Zweifelsohne gehört der Publizist Peter Seewald einer der besten Kenner des Ende 2022 verstorbenen Papstes Benedikt XVI. So überrascht es nicht, dass er nach seiner monumentalen Biografie von Joseph Ratzinger im Jahr 2020 mit rund 1200 Seiten nun ein mit etwa 400 Seiten leichter zugängliches Werk veröffentlicht hat, das den Titel „Benedikts Vermächtnis“ trägt.

Eine Besonderheit: Das Buch ist als Dialog aufgebaut – wobei der fiktive Gesprächspartner von Seewald mehr als Stichwortgeber fungiert denn als Fragensteller. In jedem Fall fühlt man sich erinnert an die vier großen Interviewbände, die Seewald zunächst mit Kardinal Joseph Ratzinger, dann mit Papst Benedikt XVI. und schließlich mit dem Papst emeritus publiziert hatte.

Seewald weist Ratzinger in seinem Prolog mit beinahe euphorischen Worten seinen Platz in der Weltgeschichte zu: „Joseph Ratzinger hat Geschichte geschrieben. Kirchen- und Weltgeschichte. Als Mitgestalter des Konzils, als Erneuerer der Theologie, als Glaubenshüter, der an der Seite Karol Wojtyłas dafür Sorge trug, dass im Sturm der Zeit das Schiff Kirche auf Kurs blieb. Und als erster Deutscher, der nach einem halben Jahrtausend wieder den Stuhl Petri einnahm – nach einem des kürzesten Konklaves überhaupt.“

„An Superlativen besteht kein Mangel“, heißt es weiter. „Da ist: der meistgelesene Theologe der Neuzeit, dessen Werke Abermillionen von Menschen inspirierten und unzählige Priesterberufungen auslösten. Der Kirchenführer, der mit drei Jahrzehnten Dienst im Vatikan so lange an der Spitze der größten und ältesten Institution der Welt stand wie niemand sonst. Der wohl bedeutendste Theologe, der jemals die katholische Kirche führte. Alleine der Akt seiner Demission, der die Welt erschütterte, macht Ratzinger zu einer herausragenden Figur in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche.“

Man sollte Benedikt XVI. jedoch nicht allein mit diesen weltlichen Maßstäben messen – was Seewald auch nicht tut. Immer wieder scheinen in seinem Buch über „Das Erbe des deutschen Papstes für die Kirche und die Welt“ die Demut, die Einfachheit und die Frömmigkeit von Ratzinger hervor, aber auch ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit.

Sein Besuch im Konzentrationslager Ausschwitz „eine Pflicht der Wahrheit, dem Recht derer gegenüber, die gelitten haben, eine Pflicht vor Gott, als Nachfolger von Johannes Paul II. und als Kind des deutschen Volkes hier zu stehen“, sagte der Papst im Jahr 2006, wie Seewald zitiert. „Ich konnte unmöglich nicht hierherkommen.“

Auch mit Blick auf die 2007 vorgenommene Klarstellung, dass jeder Priester auch nach der Einführung der neuen Liturgie Ende der 1960er-Jahre die Messe in ihrer überlieferten Form feiern könne, zeigt sich dieser Sinn für Gerechtigkeit. „Der Papst war von der Notwendigkeit dieser Korrektur überzeugt, und er hat damit, gegen alle Widerstände, etwas Bleibendes geschaffen“, so Seewald.

Natürlich muss sich der Leser fragen, warum diese Stelle – vermutlich schon vor einigen Jahren geschrieben – im Jahr 2021 nicht korrigiert wurde, als Papst Franziskus den Erlass seines Vorgängers außer Kraft setzte, den Zugang zur klassischen römischen Liturgie massiv einschränkte und damit Bischöfe und Gläubige in aller Welt vor den Kopf stieß.

„Die Änderung war ein großes Anliegen Ratzingers“, heißt es also noch bei Seewald. „Schon als Theologieprofessor in Regensburg zeigte er sich bestürzt über das Verbot des alten Missale. Etwas Derartiges, kritisierte er, habe es in der ganzen Liturgiegeschichte nicht gegeben. Johannes Paul II. erlaubte zwar 1984 wieder Messen nach dem klassischen Ritus, man musste dafür jedoch die Erlaubnis des Ortsbischofs einholen. Mit Benedikts Motu proprio vom 7. Juli 2007 darf das Missale Romanum in seiner letzten, 1962 von Johannes XXIII. durchgesehenen Form wieder zelebriert werden, ohne zuvor in Rom oder beim Ortsbischof um Genehmigung betteln zu müssen.“

Inzwischen ist natürlich genau dies wieder Fall – extremer als je zuvor: Jetzt muss ein Bischof in Rom „um Genehmigung betteln“, damit einer seiner neugeweihten Priester die sogenannte alte Messe feiern darf. In den vergangenen zwei Jahren wurde eine solche Erlaubnis wohl noch nie erteilt.

Insofern kann man eine derartige Passage durchaus als Kritik an Papst Franziskus lesen, als Bruch zwischen dem Papst aus Argentinien und dem deutschen Papst, der sich so sehr um die Kontinuität in der Kirche bemühte.

Subtil zeigt sich die Problematik von Papst Franziskus für die Kirche auch an einer weiteren Stelle, an der Seewald über das Konklave von 2005 berichtet, bei dem Ratzinger zum Papst gewählt wurde. Im Vorfeld hatten die Kardinäle „Achille Silvestrini, Karl Lehmann, Walter Kasper sowie Würdenträger aus England, Belgien, Litauen und Italien“ bei einem Treffen versucht, „‚eine Strategie für die Wahl eines ihrer Wunschkandidaten festzulegen‘. Die Gruppe habe diskutiert, sich für Carlo Maria Martini starkzumachen. Nicht weil man Martini für geeignet hielt – der 78-Jährige war an Parkinson erkrankt – , sondern aus rein taktischen Gründen. Nachdem sich gezeigt hatte, dass Ratzinger entgegen allen Einschätzungen ein ernst zu nehmender Kandidat war, entstünde mit den Stimmen für den Mailänder eine Pattsituation. Sie könnte nur aufgelöst werden, indem ein neuer Name ins Spiel gebracht wird, etwa der des argentinischen Jesuiten Jorge Bergoglio.“

Seewald ist eine weitere schöne Biografie von Papst Benedikt XVI. gelungen, die allein aufgrund ihres Umfangs weniger einschüchternd erscheint als das vor drei Jahren veröffentlichte Werk. Das Fehlen von Fußnoten mag man dabei bedauern, denn viele Zitate von Benedikt XVI. laden ein, sich in seine Ansprachen und Bücher zu vertiefen. Fußnoten hin oder her: Dem Leser des Buches ist in jedem Fall zu wünschen, nach der Lektüre ermuntert zu sein, sich weiter in „Benedikts Vermächtnis“ zu vertiefen.

Peter Seewald: Benedikts Vermächtnis. Das Erbe des deutschen Papstes für die Kirche und die Welt; Hoffmann und Campe Verlag 2023; ISBN: 978-3-455-01258-3; 400 Seiten; 25 Euro

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