Kiew, 10 Februar, 2022 / 8:52 AM
Viktor hackt den Fußboden seiner Unterkunft auf. Die Bretter wird er mit seinen minderjährigen Söhnen Wasilij und Kola zu kleinen Scheiten sägen. Es ist die einzige Möglichkeit, um noch an Brennholz zu kommen – die Familie hat aktuell kein Einkommen. Ab Frühjahr soll das anders werden, hoffen die beiden Jungen: Der Vater wird dann wieder als Helfer in der Landwirtschaft arbeiten. Aber wer weiß, wie es bis zum Frühjahr um die Ukraine steht …
Wie bei so vielen Familien in der Ukraine geht es vor allem in den Wintermonaten bei Viktors Familie ums nackte Überleben. Sie sind Flüchtlinge aus der Ostukraine. Ein neues Zuhause gefunden haben sie in der Nähe von Saporischschja, einer Großstadt etwas weiter im Süden.
730 000 Flüchtlinge seit Jahresbeginn
Hunderttausende Menschen sind vor dem Konflikt geflohen, der schon seit acht Jahren im Grenzgebiet zu Russland schwelt. Und täglich werden es mehr. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Jahresbeginn bereits 730 000 Menschen aus dem Osten der Ukraine geflohen. Sie müssen im Schnitt mit umgerechnet weniger als 70 Euro im Monat auskommen, berichten lokale Quellen. Staatliche Hilfen gibt es so gut wie keine.
„Nur die Kirche hilft uns“, erzählt Viktor den Mitarbeitern des weltweiten päpstlichen Hilfswerks „Kirche in Not“. Viktor ist dankbar für Suppe, Tee und Brot, die er jeden Morgen von der katholischen Ordensgemeinschaft der Albertinerbrüder erhält.
Von der Straße aufgelesen
Das Brot, das Viktors Familie das Überleben sichert, hat Micha gebacken – ein junger Mann, den die Ordensbrüder buchstäblich von der Straße aufgelesen haben. Bis vor ein paar Jahren hauste Micha in den Heizungsschächten unter der Stadt. Seine fünf Gefährten aus dieser Zeit sitzen heute im Gefängnis oder sind drogenabhängig. „Bei mir ist das anders, weil ich die Albertiner kennengelernt habe. Sie haben mir einen anderen Weg gezeigt. Jetzt helfe ich ihnen und backe Brot für die Armen und Obdachlosen, wie ich selbst einer war.“
Die Ordensmänner bieten in ihrem Kloster Platz für bis zu 26 Leute von der Straße – in den kalten Wintermonaten suchen aber oft bis zu 40 Männer dort Unterschlupf. Gleichzeitig betreiben die Albertiner eine Suppenküche neben der katholischen Kathedrale der Stadt, dem zweiten geistlichen Zentrum des Bistums Charkiw-Saporischschja. Viele, die dort für eine warme Mahlzeit anstehen, sind Rentner. Sie können sich aufgrund der steigenden Preise und der extrem niedrigen Renten in der Ukraine oft kaum Lebensmittel leisten.
Menschen knien vor der Klosterkirche
Draußen vor der Suppenküche haben die Ordensmänner eine Marienkapelle errichtet, die stark frequentiert ist. Ihre kleine Klosterkirche liegt weit außerhalb und ist das einzige Gotteshaus im Viertel. Viele Passanten, egal welcher Konfession, bleiben für ein kurzes Stoßgebet stehen, manche knien sich sogar auf den Asphalt.
„Kirche in Not“ unterstützt die wichtige Arbeit der Albertiner von Saporischschja. Die Wohltäter des Hilfswerks haben es ermöglicht, dass die Ordensbrüder vor einiger Zeit die Zentralheizung in ihrem Kloster erneuern, die Wände trockenlegen und eine Dämmung anbringen sowie weitere dringend notwendige Reparaturen durchführen konnten. Viele der Bewohner in der Obdachlosenunterkunft haben dabei mitgeholfen.
Im vergangenen Jahr konnten die Brüder mit Spenden von „Kirche in Not“ endlich ihr 16 Jahre altes Auto durch ein neues ersetzen. Mit dem Wagen machen sie Hausbesuche bei hilfsbedürftigen Familien und liefern Lebensmittelpakete aus.
Bruder Wieslaw, der Obere der Albertinergemeinschaft, gibt zu, dass die Arbeit oft hart und schwierig ist. Gleichwohl ist er überzeugt: „Es gab hier lange Zeit keinen Ort der Liebe und des Teilens. Also muss Gott uns hierhergebracht haben. Durch unser Gebet, durch unsere Präsenz, durch unsere Armenhilfe und durch unsere Kapelle versuchen wir, die Welt ein wenig zu verändern und die Armen mit den Augen Gottes zu sehen.“ Für Viktor, seine Familie und die Obdachlosen von Saporischschja kommt diese Hilfe genau zur richtigen Zeit.
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