Der heftige Streit zwischen Kardinal Müller und Kardinal Kasper offenbart leider sehr viel über den Zustand der Kirche in Rom und in Deutschland. Man kann nicht sagen, sie habe die Orientierung verloren. Denn das Glaubensmanifest von Kardinal Müller zeigt ebenso knapp und klar, welches im Augenblick die wunden Punkte sind. Niemand sagt, dass das die ganze Lehre der Kirche sei. Aber diese wenigen Seiten sind wie ein Kompass bei nebligem Wetter im Gebirge. Das reicht vom Gottesbild bis zu den seelsorgerlichen Fragen von Kommunion und Beichte. Nicht ohne Grund gibt es zum Thema Kirche gründliche Anmerkungen.

Im Blick auf andere Religionen, vorab auf Judentum und Islam reicht es eben nicht, zu erklären, wie hätten doch alle denselben Gott. Unbestreitbar ist aber genau das die Tendenz des Zeitgeistes (mit dem alten Namen "Deismus"). Einen Ein-Gott-Glauben besaßen auch schon die alten Ägypter. Dreifaltigkeit aber ist "wegen der Menschen". Daher geht es hier, wie Kardinal Müller betont, um einen fundamentalen Unterschied gerade zu anderen Hochreligionen nicht nur im Gottesglauben, sondern auch im  Menschenbild. Denn der dreifaltige Gott will die Menschen sich ähnlich machen. Daher die Gottebenbildlichkeit, die Menschwerdung, daher die Vollendung der Verähnlichung im Heiligen Geist. Und diese Gleichgestaltung hat, anders als Walter Kasper unterstellt, in höchstem Maße etwas zu tun mit dem Frieden in der Welt. Durch die Kreuzigung wie durch das Wohnen in den Herzen der Menschen ist Gott den Menschen unvergleichlich nahe und radikal "für" sie – statt lediglich Gehorsam zu fordern.

Jesus ist deshalb der einzige Mittler und Christentum ist deshalb "Leitreligion"; weil in der Menschwerdung Gott "heruntergekommen" ist. Gott liegt im Staub. Wer es ihm nachmacht, wird friedensfähig. Gerade so hat Gott die Menschen am meisten geadelt, dass zu gefühlter Minderwertigkeit kein Anlass besteht. Denn darin liegt immer wieder der Anlass zu Unfrieden. Fazit: Der dreifaltige Gott ist ein demütiger Gott, der nicht von oben her über die Menschen herrscht, sondern in Staub und Dreck und Todesnot ihnen nahe ist und jeden friedlosen Machtanspruch wirklich und wörtlich unterbietet.

Und wenn Kardinal Müller angesichts des Verfalls der Beichte klagt, dass das Gewissen der Menschen offenbar nicht ausreichend geformt sei, dass sie, so möchte ich ergänzen, zu stolz sind, ihre eigene Sünde wahrzunehmen geschweige denn zu bekennen, dann ist diese Unreife des Gewissens nicht nur das Versäumnis einzelner, sondern betrifft jede Art von Öffentlichkeit. Man kann mit Walter Kasper sagen, das sei eine Beleidigung dieser Menschen. Doch die Wahrheit ist mindestens so gravierend. Die mangelnde Gewissensbildung ist wirklich dramatisch.

Und den Satz des heiligen Pfarrers von Ars, den der Weltkatechismus in § 1589 zitiert, dass die Priester auf Erden das Erlösungswerk fortsetzen, kann Walter Kasper nicht akzeptieren, weil Priester in den Missbrauchsskandal verwickelt seien. Doch das Problem des sittlichen Versagens von Priestern ist so alt wie die Kirche, und es ist im Donatistenstreit schon im 4. Jahrhundert geklärt: Auch wenn ein Priester schwer gesündigt hat, sind die Sakramente, die er spendet, gültig und darin Fortsetzung des Erlösungswerkes, weil Gott stärker ist als menschliche Verbrechen. Die Donatisten wollten eine "reine" Kirche. Das wollen wir alle. Aber wenn das nicht oder nur zum Teil gelingt - war dann das Ganze für die Katz? Seit Judas und Petrus gibt es Sünder und Verbrecher in der Kirche zuhauf. Und sollte einmal die Gelegenheit auf mich zukommen, für einen Bischof an einer Festschrift mitschreiben zu sollen - ich habe aus der Tradition der Apokalypsen einen Ordner angelegt mit dem Titel "Höllenstrafen für Hierarchen". Und wenn man das verhindern will: Für die Qualität unserer Priester sind wir alle verantwortlich. Und ausdrücklich betont Kardinal Müller, die Vermittlung des Glaubens sei "untrennbar mit der menschlichen Glaubwürdigkeit seiner Boten verbunden", die eben die ihnen Anvertrauten im Blick behalten und nicht verlassen dürften, sie in ihrem Glauben schwer schädigten. Die Forderung der Glaubwürdigkeit ist etwas anderes als angesichts eines Skandals damit das ganze Priestertum inklusive Zölibat abzuservieren.

Walter Kasper tut so, als wüsste er nicht, was das ist, eine "Ehe, die vor Gott besteht", das ist nämlich eine Ehe, die gültig ist; und er tut auch so, als wüsste er nicht, wer eine Ehe für gültig erklären kann. Eben das ist schon laut Bibel ein Teil der Schlüsselgewalt. Vielmehr entsteht der Eindruck: Immer, wenn Kardinal Müller sich behutsam und seelsorgerlich ausdrückt, ruft er die beißende Wut von Walter Kasper hervor. So, wenn er statt "gültig" sagt "vor Gott bestehend" oder wenn er von mangelnder Gewissensbildung spricht, wenn er geistliche Taubheit meint. Oder wenn Kardinal Müller zur Kommunion Geschiedener ungültig Wiederverheirateter sagt: das Sakrament würde dann nicht fruchtbar empfangen. Sanfter kann man es nicht sagen. Und anders als Walter Kasper behauptet ist in § 1457 des Katechismus keineswegs "von alledem nichts zu finden", sondern es geht da um die Unmöglichkeit, die Kommunion zu empfangen, wenn Menschen im Zustand schwerer Sünde sind. Das heißt: Walter Kasper weigert sich, die Wiederverheiratung Geschiedener als schwere Sünde zu bezeichnen. Für diese klare Information wäre man ihm dankbar.

Das Verbot der Ehescheidung ist das im Neuen Testament am häufigsten zitierte Jesuswort. Warum ist das Jesus so wichtig? Sein Problem ist nicht das Verhältnis von Mann und Frau, und alles, was wir von Jesus wissen, weist darauf, dass er jede Diskriminierung von Frauen aufs heftigste ablehnt. Sein Problem ist die Stabilität der Familie. Er weiß, dass er keinem Gott glaubwürdig verkündigen lassen kann, dem Ehescheidung egal ist. Denn es geht um einen Bund ganz unten an der Basis des menschlichen Zusammenlebens. Und der Gott der Bibel ist nie und nimmer ein Bundesbrecher. Das ist das Problem.

Kardinal Müller spricht vom Antichrist. Das ganze Neue Testament lehrt uns, dass wir mit einer solchen Größe rechnen müssen. Und statt zu suchen, wer das nun im Augenblick ist und wo in Rom er wohnt, sollte zunächst jeder vor der eigenen Tür kehren, insbesondere ein Lehrer der Kirche.

Walter Kasper bezieht diese Figur offensichtlich auf sich selbst und meint, entsprechend antworten zu müssen, indem er Kardinal Müller als wiedergekehrten neuen Luther oder gar als "Verwirrer" (ein altes Attribut des Antichrist) bezeichnet. Ich erspare es mir, auf diesen Rückfall in den Grobianismus des 16.Jahrhunderts näher einzugehen. Und ich stelle fest: Nichts irritiert die Christen mehr als solcher Hass und solche Wut an der Spitze der Kirche. Genau das hat uns in der gegenwärtigen Situation eben gerade noch gefehlt. Denn es ist alles andere als die auch von Benedikt XVI immer gewünschte lebhafte Diskussion. Es ist vielmehr lächerlich.

Und dass es nach dem Neuen Testament und später in der Kirche keine Frauenordination gibt, hängt mit der notwendigen Unterscheidung von Amt und Charisma zusammen. Charismen, lange und noch immer unterschätzt, können Frauen jederzeit geschenkt bekommen. Auch zum Beispiel das der Diakonie. Doch seit dem 19. Jahrhundert unterscheiden auch gerade Protestanten zwischen Amt und Charisma.

Und der Zölibat ist nicht damit gelöst, dass Walter Kasper darüber noch einmal nachdenkt, sondern orientiert sich am Lebensstil Jesu, Johannes des Täufers, des hl. Paulus und hunderttausender anderer Christen aller Jahrhunderte. Diese Nachahmung des ehelosen Gottes kann einem als Charisma geschenkt sein oder eben nicht. Durch Nachdenken löst man dieses Problem von Gnade und Berufung nicht. Das Mittel der Wahl ist die Fürbitte.

Foto: Paul Badde / EWTN

Der Theologe Klaus Berger war Professor für Neutestamentliche Theologie an der Universität Heidelberg. Sein Jesus-Buch ist ein Beststeller. Neben vielen Monographien und Fachaufsätzen schrieb der 1940 in Hildesheim geborene Gelehrte zahlreiche Beiträge für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Ebenfalls von Klaus Berger bei CNA Deutsch erschienen:

https://twitter.com/CNAdeutsch/status/939105977487458304 

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