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Journalisten vor Gericht im Fall Pell

Kardinal George Pell, Präfekt des Wirtschaftssekretariates, spricht mit Reportern vor dem Hotel Quirinale nach einem Treffen mit ehemaligen Missbrauchsopfern am 3. März 2016

Wenn Journalisten dafür vor Gericht stehen, dass sie ihren Beruf ausüben, zumal in einer westlichen Demokratie, ist der Alarm-Reflex vorprogrammiert. Die Nachricht, dass in Australien führenden Medien der Prozess für ihre Berichterstattung im Fall von Kardinal George Pell gemacht wird, sorgte in den vergangenen Tagen weltweit für aufgeregte Schlagzeilen.

Insgesamt sind 18 Journalisten und 12 Medienorganisationen auf der – wegen der Covid-19-Pandemie digitalen – Anklagebank des Supreme Court of Victoria. Sie werden beschuldigt, die Nachrichtensperre gebrochen zu haben, die während des zweiten Geschworenen-Verfahrens gegen Pell verhängt wurde.

Verstöße gegen Nachrichtensperren können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und Geldstrafen von fast 100.000 Australische Dollar (rund 62.000 Euro) für Einzelpersonen und fast 500.000 AUD für Unternehmen geahndet werden.

Vor der Sperre hatten australische Medien und Juristen die Frage aufgeworfen, ob Geschworene durch eine jahrelange – zum Teil vehemente – Berichterstattung über Pell negativ beeinflusst werden könnten.

Als Pells zweiter Prozess im Juni 2018 begann, ordnete das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Einführung einer umfassenden gag order an. Diese “Knebelverordnung” ist im britischen und australischen Rechtswesen durchaus üblich. In der Causa Pell sollte sie verhindern helfen, dass Geschworene von der Berichterstattung, vor allem über den ersten Prozess, negativ beeinflusst werden könnten. In diesem hatten Geschworene den Kardinal weder schuldig noch unschuldig befunden.

Im zweiten Verfahren befanden die Geschworenen den Kardinal bekanntlich für schuldig: Pell wurde zu sechs Jahren Gefängnis wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Der Kardinal saß davon 13 Monate ab, bis Australiens Oberster Gerichtshof im April 2020 das Urteil aufhob. Pell ist mittlerweile nach Rom zurückgekehrt.

Die Nachrichtensperre sollte Medien nur daran hindern, über den Prozess zu berichten, wenn ihre Berichterstattung auch in Australien verfolgt werden konnte. Globale Nachrichtenagenturen wie die Catholic News Agency – samt ihrer hiesigen Partner-Agentur, CNA Deutsch – schalteten daher den Zugang zu Stories über das Verfahren für Leser in Australien ab. Viele australische Medien dagegen protestierten: Sie berichteten, dass sie nicht berichten konnten – eine Zeitung schrieb “ZENSIERT” auf ihr Titelblatt – und andere Medienschaffende versuchten, die Sperre zu umgehen. Ein Radiomoderator etwa forderte Hörer auf, bestimmte Begriffe im Internet zu suchen. Denn dort waren diese zu finden: US-Zeitungen etwa hatten trotzdem über den Fall berichtet, von Kommentaren und Auslassungen in Sozialen Medien ganz zu schweigen.

Wie sinnvoll Nachrichtensperren im digitalen Zeitalter sind, ist somit die Frage, die Richter John Dixon in seiner Urteilsfindung mit erwägt. Nicht wenige Beobachter rechneten mit einem Freispruch für die Medien, nachdem Dixon am 23. November mitteilte, “in einigen Tagen” sein Urteil verkünden zu wollen.

Wenn aber Journalisten im digitalen Zeitalter keinen solchen “Knebel” verpasst bekommen können, ist die Frage nach einer Beeinflussung Geschworener durch Berichterstattung umso virulenter. In anderen australischen Bundesstaaten hat die Justiz für prominente Prozesse wie der um Pell bereits die Möglichkeit, das Verfahren von einem Richter ohne Geschworene beurteilen zu lassen. Victoria ist eine der wenigen Gerichtsbarkeiten in Australien, die diese Option eines Bench-Trial bislang nicht hat.

Die Anzeichen einer dahin gehenden Reform gibt es freilich schon länger: Im Jahr 2018 sagte Victorias Staatsanwältin Jill Hennessy der Melbourner Zeitung “The Age”, die Option von Verfahren ohne Geschworene in prominenten Fällen zu prüfen. Der Sprecher der Australian Lawyers Alliance, Greg Barns, sagte damals, dies sei höchste Zeit – angesichts “der medialen Übersättigung in einer Ära sozialer Medien, unverantwortlicher Berichterstattung und gezielter Kampagnen gegen Personen”.

Mit Spannung wird nun erwartet, ob die Behörden weitere Aspekte des spektakulären Falls Pell ermitteln – darunter die Frage angeblicher Geld-Überweisungen von Kardinal Giovanni Angelo Becciu aus dem Vatikan.

Eine längere Fassung wurde in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Tagespost" veröffentlicht.

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