CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut des Offenen Briefs zum "Hirtenwort" von Kardinal Reinhard Marx des Sprechers und Mitglied des Betroffenenbeirat Erzbistum Köln. 

Offener Brief an Papst Franziskus, Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, und Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising  

Betr.: Wort an die Gläubigen im Erzbistum München und Freising vom 23.07.2021

Wir haben das Wort an die Gläubigen, was von Kardinal Marx vor wenigen Tagen veröffentlicht  wurde, zum Teil mit großem Erstaunen gelesen. Zunächst beteuert er, dass er im Gehorsam die  Entscheidung des Papstes akzeptiere und er somit sein Bischofsamt weiter ausübe. Aber für ihn  sei damit die Angelegenheit nicht einfach erledigt, so dass er einfach weitermache als sei nichts  

geschehen. An anderer Stelle sagt er, dass er nach dem Antwortbrief von Papst Franziskus neu Ja  zu seinem Dienst als Erzbischof von München und Freising sage. Aber es sei für ihn auch klar,  dass bei einer neuen Situation oder veränderten Umständen er seinen Dienst grundsätzlich in  Frage stelle und er prüfen werde, ob er nicht erneut das Gespräch mit dem Heiligen Vater suchen  sollte. Seinen Dienst als Bischof verstehe er nicht als ein Amt, das ihm gehört und das er  verteidigen muss, sondern als einen Auftrag für die Menschen in diesem Erzbistum und als  Dienst an der Einheit der Kirche. Sollte er diesen Dienst nicht mehr erfüllen können, dann wäre  es an der Zeit zum Wohl der Kirche zu entscheiden und seinen Amtsverzicht erneut anzubieten.  

Kardinal Marx versteht es ausgezeichnet, sich in einem guten Licht zu präsentieren. Er hält sich  aber stets ein Hintertürchen offen, das er nutzen will, wenn es brenzlig wird. Es ist doch schon  heute klar, dass er in seiner Zeit als Bischof von Trier nicht alles richtig gemacht hat und den Ruf  der Kirche höher eingestuft hat als das Wohlergehen von Betroffenen. Inwieweit das auch für  seine Zeit im Erzbistum München-Freising zutrifft, kann man noch nicht sagen. Ob das  angekündigte Gutachten in dieser Beziehung Licht ins Dunkel bringen wird ist offen. Und ob  dieses Gutachten dann auch ungekürzt und ungeschwärzt für jeden Interessierten zugänglich ist  bleibt Spekulation. Kardinal Marx macht seinen Verbleib im Amt von den möglichen  Erkenntnissen abhängig, die ans Licht kommen. Wenn er in seinem Wort an die Gläubigen  schreibt, dass seit dem Jahr 2010 für ihn der Schock nicht weicht, dass dies Schreckliche von  Amtsträgern und Mitarbeitern der Kirche geschehen ist und die Bischöfe das möglicherweise  nicht immer intensiv genug gesehen haben oder sehen wollten, dann muss doch die Frage  gestattet sein: Was ist denn seit 2010 geschehen? Abgesehen von der MHG-Studie und einzelnen  Vorreitern in anderen Bistümern in Sachen Aufarbeitung wenig bis nichts, außer seinen  Hirtenworten 2010 und anderen Äußerungen. Die Entscheidung von Kardinal Marx zum  Amtsverzicht, zu dem er sich nach reiflichem Überlegen entschieden hatte, sollte ein Zeichen  sein, dass er für all das persönlich und als Amtsträger Mitverantwortung übernehmen muss,  denn als Bischof stehe er für die Kirche ein, auch für das, was in der Vergangenheit geschehen ist. 

Für uns ist die Entscheidung, dem Papst den Rücktritt anzubieten eher seiner Besorgnis  geschuldet, weil sich einiges Ungemach über ihm zusammenbraut. Nach der Devise „Ich bin dann  mal weg“ wollte er sich klammheimlich aus der Verantwortung stehlen und seinem Nachfolger  die schwierige Arbeit überlassen, die Aufklärung und Aufarbeitung zu bewerkstelligen. Oder  weiß er in seinem Innersten schon, was durch die Aufarbeitung auf ihn zukommt? Dass er als  Vertuscher dastehen wird? Dass er das Wohl der Institution Kirche stets über das Wohl der  Betroffenen gestellt hat? Will er sich deshalb rechtzeitig absetzen, um sich Unannehmlichkeiten  zu ersparen? Will er also letztlich nur sich selber schützen?  

Die Entscheidung des Papstes, das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx nicht anzunehmen, haben  wir sehr begrüßt und fanden sie richtig. Im Ablehnungsschreiben aus Rom schreibt Papst  Franziskus: "Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen  Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem  umgegangen ist. Und genau das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es  vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising“. Eindeutiger kann eine Aufforderung  zur Aufarbeitung wohl kaum sein. Wir sehen das ebenso und bitten darum Papst Franziskus,  auch bei möglichen weiteren Rücktrittsgesuchen dieser Linie treu zu bleiben und die Bischöfe  und Kardinäle nicht aus der Verantwortung zu entlassen, sondern sie dort zu belassen, wo sie  sind, damit sie sich in die Aufarbeitung einbringen können.  

Die DBK fordern wir auf, in der nächsten Vollversammlung darauf zu drängen, dass alle  verantwortlichen Bischöfe und Kardinäle sich der Verantwortung stellen und in der ersten Reihe  stehen, wenn es um die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs geht. Verantwortung zeigt sich  nicht durch Rücktritt, sondern vielmehr dadurch, dass man sich einbringt in das Verfahren. Das  wollen die Betroffenen, keinen Rückzieher. Sich der Verantwortung stellen und zusammen mit  den Betroffenen daran arbeiten, dass solche Taten in Zukunft weitgehend vermieden werden,  das ist es, was die Betroffenen wollen. Wenn sich die Verantwortlichen zurückziehen und neue  Leute an ihre Stelle treten, dann geht die Aufarbeitung von vorne los und eines ist dann gewiss,  es dauert noch länger. Und das ist unzumutbar für die Betroffenen.  

Peter Bringmann-Henselder  

Sprecher und Mitglied im Betroffenenbeirat Erzbistum Köln 

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