Der Bischof von Limburg, Georg Bätzing, provoziert die Weltkirche mit einer neuen, bisher einmaligen Umkehr der Moralvorstellungen. Warum riskiert er sein Amt?

Zeitgleich mit seinem umstrittenen neuen Bistumsstatut, das „einen grundlegenden Kulturwandel“ in Organisation und Leitung angestrebt, stellte das Bistum Limburg in dieser Woche auch seine neuen „Leitlinien Sexualpädagogische Kompetenz in der Pastoral und in kirchlichen Arbeitsfeldern“ vor.

Die neuen Leitlinien markieren einen „gewaltigen Unterschied“ zur bisher vielfach praktizierten kirchlichen Haltung zur Sexualität, hieß es bei der Vorstellung. Das ist eine Untertreibung: Die kirchliche Morallehre wird im Bistum Limburg auf den Kopf gestellt. Die neuen Regeln hatte Bischof Georg Bätzing bereits am 17. Mai 2022 zur Umsetzung freigegeben.

Was die bischöfliche Mitteilung noch als eine „Neupositionierung zum Thema Sexualität“ bezeichnet, bedeutet einen massiven theologischen Bruch und die Verdrehung der katholischen Morallehre in ihr Gegenteil.

Jesus sagte: „Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“ (Mt 5,27–28). Diese wichtige Aussage hat die katholische Kirche seit ihren Anfängen bis heute zu einer achtsamen und verantwortungsvollen Morallehre motiviert. Sie ist überzeugt: Jesus ist gekommen, um die Schöpfung in ihrer ursprünglichen Reinheit wiederherzustellen.

Sie spricht davon, durch entsprechende Enthaltsamkeit eine geglückte Integration der Sexualdynamik in die menschliche Person zu ermöglichen. Das erfordert das Erlernen der Selbstbeherrschung wie auch der Integration in die Gesamtperson, die durch Formung und Reifung zur menschlichen Freiheit findet. Die Alternative ist deutlich: Entweder ist der Mensch in der Lage, seine Triebe zu integrieren und erlangt so Persönlichkeitsreifung, oder er wird an die Triebe gebunden und von ihnen bestimmt. Darauf weist der Katechismus hin. Der Mensch soll jedoch von innen her bewegt und geführt und nicht unter innerem Drang handeln. So wird er vom Drängen der Leidenschaften befreit und verfolgt sein Ziel in freier Wahl des Guten in Verantwortung.

Der Katechismus verheimlicht nicht: „Selbstbeherrschung zu erringen, ist eine langwierige Aufgabe.“ Der Prozess der Integration der Sexualität folge Gesetzen des Wachstums: er durchlaufe verschiedene Stufen, in denen er noch unvollkommen und für fehlerhaftes Verhalten anfällig sei – so die in Jahrhunderten gereifte Erfahrung der Kirche. Die Kirche reklamiert keine heile Welt für sich.

Anders im Bistum Limburg. Dort ist der Umgang mit der eigenen Sexualität ganz einfach. Der neue Leitfaden vermittelt das Gegenteil des bisher Gültigen: Der Mensch braucht weder den wichtigen Prozess der Integration der Sexualität in die Persönlichkeitsbildung, noch Selbstbeherrschung, noch verantwortungsvollen Verzicht. Diese Worte kommen in den neuen Leitlinien einfach nicht vor, auch nicht sinngemäß. Dort herrscht eine ausnahmslos lineare und theologisch undifferenzierte Sichtweise über die Sexualität „als von Gott geschenkte, positive Lebenskraft“. Es gilt die „sexuelle Selbstbestimmung“, deren „Förderung“ verlangt wird. Moralische Grenzen sind selten: Lediglich andere Menschen in deren Selbstbestimmung beeinträchtigendes oder schädigendes Verhalten gilt es zu unterlassen. Bei Schutzbefohlenen darf die Machtasymmetrie niemals für Grenzverletzungen ausgenutzt werden. Ansonsten gilt die Aufhebung aller ethisch-moralischen Grenzen.

Stattdessen soll – so wörtlich – „der wertschätzende Umgang mit diesen Unterschiedlichkeiten und der Diversität in den Pfarreien und Einrichtungen aktiv gefördert werden. Die Wahl der Lebensform ist als ein Ergebnis einer individuellen und persönlichen Entscheidung zu respektieren. Darüber hinaus begrüßen wir es, wenn Paare ihre Partnerschaft unter den Segen Gottes zu stellen wünschen.“ Kirchlicher Segen ist wie ein wählbares Angebot in den Auslagen, zum anderen wird er jeder beliebig gestalteten Paarbeziehung bedingungslos zugesprochen. Was die katholische Kirche weltweit über Moral lehrt, ist unbeachtlich.

Im Gegenteil, so heißt es wörtlich: „Glaube und Sexualität müssen offen gelebt werden können. Dazu bedarf es einer offenen Haltung aller verantwortlichen Personen in den verschiedenen kirchlichen Arbeitsfeldern und Rahmenbedingungen hinsichtlich einer positiven Besetzung von Sexualität in der Kirche.“ Mit anderen Worten: Pfarrern, Religionslehrern und anderen Verkündern ist es jetzt verboten, die weltweit gültige katholische Morallehre vorzutragen; sie sind vielmehr verpflichtet, die neue Moral des Bistums Limburg zu vertreten. Ansonsten verstoßen sie gegen die bischöflichen Richtlinien und unterliegen Disziplinarmaßnahmen – ein bisher weltweit einmaliger Vorgang!

Natürlich besitzt dieser revolutionäre Versuch keine Gültigkeit. Niemand ist verpflichtet, sich daran zu halten, im Gegenteil. In der katholischen Kirche gibt es eine Rechtsordnung, die jeden einzelnen Gläubigen schützt. Der Vatikan hat eine solche Entwicklung in Deutschland bereits vorausgesehen und am 21. Juli 2022 öffentlich erklärt: „Zur Wahrung der Freiheit des Volkes Gottes und der Ausübung des bischöflichen Amtes erscheint es notwendig klarzustellen: Der ‚Synodale Weg‘ in Deutschland ist nicht befugt, die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten.“

Die neuen Leitlinien im Bistum Limburg spiegeln inhaltlich die Anträge und Beschlüsse des Synodalen Weges wider. Der wichtigste Antrag dazu ist auf der vergangenen Synodalversammlung im vergangenen September mangels qualifizierter Mehrheit gescheitert. Bischof Georg Bätzing erklärte damals, dass er diesen Beschluss dennoch in seinem Bistum umsetzen werde. Korrekter: Er hatte die neuen Leitlinien bereits vier Monate zuvor freigegeben.

Auch beim Ad-Limina-Besuch der deutschen Bischöfe im vergangenen November hatte der Vatikan deutlich vor einer ungültigen Veränderung von Lehre und Ordnung der Kirche in Deutschland gewarnt. Bischof Georg Bätzing riskiert derzeit bewusst und vorsätzlich, von Rom – als Vertretung der Weltkirche – gestoppt zu werden. Er kann als ungehorsamer Bischof entfernt oder durch einen Koadjutor eingehegt werden.

Warum provoziert und riskiert Bischof Bätzing dennoch sein Amt? Darüber kann nur spekuliert werden. Möchte er als „heldenhafter Vorreiter“ in die Annalen eingehen? In den sozialen Medien wird beispielsweise die Meinung vertreten, Bischof Bätzing provoziere ganz bewusst den Vatikan, um ihm nach dessen Eingreifen den „schwarzen Peter“ zuschieben zu können und so zum Aufstand gegen ein angeblich autoritäres Verhalten Roms aufstacheln zu können. Nun wird in der deutschen Kirche und deren Medien seit langem gegen den Vatikan und dessen höchsten Repräsentanten gestichelt und unfair polemisiert. Das von deutschen Kirchensteuerzahlern finanzierte Portal „katholisch.de“ warf dem Papst im Mai beispielsweise „Gaslighting“ vor, eine Form psychischen Missbrauchs. Will Bischof Bätzing also ein „Bauernopfer“ erbringen, um den Vatikan und die kirchliche Ordnung ins Unrecht zu setzen?

Es gibt auch andere Spekulationen: An der Vorstellung der neuen Leitlinie zur Sexualpädagogik wirkte auch der katholische Moraltheologe Stephan Goertz mit – gemeinsam mit Magnus Striet ein bekannter Vorkämpfer für den Synodalen Weg und dessen Moralprinzip der freien Selbstbestimmung. Goertz ist auch stellvertretender Vorsitzender der Unabhängigen Kommission im Bistum Limburg (UKO) zur Missbrauchsaufarbeitung. Nun zählt Georg Bätzing zu den drei Beteiligten aus dem Bistum Trier, die ausführlich vom Magazin „Der Spiegel“ (Nr. 50/21) in dessen Enthüllungen über Missbrauchsvertuschung im Bistum Trier wiederholt erwähnt werden und die heute als Bischöfe in führender Verantwortung in der deutschen Kirche tätig sind. Bischof Bätzing könnte also auch in dieser Hinsicht unter Druck stehen.

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