Unmittelbar nach dem Tod von Papst Benedikt XVI. am 31. Dezember 2022 sorgte bereits die Ankündigung für Aufsehen, Erzbischof Georg Gänswein wolle seine Erinnerungen an die fast 20 Jahre veröffentlichen, die er als Privatsekretär an der Seite des Kardinals und Papstes verbrachte. Bald darauf erschienen erste Auszüge in der Presse.

Inzwischen liegt die deutsche Übersetzung des italienischen Originals vor: „Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI.“ Zweifellos kann Gänswein eine Reihe von Begebenheiten hinter den Kulissen schildern, die so nur wenige Protagonisten im Leben der Kirche erfahren haben. Das macht sicherlich den Reiz des Buches aus.

Naturgemäß vermischt sich auch Autobiografisches aus dem Leben von Gänswein mit den Erinnerungen an den Pontifex. So schreibt er mit Blick auf die ersten Tagen und Wochen nach der Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst: „Mir wurde schon bald bewusst, dass das Arbeitstempo, das ich mir selbst auferlegt hatte, zu hoch war: Mit Vollgas von der Pole-Position aus zu starten, ist eine Sache, alle Runden zu bestehen und am Ziel anzukommen, eine ganz andere. Es kostete mich etwas Mühe, das richtige Maß für die Myriaden von alltäglichen Aufgaben zu finden.“

Gänswein spart die problematischen Episoden im Pontifikat von Benedikt XVI. nicht aus, darunter auch der als Vatileaks bekanntgewordene Skandal. Beinahe minutiös rekonstruiert der Privatsekretär die Entscheidung des Papstes, von seinem Amt zurückzutreten, und schildert die Begebenheiten, die sich rund um diese Entscheidung außerhalb der Öffentlichkeit zugetragen haben.

Als die ersten Auszüge aus dem Buch von Gänswein veröffentlicht wurden, da kam schnell die Rede darauf, der Erzbischof wolle Benedikt XVI. gegen Papst Franziskus ausspielen. Die Tatsache, dass es zwischen den beiden Päpsten große Differenzen gab, war jedem aufmerksamen Beobachter relativ bald klar – wie es sich bereits angedeutet hatte, als Papst Franziskus direkt nach seiner Wahl ohne die vorgesehene liturgische Kleidung sich den Gläubigen zeigte und den Segen Urbi et Orbi spendete.

Klar wird bei der Lektüre allerdings auch, dass Benedikt XVI. trotz aller offensichtlichen Punkte, die er anders gehandhabt hätte, dies nicht in der Öffentlichkeit tat, und in der Regel nicht einmal privat. Dies zeigt sich etwa daran, wie der emeritierte Papst die Maßnahmen von Papst Franziskus zur massiven Einschränkung der überlieferten Liturgie, die jahrhundertelang bis Ende der 1960er-Jahre in der ganzen Kirche gefeiert wurde, hinnahm. Es habe Unverständnis gegeben und Fragen, aber keine Kritik, kann man dem Buch von Gänswein entnehmen.

Differenzen werden beispielsweise auch in der Personalführung deutlich: Benedikt XVI. hatte sich stets bemüht, ordentlich mit Personen zu verfahren. Wenn man die Schilderungen von Gänswein darüber liest, wie er von Papst Franziskus als Präfekt des Päpstlichen Hauses de facto seines Amtes enthoben wurde, darf man sich als durchschnittlicher Arbeitnehmer im deutschsprachigen Europa freuen, dass man in der Regel besser behandelt wird.

Eine ganz andere Perspektive auf den deutschen Papst bietet das Buch „Der Papst der Bücher“, dass einige „Schlüsseltexte zum Denken Benedikts XVI.“ umfasst und von Manuel Herder, dem Verleger, herausgegeben wurde. Durch die Texte des wortgewaltigen Papstes ergibt sich nämlich – wie in den Erinnerungen von Gänswein, und doch ganz anders – ein direkter Blick auf seine Persönlichkeit.

Herder schreibt in seinem Vorwort, er habe Ratzinger „als einen in der Öffentlichkeit missverstandenen Menschen erlebt – und als jemandem, dem die Mittel fehlten, das zu ändern. Deshalb bin ich sicher, dass es die Entdeckung seiner Texte sein wird, welche die Nachwelt ein anderes Bild von dem liebenswürdigen, gescheiten und tiefgläubigen Mitmenschen aus Marktl am Inn zeichnen lassen wird.“

Und etwas später: „In Joseph Ratzinger finden wir einen Mann, der leidenschaftlich auf die Kraft des Wortes baute. Das wird von ihm bleiben.“

Inhaltlich sind die Texte in verschiedenen Kapiteln angeordnet, darunter eines mit Auszügen aus der Trilogie „Jesus von Nazareth“, eines mit acht großen Reden seines Pontifikats oder auch ein Kapitel über das Thema „Gesellschaft und Politik“.

Natürlich kann man angesichts des umfangreichen Werks von Benedikt XVI. immer kritisieren, dass ein bestimmter Text nicht aufgenommen wurde, dafür aber ein anderer. Ein wirklicher Kritikpunkt dürfte aber sein, dass „das genaue Erscheinungsdatum“ einer seiner zitierten Schriften nicht immer angegeben wurde, um die Kontinuität im Denken des Papstes „über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg“ „spürbar zu machen“. Mitunter wäre es nämlich doch praktisch zu wissen, in welchem zeitgeschichtlichen Kontext eine bestimmte Bemerkung gemacht wurde.

Georg Gänswein, Saverio Gaeta: Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI.; Verlag Herder; ISBN: 978-3-451-39603-8; 28 Euro

Manuel Herder (Hg.): Der Papst der Bücher. Schlüsseltexte zum Denken Benedikts XVI.; Verlag Herder; ISBN: 978-3-451-39213-9; 28 Euro

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