Die Nachricht hat Schlagzeilen gemacht; wenigstens in katholischen Kreisen. Die Theologische Kommission der Internationalen Marianischen Gesellschaft (International Marian Association) hat am 1. Januar 2017 eine beachtliche Arbeit mit dem Titel "Die Rolle Mariens im Erlösungswerk" veröffentlicht.

Aufsehen erregte die darin formulierte Bitte, Papst Franziskus möge bei seinem Besuch in Fatima am 13. Mai 2017 die Aufgabe der Mutter Christi als "Miterlöserin mit Jesus, dem Erlöser" erklären. Wie kaum ein anderer theologischer Begriff löst der der Miterlöserin Verwunderung, ja bei nicht wenigen Empörung aus. Ist Christus nicht der einzige Erlöser, der einzige Retter aus Schuld und Sünde? Stößt man mit einer solchen Lehre, die auf den ersten Blick so unbiblisch erscheint, nicht gerade evangelische Brüder und Schwestern vor den Kopf und gefährdet, was im ökumenischen Dialog gewachsen ist?

"Maria – Miterlöserin? Muss das wirklich sein?"

Über den Begriff "Miterlöserin" kann man streiten und versuchen, nach besseren Formulierungen zu suchen. Der Titel Co-Redemptrix mag schwer verständlich sein und zu Missverständnissen führen, aber die Lehre, die er ausdrückt, gehört zum katholischen Glauben; nicht als feierliches Dogma neben den anderen vier unfehlbaren Glaubenssätze über Maria, aber doch als Teil des ordentlichen Lehramtes, spätestens seit dem Seligen Papst Pius IX.

In der Definitionsbulle Ineffabilis Deus, mit der er 1854 die Bewahrung Mariens vor der Erbschuld zum Dogma erklärt hat, heißt es, dass "die heiligste Jungfrau, die ganz innig und unzertrennlich mit ihm [Christus] verbunden ist, mit ihm und durch ihn in ewiger Feindschaft mit der giftigen Schlange [Teufel] steht." Freundschaft mit Gott, Feindschaft mit dem Teufel: das ist – kurz gesagt – Erlösung. Allein schafft das kein Mensch. Es ist Geschenk und Gnade Christi, der uns durch sein Opfer am Kreuz, unter dem Maria unsere geistliche Mutter geworden ist, zu Kindern Gottes gemacht hat.

Der heilige Papst Pius X. nennt Maria "Wiederherstellerin des verlorenen Menschengeschlechtes”. Seit Papst Pius XI. hat sich eine Reihe von Päpsten nicht gescheut, direkt von der "Miterlöserin" zu sprechen. Der Begriff ist ohne Zweifel, wenigstens für die Geschichte der katholischen Kirche, sehr jung. Zum ersten Mal lässt er sich in einem Salzburger Manuskript aus dem 15. Jahrhundert nachweisen. Wesentlich älter sind die marianischen Titel "Salvatrix" (Retterin) und "Redemptrix" (Erlöserin). Letzteren benutzt zum Beispiel die heilige Katarina von Siena.

Das, was diese Ausdrücke sagen wollen – die Wahrheit, dass Maria in einzigartiger Weise am Werk der Erlösung Christi mitgearbeitet hat – findet sich schon in den ersten Jahrhunderten. Irenäus von Lyon etwa nennt Maria "Ursache unseres Heiles", um deutlich zu machen, dass ihr Ja-Wort in Nazareth – das nicht einfach von einer anderen Frau an Stelle Mariens hätte gesagt werden können (wir sind in Gottes Augen keine austauschbaren Nummern!) – die Menschwerdung des Sohnes Gottes und damit unsere Erlösung möglich gemacht hat. Ohne Maria gäbe es Jesus nicht.

Der neue Adam und die neue Eva

Noch wichtiger ist die ebenfalls auf Irenäus zurückgehende Parallelsetzung von Eva und Maria. Was die eine im Ungehorsam verloren hat, als sie auf den gefallenen Engel hörte, dass bringt die andere durch ihren Gehorsam gegenüber Gabriels Wort zurück. Wie Sünde und Tod durch Eva in die Welt kamen, so kommt durch Maria Heil und Leben. Sie ist – in Anlehnung an die Rede des heiligen Paulus vom "neuen Adam" – die neue Eva.

In diesem schönen Begriff ist alles ausgesagt, was die Rede von der Miterlöserin meint: Maria ist Gefährtin und Hilfe Christi – vom Fiat in Nazareth bis hin zum Opfer auf dem Kalvarienberg, bei dem sie unter Tränen und Schmerzen erneut ihren Gehorsam in Gottes Willen zeigt. Maria soll der heiligen Brigitta von Schweden gesagt haben: "Adam und Eva haben die Welt um eines Apfels willen verloren, mein Sohn und ich haben sie mit einem Herzen erlöst".

Maria ist Christi herausragende und einzigartige Mitarbeiterin im Werk der Erlösung. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt dazu: "Die selige Jungfrau, die von Ewigkeit her zusammen mit der Menschwerdung des göttlichen Wortes als Mutter Gottes vorherbestimmt wurde, war nach dem Ratschluss der göttlichen Vorsehung hier auf Erden die erhabene Mutter des göttlichen Erlösers, in einzigartiger Weise vor anderen seine großmütige Gefährtin und die demütige Magd des Herrn. Indem sie Christus empfing, gebar und nährte, im Tempel dem Vater darstellte und mit ihrem am Kreuz sterbenden Sohn litt, hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen. Deshalb ist sie uns in der Ordnung der Gnade Mutter. […] In den Himmel aufgenommen, hat sie diesen heilbringenden Auftrag nicht aufgegeben, sondern fährt durch ihre vielfältige Fürbitte fort, uns die Gaben des ewigen Heils zu erwirken" (Lumen Gentium Kap. VIII, 61f.).

"Hab keine Angst, Maria zu viel zu lieben. Jesus liebt sie immer mehr als Du" (heilige Theresa von Lisieux)

Der Begriff "Mit-Erlöserin" schockiert. Aber sollte das nicht eigentlich auch der Begriff "Gottesmutter", der sich – dank des Heiligen Geistes, so dürfen wir als Gläubige sagen – auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 gegenüber dem Ausdruck "Christusgebärerin" durchgesetzt hat? Wir haben uns so sehr daran gewöhnt – in jedem Ave Maria beten wir ja dieses große Wort – dass es uns nicht mehr in Staunen versetzt.

Ein menschliches Geschöpf, eine Tochter Evas, die selbst der Erlösung bedurfte, aber nicht von Schuld gereinigt, sondern vor ihr bewahrt wurde, ist Mutter eines Gottes. Eine solche Wahrheit müsste stets ein "Wow" auf unsere Lippen zaubern. Missverständlich und provokant ist die Rede von der Gottesmutter nicht weniger als die von der Miterlöserin. Maria ist nicht Gott; sie ist nicht die vierte Person der Dreifaltigkeit, die die Mutter der zweiten wird.

Sie ist auch nicht – wie in den griechischen Mythen – die Geliebte eines Gottes, der ihr ein Kind schenkt, das als Halbgott heranwächst. Trotz des Risikos, dass einzelne Gläubige theologische Begriffe falsch verstehen, wagt es die Kirche, Maria "Gottesmutter" zu nennen. Sollte sie Angst davor haben, sie als Miterlöserin zu ehren?

Die demütige Magd wird zur milden Königin

Es fällt auf, dass Maria viele Titel und Ehrenbezeichnung trägt, die Christus eigen sind. Wir nennen Jesus König und seine Mutter Königin. Er ist der Mittler, sie die Mittlerin. Er ist der Sohn des Ewigen Vaters, sie seine viel geliebte Tochter. Heißt das etwa, dass es zwischen Christus und seiner Mutter keinen Unterschied gebe? Keineswegs. Der Unterschied zwischen Maria und Jesus ist gewaltig. Sie ist ein Geschöpf, er der ewige Gott. Sie ist vor der Erbschuld bewahrt worden, weil er – im Hinblick auf sein Opfer am Kreuz – sie im Voraus erlöst hat. Jesus hat – fast wie der Prinz im Märchen, der ein armes Mädchen als Braut an seinen Hof holt und zur Königin über sein Reich macht – seine Mutter aus Gnade an seine Seite gestellt. Wie der heilige Papst Pius X. In der Enzyklika Ad diem illum lehrt, hat Maria schicklicherweise (de congruo) für uns verdient, was Christus von Rechtswegen  (de condigno) getan hat. Er ist Herr kraft seiner Natur, sie Herrin aus Gnade; er, wahrhaft Gott und Mensch, ist durch seinen Tod der Erlöser der Menschheit; sie – erwählt aus Gnade – ist durch ihr treues Mitleiden seine Gefährtin bei der Wiederherstellung der gefallenen Menschheit.

Der heilige Paulus sagt: "Wir sind Mitarbeiter Gottes" (1 Kor 3, 9). Jeder von uns hat auf seine Weise mitzuarbeiten am Werk der Erlösung. Eine Mutter, die ihre Kinder beten lehrt; ein Pfarrer, der seine Gemeinde für Jesus begeistert; eine Ordensschwester, die für die Bekehrung derer betet, die Gott nicht kennen. Sind das nicht alles "Mitarbeiter Gottes", kleine Mit-Erlöser, die dem einen und einzigen Erlöser helfen, dass sein Tod am Kreuz für die ihnen anvertrauten nicht verloren sei?

Maria wurde unter dem Kreuz unsere Mutter. Ihr ist die gesamte Menschheit anvertraut. Behaupten wir zu viel, wenn wir sagen, sie sei die erste Mitarbeiterin Gottes, der unser Heil will? Ist es falsch zu sagen, dass sie mit dem Erlöser Hilfe und Rettung bringt? Es geht nicht darum, andere Gläubige mit schwierigen Begriffen vor den Kopf zu stoßen oder innig Christus liebende Menschen, die fürchten Maria könnte ihren Sohn verdrängen, zu provozieren. Vielmehr kommt es darauf an, in angemessener Weise von der Frau zu sprechen, über die "nie genug gesagt werden kann" (heilige Bernhard).

Papst Franziskus über Mariens Mission im Erlösungswerk

In der Generalaudienz vom 23. Oktober 2013, also schon im ersten Jahr seines Pontifikates, hat Papst Franziskus über die Rolle Mariens an der Seite des Erlösers gesprochen:  "Maria betete, arbeitete, ging in die Synagoge. Aber jede Tätigkeit wurde stets in vollkommener Einheit mit Jesus verrichtet. Diese Einheit erreicht ihren Höhepunkt auf Golgota: Hier vereint sich Maria mit ihrem Sohn im Martyrium des Herzens und in der Hingabe des Lebens an den Vater für das Heil der Menschheit. Die Gottesmutter hat sich den Schmerz ihres Sohnes zu eigen gemacht und hat mit ihm den Willen des Vaters angenommen, in jenem fruchtbringenden Gehorsam, der den wahren Sieg über das Böse und über den Tod schenkt." Die Herzen Jesu und Mariens, die im Gleichtakt der Liebe schlagen, sind auch im leidvollen Opfer unzertrennbar. Das blutige Martyrium des Sohnes und das tränenreiche seiner Mutter sind, so Papst Franziskus, ein gemeinsamer Akt der Hingabe an den Vater für das Heil der Welt. Genau das meint der Titel "Miterlöserin".

Die Botschaft von Fatima

Es ist wünschenswert, dass Papst Franziskus, der sein Pontifikat Unserer lieben Frau von Fatima geweiht hat, in ihrem Heiligtum noch einmal über die Miterlösung spricht und erklärt, warum Maria die neue Eva ist, die dem Retter der Welt als Hilfe zur Seite steht. Bekanntlich hat der Heilige Vater eine große Verehrung für die "Knotenlöserin" – ein Bild, das die Mutter Jesu zeigt, wie sie ein langes Band aus seinen unzähligen Verstrickungen löst.

Dieses Gnadenbild ist nichts anderes als eine Ikone der Miterlöserin. 1917, also vor genau 100 Jahren, hat Maria drei kleine Kinder und mit ihnen uns alle aufgerufen, durch Gebet und Opfer, mitzuhelfen, diese verknotete Welt zu befreien. Aus Gnade können wir – was für ein großes Wort des heilige Paulus! – mit unseren "Leiden ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt" (Kol 1, 24).

Als Jünger Jesu dürfen wir mithelfen, sein vollkommenes Heilswerk zu allen Menschen gelangen zu lassen. Wir sollen mitarbeiten, mitbeten, mitleiden für den Frieden und die Bekehrung der Sünder. Fatima ist die drängende Botschaft zur Miterlösung der Welt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Hinweis: Kommentare spiegeln die Meinung des Verfassers wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.