Richard Gutzwiller, der 1896 in Basel geborene Theologe, trat 1915 der Gesellschaft Jesu bei. Nach seinen Studien empfing er 1926 die Priesterweihe. Pater Dr. Gutzwiller wirkte 30 Jahre als Studenten- und Akademikerseelsorger in Zürich. 1952 wurde er Direktor des Apologetischen Instituts des Schweizer Katholischen Volksvereins in Zürich und Honorarprofessor für bibeltheologische Fragen an der Universität Innsbruck. Richard Gutzwiller starb am 29. Mai 1958. Seine Stellungnahmen und Beiträge in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften „waren meinungsbildend“. 

Im Verlag Media-Maria sind in den vergangenen Jahren einige seiner Bücher nachgedruckt worden, vor allem seine Meditationsbücher zu den Evangelien. In seinen Meditationen zum Markus-Evangelium spricht er von den maskierten Gewissen, hinter denen die Menschen sich verbergen.

Auch wenn der nachstehende Text, der mit freundlicher Genehmigung des Verlags abgedruckt werden darf, bereits 1942 niedergeschrieben wurde, so klingt er ob seines Alters vielleicht nicht modern, ist aber, abgesehen von zeitbedingten Formeln,  völlig passend und aktuell. 

Nach Mk 7 sagt Jesus zu den Pharisäer und einige Schriftgelehrten: 

„9 Trefflich versteht ihr es, euch über Gottes Gebot hinwegzusetzen, um eure Überlieferung zu wahren. (Durch das dir von mir Hilfe zuteil werden könnte.) 10 So hat Mose gesagt: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, und: Wer Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben. 11 Ihr aber sagt: Wenn einer zu Vater oder Mutter sagt: Was ich dir zukommen lassen sollte, ist Korbán, das heißt Opfergabe, 12 dann laßt ihr ihn für Vater und Mutter nichts mehr tun. 13 Damit setzt ihr durch eure Überlieferung Gottes Wort außer Kraft. Und dergleichen tut ihr noch vieles.“

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Es ist unglaublich. Denn dieses Vorgehen verstößt nicht nur gegen die kindliche Pietät, sondern auch gegen die naturrechtliche Verpflichtung, nach welcher die Söhne für Vater und Mutter zu sorgen haben. Ja, es ist eine direkte Verletzung des göttlichen Gebotes „Du sollst Vater und Mutter ehren“. 

Wie ist es möglich, dass der Pharisäer, der doch gerecht sein will, solches zulässt und unterstützt? Es ist nur möglich, weil er seinem hässlichen Gewissen eine schöne Maske umhängt. Sooft er nun dieses maskierte Gewissen anschaut, scheint ihm alles fein säuberlich in Ordnung zu sein: Das Geld ist ja für den Tempel, folglich für eine gute Sache, folglich für Gott den Herrn gebraucht. Was kann man mehr verlangen?

Maskierte Gewissen sind keine Seltenheit. 

Man macht sich für eine unschöne Tat ein schönes Scheinmotiv zunutze und rechtfertigt dadurch alles vor sich und den anderen. Man findet eine Formulierung, die alles entschuldigt und auch dem krassesten Egoismus ein frommes Mäntelchen umhängt. Mit diesem Mäntelchen kann der Egoist ruhig in der Welt herumspazieren. Seine Maske sichert ihn vor eigenen Gewissensbissen und vor der Kritik anderer. Schöne Sprüche sind Masken der Gewissen.

Man geht am Sonntag nicht in die Kirche, weil es einem draußen in den Bergen, in Wald und Feld selbstverständlich besser gefällt, maskiert aber diese Pflichtverletzung mit dem frommen Spruch, dass man „in Gottes freier Natur“ religiöser gestimmt werde als in dumpfen Kirchen, wo doch in Wirklichkeit Gottes-dienst ein Dienen, d.h. ein Erfüllen des Willens Gottes ist und nicht eine Sache der freien Wahl und Selbstbestimmung. 

Man geht zum Arzt und lässt sich bestätigen, dass eine nochmalige Geburt nicht ohne Gefahr sei, und maskiert mit diesem provozierten und bezahlten ärztlichen Spruch den mangelnden Opfergeist. 

Man entzieht sich den staatsbürgerlichen Pflichten mit dem souveränen Spruch „Politisch Lied ein garstig Lied“. 

Man erlaubt sich zweifelhafteste Lektüre, den Besuch unsauberer Filme mit der Begründung, dass man sich doch auf dem Laufenden halten müsse. 

Man macht alles mit, lächelt über anzügliche Witze und begründet das vor sich selbst damit, dass man doch kein Duckmäuser und Kopfhänger sei, sondern dass der Katholizismus großzügige und weitherzige Menschen forme. 

Man abonniert eine gegnerische Zeitung mit der Entschuldigung, dass das eigene Geschäft die Kenntnis der dortigen Börsenberichte erfordere. 

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Geistliche können geizig und habsüchtig werden und förmlich dem Mammon verfallen, rechtfertigen sich aber vor ihrem Gewissen mit der Begründung, es sei ja letztlich für kirchliche Zwecke. 

Man ist als Vater der Tyrann der Familie, als Lehrer ein Despot in der Schule, als Pfarrer ein Pascha im Dorf, rechtfertigt sich aber mit der sittlichen Erklärung, dass man für die Respektierung der Autorität sorgen müsse. 

Man nutzt seine Angestellten und Arbeiter aus und bezahlt ihnen nur den Minimallohn mit der Rechtfertigung, man dürfe den Marxismus nicht hochkommen lassen. 

Man ist Mitglied von religiösen Vereinen und Bruderschaften, läuft in alle Andachten und glaubt, damit einen Freipass für die Hemmungslosigkeit in lieblosen Worten über Nachbarn und Nachbarinnen zu haben. 

Man erlaubt sich in der Ehe gelegentliche Seitensprünge und maskiert seine laxe Moral mit der Erklärung, die Kirche sei von Zölibatären regiert, darum in solchen Fragen nicht zuständig. 

Man ist Mitglied einer kirchenfeindlichen Partei und weist jeden Vorwurf des eigenen Gewissens zurück mit der Begründung, der „politische Katholizismus“ sei ein überwundener Standpunkt. 

Man gibt Geld für gute Zwecke und glaubt, damit auch zweifelhafte Geschäftsunternehmungen wiedergutgemacht zu haben. 

Man schikaniert seine Dienstmädchen, sodass sie wechseln wie der Mond und man im Ort schon sprichwörtlich geworden ist, entschuldigt aber die eigene Unausstehlichkeit mit der Begründung, die junge Generation sei verdorben und wolle nicht mehr arbeiten. 

Wenn man beim Examen durchfällt, so sind die kirchenfeindlichen Professoren schuld, die einen Studenten, der aus einem katholischen Kollegium kommt, nicht hochkommen lassen. 

Mit diesem Pseudomartyrium maskiert man dann die eigene Unfähigkeit oder Faulheit. 

Man stolziert geschminkt und gepudert, onduliert und manikürt, nach zweifelhaftester Mode gekleidet durch die Straßen mit der sittlichen Maske, man müsse doch up to date sein und die Kirche habe einem in solche Dinge nicht dreinzureden. 

Man erlaubt sich Steuerhinterziehung mit der Entschuldigung, der Staat werfe das Geld doch nur zum Fenster hinaus. 

Man lässt seinen untermenschlichen Trieben freien Lauf mit der Begründung, man dürfe die Natur nicht vergewaltigen, oder gar mit dem schönen Spruch: „Dem Reinen ist alles rein.“ 

Man begeht, wenn nicht äußeren, so doch inneren Ehebruch und verharmlost ihn mit der Ausrede, es sei nur Kameradschaft und Freundschaft oder platonische Liebe. 

Man setzt sich über Verordnungen, Bestimmungen, Regeln und Gesetze hinweg mit der Berufung auf die „Freiheit der Kinder Gottes«“ usw.

Solange man sich dieser Maskierung des Gewissens noch bewusst bleibt, ist Hilfe möglich. Eine ernste, ehrliche Gewissenserforschung, eine Beichte ohne Schablone, vor allem aber die schmerzliche Kritik, die das eigene Reden und Tun bei anderen erfährt, kann zu einer Demaskierung verhelfen. 

Vielleicht bringt man sogar den Mut auf, einen guten Freund zu bitten, dass er einen auf eigene Fehler aufmerksam mache. Allerdings, wenn dieser Freund es tut, wird er sich höchstwahrscheinlich die Finger bös verbrennen, denn man liebt seine Maske. 

Ein demaskiertes Gewissen wäre doch zu peinlich. 

Und langsam hat man sich so an die Maske des Gewissens gewöhnt, dass man sich ihrer überhaupt nicht mehr bewusst ist. 

Dann allerdings: lasciate ogni speranza - „Hier gibt es keine Hoffnung mehr“!

Richard Gutzwiller, "Gedanken zum Markus-Evangelium" ist bei Media Maria erschienen und hat 208 Seiten.

(Erstveröffentlicht 1942 durch SKB – Schweizerische katholische Bibelbewegung)