit Jesus gehen

Interview mit Monsignore Florian Kolfhaus, Autor von „Via Dolorosa: Der Kreuzweg Christi" über die Suizidbeihilfe-Debatte, Leiden und Sterben

Szene aus dem Kreuzweg von Pfettisheim (Frankreich)
Szene aus dem Kreuzweg von Pfettisheim (Frankreich)
Pethrus via Wikimedia
Monsignore Dr. Florian Kolfhaus ist Priester des Bistums Regensburg und Mitarbeiter des Päpstlichen Staatssekretariates. Dort ist er für den Kontakt zu den internationalen Behörden wie OSZE, NATO und WHO zuständig.
Monsignore Dr. Florian Kolfhaus ist Priester des Bistums Regensburg und Mitarbeiter des Päpstlichen Staatssekretariates. Dort ist er für den Kontakt zu den internationalen Behörden wie OSZE, NATO und WHO zuständig.
privat

In wenigen Tagen, am Freitag, 6. November stimmen die deutschen Parlamentarier über die Straffreiheit zur Suizidbeihilfe (§ 217 StGB) ab. Es liegen vier Gesetz-Entwürfe vor – wie CNA berichtete – von denen christliche Mediziner wie Professor Christoph von Ritter nur einen empfehlen: Den Sensburg/Dörflinger-Entwurf. Dahinter steckt ein tieferes Thema, dass alle Menschen betrifft und einen wichtigen Zugang zu Jesus Christus darstellt, wie Monsignore Florian Kolfhaus erklärt. Der Priester ist Mitarbeiter im Staatssekretariat des Vatikans und Autor von "Via Dolorosa: Der Kreuzweg Christi".

 

CNA: Monsignore Kolfhaus, in der aktuellen Debatte um Sterbehilfe und einen würdevollen Tod geht es vor allem darum, das schreckliche Leid und die Schmerzen zu lindern, wenn jemand stirbt, oder? Ist diese Perspektive auch aus christlicher Sicht nicht legitim?

KOLFHAUS: Wenn es um die Frage nach dem Leid im Leben des Menschen geht, dürfen wir, so meine ich, nicht zu schnell und nicht zu fromm antworten. Wir müssen den Schmerz ernst nehmen, der Menschen in die Verzweiflung treiben kann und können ihn nicht einfach mit dem Wort vom "Kreuztragen" wegreden. Schon gar nicht dürfen wir uns auf geistliche Reden beschränken, wenn wir armen, hungernden und kranken Menschen durch unsere Tat helfen können. Gott läßt das Leid auch deshalb zu, damit wir an anderen unsere Liebe zeigen können. Freilich gibt es Schmerzen, die wir nicht heilen können. Ihr tiefster Sinn bleibt uns oft verborgen, und wir schreien "warum?". Hier helfen keine Predigten, sondern allein der gläubige Blick auf Jesus, der sein Kreuz trägt. Wenn Gottes Sohn seine Last nicht abgeworfen hat, obwohl er es hätte tun können, so ist auch die meine nicht sinnlos, wenn ich mit ihm gehe. Dazu will mein Kreuzwegbüchlein helfen, das in sehr drastischen Bildern auf Jesu Leiden verweist. Ich habe von einem Mann erfahren, der sich umbringen wollte, weil er sein Krebsleiden nicht mehr ertragen konnte und wußte, dass er ohnehin bald sterben werde. Der Kreuzweg hat ihm zu der Entscheidung verholfen, auch die letzten Meter zu gehen – weil er spüren durfte, dass er doch nicht allein ist, sondern Jesus mit ihm ist.

CNA: Der Umgang mit Leid und Tod ist jetzt im sogenannten "Totenmonat" ja ohnehin Thema. Aber sonst scheinen Tod, Sterben und das Leiden allgemein eher ein Sujet zu sein, dass unsere Zeit vermeiden will, weil sich damit auch die Frage nach dem Warum unseres Lebens sehr klar und oft schmerzlich stellt. Welche Antworten hat darauf das Christentum?

KOLFHAUS: Leiden und Tod haben in Gottes ursprünglichem Plan für den Menschen keinen Platz. In Maria sehen wir, wie der Mensch geplant war: ohne Sünde und ohne Tod. Adam's Ungehorsam, den wir leider immer wieder in unserem Leben nachahmen, hat uns das Paradies gekostet. Der Herr aber läßt Leid und Tod nicht das letzte Wort, sondern hat durch sein Kreuz und seine Auferstehung über all das, was uns erschreckt, bedroht udn ewig unglücklich machen kann, gesiegt. Das ist die frohe Botschaft der Erlösung. Es gibt kein sinnloses Leid und keinen endgültigen Untergang für den, der an Jesus glaubt und ihm nachfolgt. Ja, es ist sogar so, dass Schmerz und Angst für den, der sich am Herrn festhält, zu einer Chance werden können, in Vertrauen und Liebe zu reifen. Freilich kann das Kreuz verbittern, aber wie viele Menschen, die Schweres erlitten haben, sind dadurch auch innerlich gewachsen und heilig geworden. In meinem Buch schreibe ich: Die Engel lieben, ohne zu leiden. Die Dämonen leiden, ohne zu lieben. Wir Menschen sollen - und das ist die große Herausforderung in diesem Leben - leiden und lieben. Kein Opfer aus Liebe ist verloren oder umsonst. Das ist unsere christliche Hoffnung.

CNA: Wie kann die Kirche, wie können wir Christen diese Antworten für uns selber geben?

KOLFHAUS: Die Theologie kennt überzeugende Antworten auf die Theodizeefrage ,d.h. warum der gute Gott menschliches Leiden zuläßt. Dem vor Schmerzen schreienden Kranken oder der um ihr Kind traurenden Mutter hilft das nur wenig. Wer leidet, sucht eine Hand, die ihn hält. Er streckt sich, vielleicht ohne es zu wissen, nach Gott aus, der manchmal der Einzige ist, der noch helfen kann. Beim Beten des Kreuzwegs oder des schmerzhaften Rosenkranzes oder auch beim wortlosen Verweilen vor dem Tabernakel können wir erfahren, dass wir selbst in großer Not nicht alleine sind. Gottes Liebe übersteigt unsere menschlichen Worte und Gedanke, aber sie zeigt sich im durchbohrten Herz des Sohnes am Kreuz, der uns mehr liebt als wir erahnen können.

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CNA: Früher hat man den Kreuzweg ja traditionell in der Fastenzeit oder an Freitagen gerne gebetet. Ist das heute noch zeitgemäß?

KOLFHAUS: Warum sollte es nicht zeitgemäß sein? Gerade heute in einer immer lauter und unruhiger werdenden Welt, scheint es mir hilfreich, den Tag und die Woche geistlich zu ordnen, um immer wieder innezuhalten und auf das wesentliche auszurichten. Es ist gut, morgens und abends zu beten, den Sonntag von Arbeit freizuhalten, am Samstag in besonderer Weise Maria zu ehren und eben am Freitag eine spezielle Andacht zum Leiden Jesu zu pflegen, z. B. den Kreuzweg oder die Schriftlesung über seine Passion. Auch das langsame Abschreiten der Stationen, sei es in einer Kirche, sei es auf einem Kreuzweg im Freien ist hilfreich, um mit Leib und Seele zu beten. Das ist zutiefst ganzheitliche, körperbewußte, moderne Spiritualität, die die Kirche schon seit Jahrhunderten empfiehlt und die es wiederzuentdecken gilt. 

CNA: Wenn jemand den Kreuzweg noch nie gebetet hat: Wie kann sie oder er damit am besten anfangen?

KOLFHAUS: Ich habe einen Kreuzweg geschrieben, in dem Jesus spricht und sein Leiden beschreibt. Es genügt, diese Texte zu lesen und auf den Herrn zu hören bzw. ihn mit den Augen des Herzens zu schauen. Gerade beim Beten des Kreuzwegs geht es ja nicht darum, "fromme" Worte zu sagen, sondern selbst betroffen zu werden und innerlich zu verspüren, was da vor 2000 Jahren geschehen ist: Jesus macht aus der Via Dolorosa eine Via Amorosa, die auch für mich gangbar ist, wenn ich dem  nachfolge, der mich liebt. Wichtig ist, dass man sich zum Betrachten des Kreuzwegs Zeit nimmt, um nicht von Station zu Station zu hetzen, sondern langsam, Schritt für Schritt, Gedanke für Gedanke, die schmerzensreiche Straße unserer Erlösung zu gehen.

 

Das Buch "Via Dolorosa: Der Kreuzweg Christi" ist 2012 im Dominus Verlag erschienen.

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