Interview: "Trägt die Theologie zur Begründung des Glaubens bei?"

Professor Andreas Wollbold
Regina Frey

Steckt die deutsche Theologie in einer Krise? Während die einen von einem "Theologen-Mangel" sprechen, beklagen andere, dass aktuelle deutsche Theologen in der Rezeption im Ausland kaum noch eine Rolle spielen.

Andreas Wollbold ist Professor für Pastoraltheologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und sprach mit CNA Deutsch über die aktuelle Lage der Theologie in Deutschland.

In einem Beitrag auf "katholisch.de" ist davon die Rede, dass in Deutschland "Theologen-Mangel" herrsche. Stimmt dieser Eindruck? 

Das Studium der Theologie ist in Deutschland weder ein Massen- noch ein Orchideenfach. Das gilt für die katholische Theologie ebenso wie für die evangelische. Es grenzt schon an ein Wunder, dass immer noch viele junge Menschen dieses Fach wählen, wenn man bedenkt, dass die 18- bis 30-Jährigen im gewöhnlichen Gottesdienst, in den Gemeinden und den kirchlichen Vereinigungen exotische Schmetterlinge geworden sind. Sich etwa fünf Jahre lang intensiv mit der Heiligen Schrift, dem Glauben und dem christlichen Leben zu beschäftigen, das stellt erst einmal ein gewaltiges Potenzial für jeden Einzelnen ebenso wie für die Kirche dar. Das darf man auf keinen Fall kaputtreden.

Befindet sich die Theologie in Deutschland in der Krise?

Für eine faire, sachgerechte Diagnose müsste man sehr viele Parameter heranziehen: etwa Forschungs- und Publikationsleistung, Relevanz für gesellschaftliche Debatten, Vernetzung mit nicht-theologischen Wissenschaften, Nachwuchssituation, aber auch didaktisches Geschick und Studienzufriedenheit. Bei all diesen Punkten gibt es deutliche Problemzonen, aber auch hoffnungsvolle Ansätze. An einer so angesehenen Universität wie meiner Münchner sind die Theologien selbstverständlicher Teil der Hochschule.

Doch selbst wenn all das strahlend dastehen würde, bliebe noch die entscheidende Frage: Trägt die Theologie zur Begründung und Vertiefung des Glaubens bei oder nicht? Hat jemand am Ende seines Studiums das Haus seines Glaubens auf Sand oder auf Fels gebaut? Das ist wohl die alles überragende Grundfrage.

Auch darauf gibt es keine Antworten, die man rasch aus der Hüfte schießen kann. Gewiss gibt es in diesem Punkt aber noch eine Menge zu tun.

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Im erwähnten Artikel heißt es: "Die Theologie im deutschsprachigen Raum hat so wie die nordamerikanische weltweit eine hohe wissenschaftliche Reputation und Bedeutung". Überschätzen deutsche Theologen ihren Einfluss?

Naja, so etwas kann man behaupten, solange die Bemessungskriterien nicht eindeutig sind. Die Reputation betrifft vor allem innertheologische Kreise, die sich wechselseitig zitieren, zu Tagungen einladen und alle paar Jahre irgendeinen "turn" ausrufen, also einen angeblich bahnbrechenden neuen Ansatz. Außerhalb der Theologie und Kirche spielen die theologischen Debatten kaum eine Rolle. In Nordamerika findet ein Großteil der religionsbezogenen Spitzenforschung inzwischen hauptsächlich an nicht konfessionsgebundenen Instituten statt.

Die Kenntnis und Auseinandersetzung mit deutscher Theologie ist weltweit zurückgegangen, unter anderem auch wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Unter den großen Intellektuellen der Bundesrepublik finden sich kaum Theologen. Ich frage mich allerdings, ob für die Theologie die Messlatte der Reputation und des Einflusses überhaupt angemessen ist. Theologie setzt den Glauben voraus, und darum sind ihre Aussagen in einer säkularen Welt doch sehr hochschwellig.

Letztlich dürfte eine christlich inspirierte Philosophie oder auch etwa Kunst- und Literaturwissenschaft leichter in den Dialog treten können. Wenn die Theologie dagegen den Glauben einklammert, nur um nach außen Gehör zu finden, wird sie unweigerlich zu bloßem Geschwätz.

Von allen Theologie-Studenten macht der Anteil derer, die das Vollstudium wählen, lediglich 10 Prozent aus. Worin sehen Sie die Ursachen?

Ich mag den Begriff "Vollstudium" nicht. Gewiss, das Magister-Studium widmet sich ausschließlich der Theologie und kann diese darum ganz anders vertiefen als etwa ein Lehramtsstudium, das ja immer auch große pädagogische Anteile oder auch ein regelrechtes zweites Fach einschließt. Magister und Lehramt sind ganz unterschiedliche Studiengänge, aber beides ist jeweils ein vollgültiges Studium.

"Vollstudium" suggeriert dagegen, dass die anderen 90 % irgendwie nur Halb-oder Viertel-Theologen sind, und das ist falsch. Wer zum Beispiel gleichzeitig Latein und Griechisch studiert, hat ein klares Plus bei der Beschäftigung mit der Bibel und Texten der kirchlichen Tradition, und Mathematiker können auch mir als Pastoraltheologen in Statistik Nachhilfeunterricht geben.

Nebenbei, bei uns in München machen die Magister 25 % aller Immatrikulierten aus, und das Verhältnis des Magisterstudiums zum Lehramt ist sogar 35 % zu 65 %. Entscheidend ist, dass wir seit Jahren wachsende Zahlen im Magisterstudiengang haben. Darunter machen inzwischen die größte Gruppe diejenigen aus, die keinen pastoralen Beruf anstreben. Das hat sich dramatisch verändert. Ihnen Perspektiven für die Zeit nach dem Studium zu eröffnen ist darum eine Überlebensfrage der theologischen Fakultäten.

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Wirbt die Kirche zu wenig für das Theologie-Studium?

Werbung fürs Studium ist sicher hauptsächlich Sache der theologischen Fakultäten und Institute selbst. Da ist sicher noch Luft nach oben, etwa im frühzeitigen Kontakt mit Interessierten aus den Oberstufenklassen. Die Kirche sollte gewiss das Potenzial der jungen Leute erkennen und mit ihnen berufliche Perspektiven entwickeln. Angesichts sinkender Kirchensteuerzahlen wird das nicht einfach in einem üppigen Stellenangebot bestehen können. Aber die Zeit des Theologiestudiums könnte auch ein Hotspot der Berufungspastoral werden. Da geschieht sicher noch viel zu wenig.

Welche Zukunft haben die theologischen Fakultäten in Deutschland angesichts des massiven Rückgangs?

Wie gesagt, zumindest große Fakultäten wie die unsere können nicht von Rückgang reden. Zahlenmäßig ist die Situation erstaunlich stabil, jetzt gilt es, die Chancen des Studiums und der Begegnung mit so vielen glaubenswilligen jungen Leuten auch zu nutzen. Institutionell gesehen dürfte der Druck allerdings wachsen, sich auf einige große theologische Standorte zu konzentrieren. Dagegen sollte man sich nicht mit Zähnen und Klauen wehren, sondern die Entwicklung selbst in die Hand nehmen und sie in die bestmöglichen Bahnen lenken.

Wie sollte Ihrer Meinung nach künftig die Priesterausbildung in Deutschland aussehen?

Oh je, das ist je 100.000 Euro-Frage. Natürlich bräuchte es jetzt den großen Wurf, aber wer ist dazu in der Lage? Die Diskussion um die Priesterausbildung ist derzeit eher eine Projektionsfläche, eine Mischung aus Kirchenpolitik, synodalem Prozess, Verteidigung des Status quo und Verlegenheitslösungen. Jede Lösung müsste ergebnisorientiert sein und dabei nicht auf alles Mögliche Rücksicht nehmen müssen.

Ergebnisorientiert heißt: Eine Priesterausbildung mit einer geradezu magnetischen Anziehungskraft für die vielen ganz unterschiedlichen Berufungen, mit einer geradezu eisernen Prägekraft, die angehende Priester zu Männern für alle Jahreszeiten formt, und natürlich mit einem Theologiestudium, das den Glauben vertieft und nicht zerredet.

Dabei wird es kaum das Einheitsmodell für Deutschland geben dürfen. Ausbildungsstätten mit unterschiedlichem Profil und einer Wahlmöglichkeit für den einzelnen Seminaristen, welcher dieser Orte für ihn am angemessensten ist, wären das Gebot der Stunde.

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