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Dokumentiert: Würdigung des post-synodalen Schreibens durch deutsche Synodenteilnehmer

Die Abschlusspressekonferenz der deutschsprachigen Teilnehmer der Synode am 24. Oktober 2015 mit Kardinal Christoph Schönborn, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Heiner Koch, und Bischof Franz-Josef Bode (von links).

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat folgende Würdigung des Schreibens "Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie" veröffentlicht, unterzeichnet von den deutschen Synodenteilnehmern 2015, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Heiner Koch und Bischof Franz-Josef Bode:

Papst Franziskus hat heute das Nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie“ veröffentlicht. Es ist ein wirkliches Geschenk für die Eheleute, die Familien und alle Gläubigen in der Kirche. Wir freuen uns sehr darüber.

Der Text bündelt einen gesamtkirchlichen Reflexionsprozess zu Ehe und Familie, der mit der Einberufung einer Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Herbst 2014 begonnen hatte. Diese Versammlung, der erstmals eine Befragung der Katholiken weltweit vorangegangen war, diente der Vorbereitung einer Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, ein Jahr später, im Herbst 2015. Nochmals wurden hierzu die Gläubigen um ihre Stellungnahmen gebeten, die in die Vorbereitung einer lebhaften Diskussion der Synodenväter einflossen. Papst Franziskus war während dieses gesamten Diskursprozesses in erster Linie ein „hörender Papst“, ließ jedoch von Beginn an keinen Zweifel daran, dass es seinem Dienst an der Einheit der Kirche entsprechen werde, die vielen Stimmen schließlich zusammen- und weiterzuführen. Mit seinem Nachsynodalen Schreiben „Amoris Laetitia“ hat er nun die Erträge des synodalen Weges gesammelt, die Aspekte abgewogen und weiterentwickelt. Er hat sie in das Gesamt der Lehre der Kirche eingefügt und zugleich den Gläubigen in gut verständlicher Weise zugänglich gemacht. Der dabei entstandene Text ist in erster Linie eine herzliche, gleichermaßen tiefgehende wie lebenspraktische Einladung zur Lebensform von Ehe und Familie, die ihre Inspiration aus den Quellen des christlichen Glaubens erfährt.

Der Text beginnt, nach einigen wegweisenden Vorbemerkungen, mit Ausführungen zu den biblischen, alt- wie neutestamentlichen Grundlagen (1. Kapitel: „Im Licht des Wortes“). Es folgen zentrale Aspekte zur gegenwärtigen Situation von Ehe und Familie (2. Kapitel: „Die Wirklichkeit und die Herausforderungen der Familie“) sowie Ausführungen zur Theologie von Ehe und Familie (3. Kapitel „Auf Jesus schauen – Die Berufung der Familie“). Gewissermaßen das Herzstück des gesamten Textes stellen die beiden folgenden Kapitel dar, die in einer Auslegung des „Hohenliedes der Liebe“ des Apostels Paulus (1 Kor 13,4–7) spirituell-katechetische Aspekte für das Leben in der Ehe  (4. Kapitel: „Die Liebe in der Ehe“) und in der Familie (5. Kapitel: „Die Liebe, die fruchtbar wird“) darlegen. Dem folgen Hinweise für die Seelsorge der Kirche (6. Kapitel: „Einige pastorale Perspektiven“) und Ausführungen zur Erziehung in der Familie (7. Kapitel: „Die Erziehung der Kinder stärken“). In einem eigenen Kapitel geht Papst Franziskus auf den Umgang der Kirche mit den Ehen und Familien ein, die nicht oder nur zum Teil mit der kirchlichen Lehre übereinstimmen (8. Kapitel: „Die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern“), bevor er noch einmal explizit die spirituelle Dimension des Lebens in Ehe und Familie thematisiert (9. Kapitel: „Spiritualität in Ehe und Familie“). Das Schreiben endet mit einem Gebet zur Heiligen Familie.

Insgesamt geht es Papst Franziskus spürbar darum, in positiver und ermutigender Weise Wertoptionen, Möglichkeiten und Perspektiven für das Leben in Ehe und Familie zu eröffnen. „Als Christen dürfen wir nicht darauf verzichten, uns zugunsten der Ehe zu äußern“, so der Papst. „Wir würden der Welt Werte vorenthalten, die wir beisteuern können und müssen. … Uns kommt ein verantwortungsvollerer und großherzigerer Einsatz zu, der darin besteht, die Gründe und die Motivationen aufzuzeigen, sich für die Ehe und die Familie zu entscheiden, so dass die Menschen eher bereit sind, auf die Gnade zu antworten, die Gott ihnen anbietet.“ (Nr. 35) Dabei verliert der Papst keineswegs einen realistischen Blick auf die Lebenswirklichkeiten und erliegt nicht der Gefahr, die Ehe zu überhöhen. „Man sollte nicht“, sagt Franziskus mit Verweis auf den heiligen Papst Johannes Paul II., „zwei begrenzten Menschen die gewaltige Last aufladen, in vollkommener Weise die Vereinigung nachzubilden, die zwischen Christus und seiner Kirche besteht, denn die Ehe als Zeichen beinhaltet einen ,dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes‘.“ (Nr. 122) Vielmehr rät er den Familien, „mit Realismus die Grenzen, die Herausforderungen oder die Unvollkommenheit zu akzeptieren und auf den Ruf zu hören, gemeinsam zu wachsen“ (Nr. 135).

Der Text schöpft sowohl aus den beiden Synodenversammlungen wie auch aus biblischen Quellen sowie aus den Aussagen des päpstlichen Lehramts und hier insbesondere aus den Reflexionen des heiligen Papstes Johannes Paul II. Neben zahlreichen anderen Autoren, die Papst Franziskus zitiert, ist es immer wieder Thomas von Aquin, der zu Wort kommt. Dies unterstreicht die Ausrichtung, die sich deutlich stärker an tugend-ethischen und insbesondere auf die Klugheit bezogenen Linien orientiert als an einer Ethik der normativen Verbote. So traut der Papst dem Menschen und besonders den Ehepaaren etwas zu, was nicht zuletzt auch an der mehrfachen Hervorhebung des individuellen Gewissens deutlich wird: „Aufgrund der Erkenntnis, welches Gewicht die konkreten Bedingtheiten haben, können wir ergänzend sagen, dass das Gewissen der Menschen besser in den Umgang der Kirche mit manchen Situationen einbezogen werden muss ...“ (Nr. 303) „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ (Nr. 37)

Der Duktus des Schreibens ist den Menschen zugewandt. Dazu gehört auch eine ausnehmend positive Würdigung der menschlichen Sexualität und der Erotik: „Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert.“ (Nr. 152)

Im Blick auf die Art und Weise der kirchlichen Verkündigung mahnt der Papst eine „heilsame Selbstkritik“ (Nr. 36) an, da man anerkennen müsse, „dass unsere Weise, die christlichen Überzeugungen zu vermitteln, und die Art, die Menschen zu behandeln, manchmal dazu beigetragen haben, das zu provozieren, was wir heute beklagen“ (Nr. 36). Gefordert werden dagegen Unterstützung und Hilfe für die Ehepaare und Familien: „Wer kümmert sich heute darum, die Ehen zu stärken, ihnen bei der Überwindung der Gefahren zu helfen, die sie bedrohen, sie in ihrer Erziehungsrolle zu begleiten und zur Beständigkeit der ehelichen Einheit zu motivieren?“ (Nr. 52) Hier sieht der Papst eine zentrale Aufgabe der Kirche und ihrer Pastoral, von der er vor allem das „Bemühen“ fordert, „die Ehen zu festigen und so den Brüchen zuvorzukommen“ (Nr. 307). Dabei betont er zugleich, „dass die christlichen Familien durch die Gnade des Ehesakraments die hauptsächlichen Subjekte der Familienpastoral sind …“ (Nr. 108). Der Papst macht deutlich, dass nicht nur die Eheleute und Familien von der Unterstützung durch die Gemeinschaft der Kirche profitieren, sondern dass diese Beziehung auch umgekehrt gilt: „Die in den Familien gelebte Liebe ist eine ständige Kraft für die Kirche.“ (Nr. 88)

Beachtlich ist die Vielzahl der Aspekte, die in diesem Schreiben aufgegriffen werden und die den Text zu einem umfassenden Zeugnis der Lehre von Papst Franziskus machen. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der Papst in hohem Maß auch auf die bisherigen Ansprachen, Texte und Dokumente seines Pontifikats Bezug nimmt. Dabei knüpft er immer wieder am Zentrum des christlichen Glaubens an, denn „das Geheimnis der christlichen Familie kann man nur im Licht der unendlichen Liebe des himmlischen Vaters ganz verstehen, die sich in Christus offenbarte …“ (Nr. 59).

Im achten Kapitel geht das Schreiben schließlich auch auf die Gläubigen ein, die in – wie der Papst bewusst sagt –, sogenannten „irregulären“ Situationen leben, die dem kirchlichen Leitbild von Ehe und Familie nicht oder nur teilweise entsprechen, also Gläubige, die ohne Trauschein oder in einer Zivilehe zusammenleben und auch die zivil geschiedenen und wiederverheirateten Katholiken. Hier sind dem Papst zwei pastorale Prinzipien wichtig. Zum einen hebt er die „Logik der Integration“ hervor, die niemanden aus der kirchlichen Gemeinschaft ausschließt: „Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums!“ (Nr. 297) Zum anderen fordert er die Seelsorger auf, die konkreten Situationen, in denen die Gläubigen leben, genau zu unterscheiden. Es ist gerade die Vielfalt und Komplexität der Situationen, die es verbietet, eine generelle Regel undifferenziert anzuwenden. Damit wird die Bedeutung allgemeiner sittlicher und kirchenrechtlicher Normen keineswegs gering geschätzt. Aber der Papst erinnert an eine grundlegende Einsicht des Thomas von Aquin, dass eine allgemeine Norm unmöglich alle besonderen Situationen umfassen kann. Insbesondere gilt es, zwischen einer Situation, die objektiv nicht den Anforderungen des Evangeliums entspricht, und der Schuldhaftigkeit der betreffenden Person genau zu unterscheiden. „Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ‚irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben.“ (Nr. 301) 

Diese prinzipielle Einsicht hat weitreichende Konsequenzen für den pastoralen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Es reicht eben nicht für ein Urteil einfach festzustellen, dass eine zweite zivile Verbindung im Widerspruch zur ersten, sakramentalen Ehe und damit im Widerspruch zur objektiven Norm steht. Es ist vielmehr notwendig, in jedem einzelnen Fall die besondere Lebenssituation der Betroffenen zu betrachten. Angesichts dieser Überlegungen ist es nur konsequent, dass der Papst keine generelle Regelung zur Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur sakramentalen Kommunion gibt. Nur im Blick auf die jeweilige Lebensgeschichte und Realität lässt sich gemeinsam mit den betroffenen Personen klären, ob und wie in ihrer Situation Schuld vorliegt, die einem Empfang der Eucharistie entgegensteht. Dabei ist die Frage einer Zulassung zu den Sakramenten der Versöhnung und der Kommunion immer im Kontext der Biographie eines Menschen und seiner Bemühungen um ein christliches Leben zu beantworten. Auf beide zuletzt genannten Aspekte weist der Papst explizit hin (vgl. Fußnoten 336 und 351).

Das Nachsynodale Schreiben ist reich an Anregungen für die pastorale Praxis; es bietet zudem auch eine wichtige Vertiefung der kirchlichen Lehre über Ehe und Familie. Nicht zuletzt sind nun wir Bischöfe, aber auch unsere Priester und die Theologen gefragt, die vielfältigen Einsichten und Akzentsetzungen moraltheologisch und pastoraltheologisch zu durchdringen und in der Verkündigung und Pastoral wirksam werden zu lassen: „Es wird dann Aufgabe der verschiedenen Gemeinschaften sein, stärker praxisorientierte und wirkungsvolle Vorschläge zu erarbeiten, die sowohl die Lehre der Kirche als auch die Bedürfnisse und Herausforderungen vor Ort berücksichtigen.“ (Nr. 199)

Für die Eheleute und die Familien ist das Schreiben ein außerordentlich hilfreiches Orientierungsangebot und ein reicher Schatz an Impulsen für das konkrete Leben. Gerade die einfachen und griffig formulierten katechetischen Hinweise des Papstes eignen sich, um sie mit ins alltägliche Leben zu nehmen. So etwa, wenn Papst Franziskus sein eigenes, schon bekanntes Diktum wiederholt: „In der Familie ist es nötig …, drei Worte zu gebrauchen … Drei Worte: ,darf ich?‘, ,danke‘ und ,entschuldige‘.“ (Nr. 133) Oder aber, wenn er den Familien mit auf den Weg gibt: „Die Familie muss immer der Ort sein, von dem jemand, der etwas Gutes im Leben erreicht hat, weiß, dass man es dort mit ihm feiern wird.“ (Nr. 110)

Wir sind Papst Franziskus für das Nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ überaus dankbar. Es weist einen Weg der Kirche, an dem wir auch als Bischofskonferenz arbeiten werden. Wir werden uns in den kommenden Monaten bemühen, die Anregungen und Impulse umzusetzen und für die pastorale Arbeit in Deutschland anzuwenden. Das Schreiben des Papstes ist eine Ermutigung zum Leben und zur Liebe! Wir bitten besonders die Priester, im Geist dieses Textes auf die Menschen zuzugehen, auf die, die sich auf dem Weg zur Ehe befinden, auf die Eheleute, aber auch auf die, deren eheliche Beziehungen missglückt sind und die sich oft von der Kirche alleingelassen vorkommen. Der Tenor dieses Schreibens ist: Niemand darf ausgeschlossen werden von der Barmherzigkeit Gottes.

Kardinal Reinhard Marx

Erzbischof Dr. Heiner Koch

Bischof Dr. Franz-Josef Bode

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