Die chaldäische Kirche ist eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt. Jetzt steht sie im Mittelpunkt einer politischen Kontroverse um die staatliche "Aberkennung" des Patriarchen von Babylon, Kardinal Louis Sako, im Irak.

Auf dem Spiel steht mehr als eine Personalie. Es geht darum, wie die Zukunft des Christentums einer ganzen Region aussieht. Doch was — und wer — steckt dahinter? 

Der Auslöser: Was ist passiert?

Der Präsident der irakischen Republik, Abd al-Latif Rashid, hat ein Dekret aufgehoben, das Kardinal Sako als Patriarch von Babylon anerkennt; als offizielles Oberhaupt der chaldäisch-katholischen Kirche. Der Schritt wurde vom chaldäischen Patriarchat und der christlichen Gemeinschaft im Allgemeinen mit Überraschung und Besorgnis aufgenommen.

Die chaldäische Kirche, die ihre Wurzeln im alten Mesopotamien hat, ist eine katholische Ostkirche in voller Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl. Sie hat eine bedeutende Präsenz im Irak, wo sie eine wichtige Rolle in der christlichen Gemeinschaft des Landes spielt. 

Das nun ausgesetzte Dekret Nr. 147/2013 ist ein Erbe aus der Zeit des Abbasiden-Kalifats, in der die Kalifen den Patriarchen Dekrete erteilten, die ihnen die Autorität über ihre Religionsgemeinschaften verliehen. Diese Praxis setzte sich in der osmanischen Zeit fort und wird in einigen arabischen Ländern noch heute praktiziert. Die Entscheidung des Präsidenten, das Dekret zurückzuziehen, hat jedoch Fragen über die Zukunft dieser Tradition aufgeworfen — wie auch den weiteren Umgang mit Christen im Irak.

Im Mittelpunkt dieses Dramas steht Rayan Al-Kildani, eine umstrittene Persönlichkeit im Irak. Al-Kildani ist der Anführer der Babylon-Bewegung, einer politischen Gruppierung schiitischer Muslime, die Sitze im Parlament einnimmt, die traditionell den Christen vorbehalten sind. Seine Gruppe wurde von der US-Regierung für ihre Aktionen und ihre Politik kritisiert. Al-Kildani selbst traf sich 2021 mit Papst Franziskus und erhielt von ihm Rosenkranzperlen, eine Geste, die von einigen innerhalb der christlichen Gemeinschaft kritisiert wurde.

Die Entscheidung des Präsidenten, das Dekret aufzuheben, wurde als Korrektur des verfassungsrechtlichen Status der Angelegenheit gerechtfertigt. Es wurde argumentiert, dass das Dekret keine verfassungsmäßige oder gesetzliche Grundlage habe, da es einen religiösen Führer betreffe, der weder ein von der Regierung ernannter Beamter noch ein Staatsangestellter sei. Die Abruptheit der Entscheidung und die Tatsache, dass das chaldäische Patriarchat nicht konsultiert wurde, haben jedoch Besorgnis über die möglichen Folgen für die Kirche und ihre Anhänger ausgelöst.

Das chaldäische Patriarchat forderte das Präsidium der Republik auf, seine Entscheidung zu überdenken und warnte vor einer möglichen Eskalation und unerwünschten Folgen. Das Patriarchat hat auch vorgeschlagen, neue Dekrete zu erlassen, die den aktuellen Bedingungen im Land entsprechen und den Respekt der Regierung vor der religiösen Vielfalt zum Ausdruck bringen.

Die Situation ist ein komplexes Zusammenspiel von Religion, Politik und Geschichte. Sie verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen die Religionsgemeinschaften im Irak und in der gesamten Region konfrontiert sind, und unterstreicht das empfindliche Gleichgewicht, das zwischen religiöser Autonomie und staatlicher Autorität gewahrt werden muss. In dieser Kontroverse befinden sich die chaldäische Kirche, ihr Patriarch und ihre Gläubigen auf einem Weg, der ihre Zukunft ebenso betrifft wie ihre Vergangenheit.

Die Schlüsselfigur: Wer ist Rayan Al-Kildani?

Rayan Al-Kildani, der Anführer der Babylon Brigade, ist eine umstrittene und intrigante Figur. In der Öffentlichkeit präsentiert er sich als Beschützer der christlichen Minderheit im Irak, eine Rolle, die ihm sowohl Lob als auch Kritik eingebracht hat. Bei näherer Betrachtung seiner Taten und Verbindungen ergibt sich jedoch ein komplexeres Bild.

Al-Kildanis Babylon-Brigade ist Teil der Popular Mobilization Forces (PMF), einer überwiegend schiitisch-muslimischen Gruppierung. Die PMF haben eine wichtige Rolle im Kampf gegen ISIS gespielt, und Al-Kildanis Brigade war keine Ausnahme. Die Babylon-Brigade ist jedoch insofern einzigartig, als sie von einem Christen angeführt wird und vorgibt, christliche Interessen zu schützen. Dies hat zu einem umstrittenen Verhältnis mit der chaldäisch-katholischen Kirche geführt, die sich wiederholt von Al-Kildani und seiner Gruppe distanziert hat.

Seine umstrittenen Methoden haben Kritik von verschiedenen Seiten hervorgerufen. Das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums bezeichnete Al-Kildani als eine ausländische Person, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich oder daran beteiligt sei. Der OFAC-Bericht enthält Einzelheiten zu den Vorwürfen, die Babylon Brigade habe systematisch Häuser geplündert und Ackerland illegal beschlagnahmt und verkauft. Die lokale Bevölkerung beschuldigt die Gruppe der Einschüchterung, Erpressung und Belästigung von Frauen.

Al-Kildanis Verbindungen zum Iran haben ebenfalls für Aufsehen gesorgt. Im OFAC-Bericht wird erwähnt, dass Al-Kildani dafür bekannt ist, seine persönlichen Interessen zu schützen, indem er vom Iran unterstützte Stellvertreter beherbergt, die außerhalb der staatlichen Kontrolle operieren. Dies hat zu Spekulationen über das Ausmaß des iranischen Einflusses auf Al-Kildani und seine Brigade geführt. Die Rolle der Babylon-Brigade in der PMF, einer Organisation mit engen Verbindungen zum Iran, unterfüttert diese Befürchtungen.

Das Treffen mit Papst Franziskus im Jahr 2021, bei dem Al-Kildani vom Papst Rosenkranzperlen erhielt, wurde von der christlichen Gemeinschaft kritisiert. Die Geste wurde als kontrovers bewertet, da die Babylon Brigade aus schiitischen Muslimen besteht und diese Sitze im Parlament einnehmen, die traditionell Christen vorbehalten sind.

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Kardinal Sako hat Al-Kildani und die Babylon-Brigade scharf kritisiert und betont, dass Christen sich von bewaffneten Gruppen und Milizen distanzieren müssen. Kardinal Sakos Haltung ist Ausdruck des Engagements der Kirche für Frieden und Versöhnung in einem Land, das von konfessionellen Konflikten zerrissen ist.

Der Gegensatz zwischen Al-Kildani und Kardinal Sako verdeutlicht die komplexe und oft umstrittene Dynamik religiöser und politischer Macht im Irak. Al-Kildani vertritt mit seinen umstrittenen Methoden und fragwürdigen Mitgliedschaften einen aggressiveren Ansatz zur Verteidigung von Interessen. Auf der anderen Seite verkörpert Kardinal Sako mit seiner Betonung von Frieden und Versöhnung die spirituelle Rolle der Kirche bei der Heilung einer gespaltenen Nation.

Die Geschichte von Al-Kildani und der Babylon-Brigade ist ein Mikrokosmos des größeren Kampfes um Macht und Einfluss im Irak. Es ist die Geschichte religiöser Minderheiten im Kreuzfeuer politischer Konflikte, die Geschichte ausländischer Einflussnahme auf innere Angelegenheiten und die Geschichte der Spannung zwischen dem Wunsch nach Schutz und dem Bedürfnis nach Frieden. Während sich der Irak weiterhin mit diesen Fragen auseinandersetzt, wird das Wirken von Persönlichkeiten wie Al-Kildani und Institutionen wie der chaldäisch-katholischen Kirche eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Landes spielen.

Das Oberhaupt: Der Patriarch von Babylon

Patriarch Sako, geboren am 4. Juli 1948 in Zakho, Irak, ist eine herausragende Persönlichkeit der chaldäisch-katholischen Kirche. Er wurde 1974 zum Priester geweiht und wirkte in Mosul, einer Stadt mit reicher religiöser Geschichte. Er setzte seine Studien in Rom und Paris fort und erwarb zwei Doktortitel in orientalischer Patristik und Geschichte. Seine intellektuelle Begabung zeigt sich in zahlreichen Veröffentlichungen über Kirchengeschichte, islamisch-christliche Beziehungen und kulturelles Erbe.

Im Jahr 2003 wurde er zum chaldäischen Erzbischof von Kirkuk gewählt, ein Amt, das er bis 2013 innehatte, als er zum Patriarchen von Babylon der Chaldäer gewählt wurde. Seine Wahl fiel in eine Zeit großer Unruhen für die Christen im Irak, mit dem Aufstieg von ISIS und der darauf folgenden Verfolgung. Sakos Führung war geprägt von seinem Engagement für Dialog, Frieden und den Erhalt der christlichen Gemeinschaft im Irak. Er war ein starker Verfechter der Rechte der Christen und anderer Minderheiten im Irak und sprach sich oft gegen Gewalt und Diskriminierung aus.

Im Jahr 2018 erhob Papst Franziskus Sako zum Kardinal und würdigte damit seine wichtige Rolle in der katholischen Weltkirche. Trotz der Herausforderungen führt Sako die Kirche weiterhin mit Ausdauer und verkörpert einen Geist der Beharrlichkeit, der im Einklang mit der Geschichte der chaldäischen Kirche steht, die Jahrhunderte des Wandels und der Widrigkeiten überstanden hat. Der aktuelle babylonische Knoten ist ein besonders harter, der die chaldäisch-katholische Kirche herausfordert, mit ihren heute etwa 600.000 Gläubigen, die meisten davon im Irak, aber auch in anderen Ländern des Nahen Ostens, in Europa, Amerika und Australien.

Rody Sher (Irak), Walter Sanchez Silva (Peru), Angela Ambrogetti (Rom) und Montse Alvarado (Washington, D.C.) trugen zur Berichterstattung bei.