München, 07 Mai, 2019 / 4:12 PM
Die Tagebücher des früheren Erzbischofs von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, die seit 2015 in einer Online-Edition zugänglich gemacht werden, sind um einen weiteren Jahrgang ergänzt worden: Auf der Seite https://www.faulhaber-edition.de/ hat das Forscherteam des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster nun den Jahrgang 1946 freigeschaltet.
Im November 1946 herrschte Krisenstimmung im Erzbischöflichen Palais in München. Die Anschuldigungen gegen Kardinal Faulhabers Weihbischof, Anton Scharnagl, drohten sich zu einem handfesten Skandal auszuwachsen. Dem Weihbischof wurde nicht nur vorgeworfen, mit der Gestapo kollaboriert und dabei das Domkapitel unterwandert zu haben, auch Gerüchte über eine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau waren nicht zum Schweigen zu bringen. Am 6. November 1946 notierte Faulhaber in sein Tagebuch: „Also vorher etwas tun, bevor die Bombe platzt. Muß sich vollständig zurückziehen.“ Der Kardinal befürchtete nicht nur die Beschädigung des Rufs der katholischen Kirche, sondern ebenfalls einen negativen Einfluss auf das Ergebnis der kommenden Landtagswahl für das katholisch-konservative Lager. Drei Wochen später bat Erzbischof Faulhaber Papst Pius XII. um einen zweiten Weihbischof für das Erzbistum München und Freising.
Neben dem „Fall Scharnagl“ gibt das Tagebuch 1946 Auskunft über massive Differenzen zwischen katholischen Medizinern und Geistlichen in der Frage der Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen bei vergewaltigten Frauen und die dramatische Lage russischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter, die sich ihrer Repatriierung in die Sowjetunion widersetzten. Die verbreitete Furcht vor der Ausbreitung des Kommunismus in Deutschland bzw. Bayern findet im Tagebuch 1946 ebenso Widerhall wie Faulhabers Ansichten zur Zukunft der Juden in Deutschland, die, wie er hoffte, „normal“ verlaufen solle. Eine Überraschung stellt die von Faulhaber betonte „gute Zusammenarbeit“ mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD) dar, – herrschten auf dem Feld der Kultuspolitik doch gravierende Differenzen zwischen katholischer Kirche und (bayerischer) Sozialdemokratie. Nicht spannungsfrei gestalteten sich im Jahr 1946 seine engen Kontakte zur US-amerikanischen Besatzungsmacht. Maßnahmen wie Beschlagnahmungen oder Enteignungen von Privateigentum stießen auf sein Unverständnis und ließen ihn um die Reputation der USA bangen, wie er vorgab: „Bewahrt das Sternenbanner vor dem geschichtlichen Vorwurf der Unmenschlichkeit.“ Faulhaber selbst gab sich von der Bedeutung seiner Person für die bayerisch-amerikanischen Beziehungen weiterhin tief überzeugt: „Die aus Amerika kommen, haben drei oder vier feste Punkte, die sie ansteuern: Dachau, Nürnberg, Bischof München, manchmal auch Konnersreuth“, wie er selbstbewusst am 9. Januar notierte.
Das Editionsprojekt
Michael Kardinal Faulhaber hat seit seiner Zeit als Bischof von Speyer Tagebuch geführt und darin seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten festgehalten. Diese Quelle wird im Projekt „Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)“ wissenschaftlich aufbereitet und im Internet unter www.faulhaber-edition.de veröffentlicht. Bisher sind die Jahrgänge 1911-1919, 1933-1935 und 1945 vollständig abrufbar. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Experten entziffern können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf zwölf Jahre angelegte Vorhaben seit dem 1. Januar 2014. Im Projekt arbeiten Historikerinnen und Historiker, Theologen und ein Informatiker interdisziplinär zusammen. Geleitet wird es von dem Historiker Prof. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf von der Universität Münster. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, in dem die Tagebücher verwahrt werden. Die Edition wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen, Emotionen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.
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