Pater Hans Zollner SJ ist einer der angesehensten kirchlichen Experten auf dem Gebiet von Missbrauch und Missbrauchsprävention. Rudolf Gehrig, der Romkorrespondent von CNA Deutsch, sprach mit dem Direktor „Institute of Anthropology“ an der Päpstlichen Universität Gregoriana über Papst Franziskus und die Herausforderungen für den nächsten Papst.

Der verstorbene Papst hat die Missbrauchsverbrechen durch Mitarbeiter der Kirche immer wieder öffentlich angeprangert und zahlreiche Gegenmaßnahmen ergriffen und umgesetzt. Wenn Sie nun ein Resümee ziehen: Wie erfolgreich war er am Ende tatsächlich?

Ein angemessenes Resümee wird erst mit einigem Abstand möglich sein. Für mich waren es drei Felder, in denen der Papst wichtige Schritte gemacht hat. Mit seiner Art, den Missbrauchsopfern zuzuhören, hat der Papst ein Beispiel für viele in der Kirche gesetzt, nicht nur für die Bischöfe, sondern für alle Gläubigen. Er hat viele Gesetze im Sinne der Betroffenen von Missbrauch geändert, und er hat einen Prozess des Bewusstseins für die systemischen Aspekte – institutionell, organisatorisch, strukturell – eingeleitet, die zu Situationen des Missbrauchs und der Vernachlässigung der Normen der Kirche selbst beigetragen haben.

Ich denke, dass zusätzlich zu der guten Schutzarbeit, die die Ortskirchen in so vielen Ländern bereits leisten, weiterführende Anstrengungen unternommen werden müssen, sowohl im Hinblick auf das Anhören der Verletzten als auch auf die konsequente und transparente Umsetzung der kirchlichen Normen. Auf dem Gipfeltreffen 2019 legte der Papst den Schwerpunkt auf Verantwortung, Transparenz und vor allem auf die „Rechenschaftspflicht“, d. h. die Rechenschaftspflicht der Verantwortlichen – Bischöfe und andere, einschließlich Laien – für ihr Handeln.

Was sagen Sie zu der Kritik, dass er beispielsweise zu spät reagiert hatte, als der Fall McCarrick publik wurde oder zuletzt auch der Fall Rupnik?

Ich weiß nicht, ob jemand wirklich weiß, wann der Papst in beiden Fällen reagiert hat. Wichtiger für mich ist, dass er im Fall McCarrick einen Bericht angefordert hat. So ein umfassender und transparenter Bericht durch den Heiligen Stuhl war und ist bisher einmalig. Zu Rupnik hoffe ich wie viele andere auch, dass die lang angekündigte Entscheidung des Dikasteriums für die Glaubenslehre bald veröffentlicht werden wird und dass dann die berechtigen Fragen beantwortet werden, wer wann was gemacht oder nicht gemacht hat.

In Deutschland ist die Missbrauchskrise seit spätestens 2010 ein großes Thema, davor schon in den USA. In den letzten Jahren bricht die Thematik nun auch in Irland und Lateinamerika durch, was teils dramatische Austrittswellen nach sich zieht. Wie erklären Sie es sich, dass die Auseinandersetzung mit der Missbrauchskrise in den einzelnen Ortskirchen zeitlich so versetzt abläuft? Von einer universalen Kirche würde man das doch anders erwarten?

Die katholische Kirche ist und war nie so uniform, wie manche sich das vorstellen oder sich wünschen würden. Jede Ortskirche ist von den kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Umgebung geprägt. In Deutschland haben wir erst vor 15 Jahren begonnen, uns wirklich mit Missbrauch in der Kirche auseinander zu setzen, während das in Kanada, USA oder Australien schon 30 Jahre vorher begonnen hatte. In vielen Ländern z. B. Afrikas und Asiens ist bis heute kaum möglich, in der Familie, in der Schule oder in den religiösen Kontexten über Sexualität zu reden, geschweige denn über sexuelles Fehlverhalten. Das wirkt sich auch auf die Kirchenführung und alle Kirchenmitglieder dort aus.

Der „Synodale Weg“ in Deutschland hatte es sich offiziell zum Ziel gesetzt, die Missbrauchskrise zu bekämpfen. Dennoch stand Papst Franziskus diesem Konzept der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) bis zuletzt äußerst kritisch gegenüber. War der „Synodale Weg“ in Deutschland mit seinen Strukturdebatten am Ende tatsächlich der richtige Weg, um den Missbrauch wirksam zu bekämpfen?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Weder ist dieser Weg wirklich abgeschlossen, noch wurden die Effekte der dabei initiierten Prozesse und Vorhaben belastbar evaluiert.

Rund um die Beisetzung des verstorbenen Papstes war immer wieder die Rede davon, dass Papst Franziskus „typisch jesuitisch“ war. Sie sind selbst Jesuit: Was war an ihm tatsächlich „typisch jesuitisch“?

Wer uns Jesuiten kennt, weiß, dass eines unserer Markenzeichen ist, dass wir sehr unterschiedlich sind. Was uns eint, ist die ignatianische Weise des Betens – ein innerliches Sich-Einlassen auf die Lebensweise Jesu –; die Bereitschaft für den jeweiligen Dienst, was immer da auch von uns gefordert sein mag; sich den herausfordernden Fragen oder Situationen der jeweilen Zeit zu stellen. Ich glaube, das konnte man an Franziskus sehr gut sehen.

Wenn wir uns den universalen Kampf gegen den Missbrauch ansehen: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Baustellen, die ein künftiger Papst angehen muss?

Die glaubwürdige, vernünftige Weitergabe des Glaubens in der heutigen Zeit; das Verhältnis von Welt- und Ortskirche; Safeguarding als integraler Teil der kirchlichen Sendung: eine sicherere Kirche von allen und für alle in sicheren Beziehungen, sicheren Abläufen, sicheren Räumen.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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