Die kirchlichen Nachrichten dieser Zeit muten zuweilen endzeitlich an. Sie enthalten reichlich düstere Prognosen und verstörende Momentaufnahmen. Progressive Streiter preisen ihre traditionalistische Agenda zur Kirchenreform als neueste Neuheit an. Besorgte Konservative fürchten die Selbstauflösung der römisch-katholischen Kirche. Noch immer vernehmen wir auch die narkotische Aufbruchsrhetorik mancher Bischöfe. Für den Herbst kündigen etablierte Verlage Bücher zur Erneuerung der Kirche an. Sollen wir uns darauf wirklich freuen? Autoren und Titel wechseln, aber so vieles kehrt wieder. Die Diskursvermehrung findet statt, aber wundersam ist nichts daran. Und das alles ist nicht so wichtig und wegweisend, aber auch nicht so bedrohlich, wie es manchmal zu sein scheint.  

Benedikt XVI. hat, besonders auch zum Ende seines Pontifikates, an Romano Guardini erinnert. Er zitierte den hoffnungsvollen Gedanken aus dem Jahr 1922: "Ein religiöser Vorgang von unabsehbarer Tragweite hat eingesetzt: Die Kirche erwacht in den Seelen." Guardini spricht in den Vorträgen, die unter dem Titel "Vom Sinn der Kirche" gesammelt sind, nicht von Gesprächsgruppen, Dialoginitiativen und Arbeitskreisen. Seine Hoffnung speist sich nicht aus Deklarationen, Thesen und temperamentvoll geführten Streitgesprächen. Guardini beobachtete vielmehr eine andere Entwicklung, die sich mit dem Zeitalter des Individualismus herausgebildet hatte: "Der Gläubige lebte wohl in der Kirche und war von ihr geführt; er lebte aber immer weniger die Kirche." Man könnte nun sagen: Das hat sich heute verschärft. Viele Gläubige, Theologen und Bischöfe scheinen die Kirche neu modellieren zu wollen, nach Maßgabe soziologischer Erhebungen, regionaler Umfragen und subjektiver Meinungen. So scheint Guardinis Beschreibung, die nahezu 100 Jahre alt ist, auch eine Diagnose der Gegenwart zu sein: "Es war keine Gemeinschaft, sondern Organisation; wie überall, so auch im Religiösen. Wie wenig empfanden sich die Gläubigen im Gottesdienst als Gemeinschaft! Wie aufgelöst war dieser innerlich. Wie weniger war der Einzelne sich der Pfarrgemeinde bewußt. Wir individualistisch wurde das Sakrament der Gemeinschaft, die »Kommunion«, aufgefaßt! … Die Kirche erschien vor allem als religiöse Zweck- und Rechtsanstalt. Das Mystische an ihr, alles, was hinter den greifbaren Zwecken und Einrichtungen steht, was sich im Begriff des Reiches Gottes, des mystischen Leibes Christi ausdrückt, wurde nicht unmittelbar empfunden."

Wir lesen, was Guardini schreibt, und möchten nicht nur der Analyse, sondern mehr noch seiner Zuversicht trauen. Wir wünschen uns doch auch heute nichts mehr, als dass das religiöse Leben "sich aus der tötenden Einkerkerung in sich selbst" befreien möge. Die Gemeinschaft der Gläubigen sei "keine Ansammlung in sich beschlossener Einzelwesen", weder eine ortskirchliche Aktionsgruppe noch ein freigeistiger Protestverein, sondern "eine den Einzelnen übergreifende Wirklichkeit", nämlich: "Kirche", der »Corpus Christi mysticum«. Die Kirche ist kein Traum, sondern eine wunderbare Realität: "Diese Einheit ist aber kein chaotisches Erlebnis, kein bloßes strömendes Gefühl. Es handelt sich um geformte, durch Dogma, Liturgie und Recht geformte Gemeinschaft. Nicht Gemeinschaft bloß, sondern Gemeinde; nicht religiöse Bewegung, sondern kirchliches Leben; keine geistliche Romantik, sondern kirchliches Sein."

Manche Signatur der Zeit mag uns skeptisch stimmen. Soll die Kirche nun nach irgendwelchen Masterplänen eifrig umgebaut und geistlich entkernt werden? Romano Guardini, mit ihm auch Benedikt XVI., sprach von begründeter Hoffnung, also von Gott. Er war mitnichten ein Optimist, aber seine Zuversicht, die auch uns erfüllen darf, ist eng verwoben mit dem Glauben, zu dem wir uns bekennen. Die Kirche erneuere sich "im Wandel des Kirchenjahres und in der steten Gleichheit von Opfer und Sakrament". Guardinis Rat lautet: Liturgisch leben! "Liturgisch leben heißt nicht irgendwelche schöngeistige Liebhabereien betreiben, sondern sich in diese vom Heiligen Geist selbst gefügte Ordnung stellen; von des Heiligen Geistes Maß und Liebe geführt, in Christus hinein- und damit zum Vater hinaufleben." (zur Lektüre empfohlen: Romano Guardini, Vom Sinn der Kirche (1922), 4. Aufl. Mainz 1955)

Vertrauen Sie gelassen und zuversichtlich darauf, dass der Herr Seine Kirche erhält. Ganz gleich, ob Sie sich auf Reisen begeben oder in den Ferien zu Hause bleiben, in der heiligen Messe werden Sie Ihren Schwestern und Brüdern begegnen, die im Haus des Herrn sich nur zu Gott hin wenden, zu Ihm bekehren, sich Ihm öffnen und zu Seiner Kirche stehen möchten. Sie möchten beten. Sie sind nicht von der Sehnsucht nach Kirchenreformen erfüllt, sondern vom Hunger nach dem Brot des Lebens. Wann immer ich die heilige Messe mitfeiern darf, so sehe, spüre und erfahre ich von innen her, was Romano Guardini voller Hoffnung mit Blick auf den Herrn gesagt hat: "Die Kirche erwacht in den Seelen." Denken mögen wir auch an die Worte, die der heilige Papst Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikates gewählt hat: "Non abbiate paura! Habt keine Angst!" 

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Hinweis: Meinungsbeiträge spiegeln die Meinung des Autors wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch. Erstveröffentlichung 3. August 2019. 
 

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