Nach Einführung der Sterbehilfe in Kalifornien: Demnächst auch in Deutschland?

Interview mit der Landesvorsitzenden der Christdemokraten für das Leben (CDL) in Bayern, Christiane Lambrecht

Giftcocktail auf dem Nachtkästchen: Sollen Ärzte diese verschreiben dürfen?
Giftcocktail auf dem Nachtkästchen: Sollen Ärzte diese verschreiben dürfen?
CNA
Christiane Lambrecht
Christiane Lambrecht
privat
Mit einer Postkartenaktion sollen Bundestagsabgeordnete erreicht werden
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Initiative für das Leben und ein menschenwürdiges Sterben

Seit Montag dürfen Ärzte in Kalifornien todkranken Menschen dabei helfen, sich selbst zu töten. Genauer gesagt: Diese umstrittene „ärztliche Sterbehilfe” bedeutet, dass Patienten sich von ihrem Mediziner ein Mittel zur Selbsttötung geben lassen können.  In Deutschland wird in wenigen Wochen über dieses Thema abgestimmt: Auch die Bundesrepublik plant, die Sterbehilfe gesetzlich neu zu regeln. Vier Entwürfe liegen vor. Doch wie sind diese aus christlicher Sicht zu bewerten? Christiane Lambrecht (50) ist die Landesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL) Bayern. Privat ist sie verheiratet und Mutter von drei Kindern, beruflich als Beraterin für Kommunikation in Wirtschaft, Politik und Kirche engagiert.

CNA: Frau Lambrecht, wenn am 6. November der Bundestag über die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid abstimmt, liegen vier Entwürfe zur Abstimmung vor. Welche dieser Entwürfe sind mit einem christlichen Menschenbild vereinbar, und warum?

LAMBRECHT: Entgegen der weit verbreiteten Meinung geht es am 6. November tatsächlich nicht um „Sterbehilfe“, also Hilfe für ein natürliches Sterben in Würde, ohne Schmerzen und begleitet durch Ärzte. Es geht darum, ob künftig das Besorgen und Hinstellen eines Einschläferungsmittels straffrei sein soll. Sozusagen ob das schweizerische Selbsttötungszentrum „Exit“ künftig überall in Deutschland sein wird.

CNA: Wie bewerten sie die vier Entwürfe?

LAMBRECHT: Drei der vier Gesetzentwürfe fordern, dass die Beihilfe zur Selbsttötung eines Menschen auch für Ärzte rechtlich ausdrücklich zugelassen werden soll. Dies wäre ein beispielloser Wertebruch unserer Kultur und die Botschaft, dass die Menschenwürde von Beliebigkeit oder Kriterien, wie krank jemand ist, abhängt. Ärzte oder Angehörige dürften beim angeblich mehrheitsfähigen Gesetzentwurf der Abgeordneten Michael Brand und Kerstin Griese straffrei den Giftcocktail aufs Nachtkästchen stellen. Dieser Gesetzentwurf wird deswegen in den Medien gelobt und auch von der Bundeskanzlerin unterstützt, weil er zudem die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verbietet. Aber er würde die private oder ärztliche Beihilfe zum Suizid für „Einzelfälle“ straffrei stellen. Und die ärztliche und private Beihilfe ist das viel größere Problem und Risiko.

CNA: Viele Menschen und auch die Befürworter der anderen Entwürfe argumentieren mit den entwürdigenden Leiden, dem Schmerz, der verhindert oder gelindert werden soll.

LAMBRECHT: Welcher Verwandte ist nicht auch einmal von der Pflege und Betreuung der alten Mutter überfordert, muss die erheblichen Kosten schultern bzw. welcher kranke und leidende Mensch hat nicht die Sorge, den anderen zur Last zu fallen oder unter Schmerzen zu leiden? Ein würdevolles Sterben garantiert die Palliativmedizin und der Ausbau der Hospize, nicht das Todescocktail. Niemand braucht mehr Angst vor Schmerzen oder einer Apparatemedizin zu haben. Würde der assistierte Suizid ab dem 6.11.2015 für „jedermann“ erlaubt werden, würde dieser Dammbruch der Menschlichkeit wie eine ethische Wanderdüne unser Zusammenleben, das Vertrauen zum Arzt und zu den Verwandten aushöhlen.  Es wäre die Aufkündigung der im Grundgesetz verankerten und dem christlichen Menschenbild entsprechenden Menschenwürde.

CNA: Daher plädieren Sie für den Sensburg-Entwurf?

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LAMBRECHT: Genau. Nur der Gesetzentwurf der Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger stellt die aktive Sterbehilfe und den assistierten Suizid unter Strafe. Dies entspricht nicht nur unserer Verfassung sondern auch dem 5. Gebot: „Du sollst nicht töten“. Momentan unterstützen erst 39 Abgeordnete diesen Verbotsantrag, was angesichts der Stellungsnahmen der Bundesärztekammer, der Palliativmediziner und Erfahrungen in den Beneluxstaaten und der anderen Länder kaum zu glauben ist. Wenig bekannt ist auch, dass die meisten europäischen Länder genau dieses Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung aussprechen. Erst vor 3 Wochen stimmte das Parlament in Großbritannien mit überwältigender Mehrheit für das Verbot und Premierminister David Cameron begründete dies damit, dass der Staat verpflichtet ist, den vollen Schutz gerade für die schwächeren, alten oder lebensmüden Menschen zu garantieren.

CNA: Dennoch haben einige, wenige Länder in Europa eine Suizidbeihilfe eingeführt. Wie schätzen Sie die Erfahrungen dort ein?

LAMBRECHT: Als erstes Land der Welt hat im Jahr 2002 die Niederlande, gefolgt von Belgien und Luxemburg die aktive Sterbehilfe, dort Euthanasie genannt, eingeführt. In den Niederlanden steigt jährlich die Anzahl der aktiv getöteten Menschen um etwa 15 %. Es dürfen mittlerweile auch Minderjährige euthanasiert werden, wenn strenge Kriterien zu deren Krankheit vorliegen. Seit einigen Jahren ist es auch erlaubt, demente oder psychisch kranke Menschen selbst ohne deren explizite Einwilligung zu töten. In der Schweiz ist übrigens auch die aktive Sterbehilfe verboten, aber die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt. Der wichtigste Grund, weshalb es den „Sterbetourismus“ zu Exit in die Schweiz gibt ist, dass dort das zum Einschläfern von Menschen und Tieren und in den USA zur Vollstreckung der Todesstrafe bevorzugte Mittel, Pentobarbital, auf Rezept erhältlich ist. Aktuell ist Pentobarbital in Deutschland nicht für Menschen zugelassen, dies kann aber geändert werden. Deswegen brauchen wir in Deutschland das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung, also den Gesetzentwurf Sensburg/Dörflinger, da uns ansonsten solche Verhältnisse drohen. Denn gerade die staatlich genehmigte Beihilfe zur Selbsttötung in Kombination mit der Freigabe eines wirksamen Tötungsmittels würde den Rechtsschutz auf Leben alter oder lebensmüder Menschen gefährden.  Die Erfahrungen in den Beneluxstaaten und der Schweiz belegen: Was angeboten wird, wird auch nachgefragt!

CNA: Wer sich für ein würdiges Sterben im christlichen Sinn einsetzen möchte: Was sollte sie oder er tun?

LAMBRECHT: Die Zeit drängt, in ein paar Wochen ist der 6.11.2015 und an diesem Tag sollen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über den neuen § 217 StGB entscheiden. Momentan hat das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung viel zu wenig Unterstützer. Mehreres ist nun wichtig: Wir brauchen eine klare, laute Stimme von den Bischöfen. Die klare Ansage der Bundesärztekammer, dass ein Arzt nicht zum Tötungsgehilfen werden möchte, sondern seine Aufgabe im Helfen, Lindern und in den Tod begleiten sieht, wird offenbar ignoriert. Wie eine Nebelkerze hält sich die falsche Meinung, dass der Gesetzentwurf von Brand/Griese ein „Entwurf der Mitte“ sei und deswegen gut, weil er die organisierten Sterbehelfer verbietet. Eine weitere Irreführung ist der Begriff „Sterbehilfe“. Denn im § 217 geht es ausschließlich um die Beihilfe zur Selbsttötung, also den assistierten Suizid. Alleine die Vorstellung, einem anderen Menschen aktiv bei dessen Selbsttötung zu „helfen“, sollte unser natürliches Wertesystem in Alarmbereitschaft versetzen. Jeder, der nicht will, dass wir eine Erlaubnis der assistierten Selbsttötung bekommen und sicherlich dadurch in einigen Jahren auch die aktive Sterbehilfe, kann aktiv werden. Auf der neuen Seite www.keine-lizenz-zum-toeten.de finden Sie alle Informationen, eine Online-Petition und einen Videoclip, der die Thematik erklärt. Wenn Großbritannien mit dem persönlichen Einsatz vieler Bürger und der Bischöfe das richtige Gesetz, das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung beschlossen hat, sollten wir das auch schaffen.