Die öffentliche "Selbstzerfleischung" und die mangelhafte "Außendarstellung der Kirche" kritisierte der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung im Umgang mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals vor rund 230 Priestern und Diakonen im Würzburger Neumünster: "Was geben wir öffentlich für ein Schauspiel ab in der Selbstzerfleischung bezüglich der Situationsanalyse?" Er nannte exemplarisch die Meinung, die Kirche sei eine "Täterorganisation", und die "vernichtende Diagnose", der Missbrauch gehöre zur "DNA der Kirche".

Auch Erzbischof Dr. Georg Gänswein formulierte anlässlich der Priesterweihe in der Abtei Heiligenkreuz am 27. April 2019 neulich höchst pointiert: "Wer eine neue Kirche erfinden möchte, wer an ihrer DNA herumschrauben möchte, der ist auf dem Holzweg und der missbraucht seine geistliche Vollmacht." Wer wollte dem klugen Präfekten des Päpstlichen Hauses da widersprechen? Er hat deutlich erkannt, dass solche Nebelworte Spaltungen nur vertiefen. Man darf aber zugleich, glaube ich, das Kopfschütteln vieler Einzelner in den Kirchengemeinden auch nicht verkennen, die mit diesen Äußerungen nichts anzufangen wissen und noch immer froh, dankbar, stolz und glücklich sind, der römisch-katholischen Kirche – der Kirche Jesu Christi – anzugehören.

Eine junge katholische Friseurin fragte mich neulich: "Das mit dieser DNA ... Worum genau geht's da eigentlich?" Da mir die Tiefendimension dieser kirchenpolitisch virulenten Metapher auch nicht vollständig begreiflich ist, konnte ich nur mit den Achseln zucken. Sie fügte lachend hinzu: "Ach ja, die DNA – na klar!" Sogleich erinnerte ich mich an ein Wort von Benedikt XVI.: "Die Kirche ist jung, und die Kirche lebt."

Die einfach gläubigen Katholiken verfügen so oft über den klaren Blick und wissen zu unterscheiden. Sie verstehen nur zu gut, warum Bischof Jung und Erzbischof Gänswein sich darüber empören. Natürlich freuen wir uns, wenn Lehrer des Glaubens klare, unmissverständlich, einfach nur römisch-katholische Worte sprechen. Orientierung schenkt die "Wahrheit des Evangeliums" (Gal 2,14), Orientierung schenkt die verbindlich gültige Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte – und Orientierung wird dringend gebraucht.

Wir haben, Gott sei's gedankt, viele Lehrer im Glauben. Es müssen nicht immer Bischöfe sein, aber es wäre schön, wenn auch sie dazu gehören würden. Manchmal finden wir Vorbilder buchstäblich nebenan, auch in der eigenen Familie. Ich habe unendlich viel über den Glauben der römisch-katholischen Kirche, durch das einfache Zeugnis ihres Lebens, von meiner Eltern und Großeltern lernen dürfen und werde immer dafür dankbar sein. Mein erster Rosenkranz, den meine Mutter mir wortlos in die Hand legte, als sie ihn mir schenkte, liegt noch heute auf meinem Schreibtisch. Die Schönheit des Glaubens ist gegenwärtig in den Heiligen. Ich denke dabei an mir ans Herz gewachsene kleine große Heilige wie Bruder Konrad, Theresia vom Kinde Jesus, Bernadette Soubirous oder Mutter Teresa, an Kirchenväter wie Ambrosius und Augustinus oder an den heiligen Johannes Paul II. Zugleich denke ich an die guten, frommen Priester und Ordensleute, die mir begegnet sind. Auch denke ich ganz besonders an viele, mir persönlich oft unbekannte Beter in den Kirchen und Gottesdiensten, die ich Tag für Tag und Woche für Woche sehe, in deren Gesellschaft und Gegenwart ich mein eigenes Stammeln und Stottern vor den Herrn trage. Nur zu gut verstehe ich, dass Papst Franziskus immer wieder den Menschen, denen er begegnet, zuruft und inständig darum bittet, dass sie für ihn beten mögen. 

Henri de Lubac hat in den "Paradoxen" – veröffentlicht wurden diese Reflexionen 1944 und 1954 (deutsche Ausgabe: Glaubensparadoxe, 2. Aufl. 2005, Johannes-Verlag, sehr zu empfehlen!) – an eine "einfache Wahrheit" erinnert, die man in allen "heutigen Diskussionen" bedenken solle: "Die lebendigsten, echtesten Christen finden sich für gewöhnlich nicht bei den Gelehrten und Geschickten, nicht bei den Intellektuellen und Politikern, nicht bei den Inhabern von Macht und Reichtum. Deshalb wird in der Presse und bei Podiumsgesprächen ihre Stimme selten hörbar, ihre Taten haben keinerlei Glanz, die Allgemeinheit beschäftigt sich nicht mit ihnen. Sogar innerhalb der Kirche ist ihr Leben verborgen und unbeachtet. Viele Heiligen werden erst nach ihrem Tod bekannt, viele bleiben auch nach ihrem Tod unentdeckt. Und jene unter ihnen, die eine Rolle zu spielen hatten, wurden fast immer missachtet und in ihren schönsten Unternehmungen bekämpft oder fahrengelassen. Und doch sind es diese Menschen, die mehr als alle übrigen dazu beitragen, dass unsere Erde keine Hölle sei." Rudolf Voderholzer, der heutige Bischof von Regensburg, hat in seinem lesenswerten Band "Henri de Lubac begegnen" 1999 geschrieben, dass der Theologe davon überzeugt gewesen sei, "dass der Glaube aus sich heraus strahlt und Überzeugungskraft besitzt, sofern er nur wirklich er selbst und nicht in entstellter Form vorgetragen oder vorgelebt wird".

Das ist wirklich, im Sinne de Lubacs, eine ganz einfache Wahrheit: Die "Lichtspur des Glaubens" (Benedikt XVI.) wird sichtbar durch einfach gläubige, ganz normale Katholiken und ist gegenwärtig in den Heiligen. Sie sind zugleich auch – um Bischofs Jungs Wort aufzugreifen – die beste "Außendarstellung" der römisch-katholischen Kirche. Auch von ihnen, auch gerade in ihnen und durch sie lebt die Kirche unseres Herrn Jesus Christus. Wenn wir darum also an Seine Kirche, an Seine Gegenwart im Sakrament des Altares, an das Zeugnis der Heiligen und der einfach gläubigen Christen denken, so können auch wir vielleicht mit Henri de Lubac sagen: "Wer wird uns trennen vom Glauben, von der Hoffnung, von der Liebe Christi?"

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