Die Kartäuser fürchten sich nicht, diese Welt zu verlassen. Der Friedhof befindet sich in der Mitte des Kreuzgangs, an dem die Mönche seit ihrem Noviziat auf ihrem täglichen Weg in die Kirche vorbeikommen.

Wenn ein Kartäuser heimgegangen ist, versammelt sich die ganze Gemeinschaft in der Zelle des Verstorbenen. Gemeinsam nehmen sie den Leichnam hoch und tragen ihn in einer Prozession zur Kirche. Im Chorraum ist der Abgeschiedene nie allein. Sein Leichnam wird auf den Boden gelegt und die Mönche beten für ihn.

Die Kartäuser heben selbst die Gruben aus, in denen ihre Brüder die letzte Ruhe finden. Der Tote wird auf ein einfaches Brett gelegt und darauf in die lehmige Erde herabgelassen. Der Friedhof ist nicht groß. Regelmäßig müssen die Mönche eigenhändig die alten Gräber leeren, um neuen Platz zu schaffen. Schädel und Knochen werden zunächst zur Seite gelegt, um dann mit dem neuen Leichnam wieder in der Erde versenkt zu werden.

Traditionell trägt der zuletzt eingetretene Novize das Prozessionskreuz, das er am Fuß des Grabes aufstellt. Er sieht am deutlichsten den Leib seines älteren Bruders und die übers Gesicht gezogene Kapuze.

Guigo, der fünfte Prior der Großen Kartause, verfasste zu Beginn des 12. Jahrhunderts die „Gebräuche der Kartause“ und gilt somit als Gesetzgeber des Ordens. Er ordnete an, dass der Kopf des Toten auf die Konventkirche ausgerichtet sei. Der junge Mönch sieht, wie vier vom Prior bestimmte Kartäuser mit Schaufeln Erde, vermischt mit kleinen Steinen, in die Grube schütten. Er hört, wie die klebrige Tonerde mit dumpfem Schlag auf den Leichnam fällt. Hier erhält das Wort „beerdigen“ seinen Sinn. Die Gemeinschaft wartet geduldig, bis das ganze Loch vollgeschüttet ist.

In seinem ihm eigenen Humor sagt mir Dom Innocent, dass das Leben eine Katastrophe wäre, wenn wir nicht wüssten, dass uns eines Tages der Tod heimholt. Wie könnten die Menschen unendlich in diesem Tal der Tränen verweilen?

„Wir wurden geboren, um eines Tages Gott zu begegnen. Die alten Kartäuser bitten Ihn, nicht mehr länger zu warten. Der Tod ist das Ende der Schule; danach kommt das Paradies. Ein Mönch schenkt sein ganzes Leben Gott, ohne Ihn je gesehen zu haben. Da ist es verständlich, dass er mit Ungeduld darauf wartet, Ihm zu begegnen. Wie es die heilige Teresa von Avila und der heilige Johannes vom Kreuz in ihren Gedichten beschreiben, sterben die Kartäuser vor Sehnsucht nach dem Tod. Zu unserem großen Bedauern hat der Heilige Geist keine Eile, uns heimzusuchen. Reinigung und große Prüfungen kommen in unserem Orden nicht häufig vor. Christus hat von unserem Mönchsleben schon Besitz ergriffen. Der abgenutzte Körper kehrt zur Erde zurück und erwartet dort die Herrlichkeit der Auferstehung. Wie unser verklärter Leib aussieht, entzieht sich unserer Erkenntnis. Wir kennen nicht seine Schönheit, sein Licht und seine Herrlichkeit. Das Allerschönste liegt noch vor uns.“

Nicolas Diat, "Heimkehr. Die letzten Tage im Leben der Mönche" ist im Fe-Medienverlag erschienen und hat 208 Seiten.

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