Die politische Diskussion wird seit einigen Wochen über die Organisationen Planned Parenthood Federation of America und She decides geführt – nicht in der allgemeinen Presse, die vielfach dem Mainstream unterworfen ist, sondern in der katholischen Zeitung "Die Tagespost". In ihr wurde das finanzielle Engagement der Bundesregierung für diese Organisationen thematisiert, und dabei trat an das Licht der Öffentlichkeit, auf welcher historischen Grundlage diese Organisationen gegründet worden sind und welche Absicht sie verfolgen. Ausgangsorganisation ist die American Birth Control League, die durch das Anbieten von Abtreibungsmöglichkeiten für schwarze Frauen vermeiden wollte, dass der schwarze Bevölkerungsteil in den USA die Mehrheit des Staatsvolkes bilden könnte. Die oben genannten Organisationen tarnen sich als Anbieter medizinischer Versorgung, doch ihr primäres Ziel ist es, massenhaft Abtreibungen in eigenen Kliniken durchzuführen – wobei sogar gefordert wird, dass die Abtreibungen bis zur Geburt erlaubt sein müssten.

Diese Forderungen werfen Fragen auf, die das Leben eines jeden Menschen zutiefst berühren. Im Rahmen ihres Auftrages, die Gesundheit von Frauen zu gewährleisten, verfolgen diese Organisationen eine vollständige Entkriminalisierung der Tötung von ungeborenen Menschen. Um eine völlige Strafbefreiung zu erzielen, muss die Klippe umschifft werden, dass durch die Abtreibung menschliches Leben vernichtet wird. Deshalb wird das Embryo oder der Fötus als "Zellhaufen" bezeichnet, um davon Abstand nehmen zu können, dass in der tradierten christlichen Tradition jeder Mensch, ob geboren oder ungeboren, als Geschenk Gottes angesehen wird, was ihm das intrinsische Recht auf Leben gewährt. Der ungeborene Mensch wird zum Zellhaufen degradiert, was bedeutet, dass ihm das Menschsein entzogen wird. Er wird zur Sache. Um rechtskonform handeln zu können, wird das ungeborene Leben deshalb als Rechtsobjekt deklariert, über das man beliebig verfügen kann. Eine weitere Möglichkeit der Entkriminalisierung soll durch einen Gesellschaftsvertrag festgelegt werden. Danach dürfen nur Menschen, die den Status einer Person erreicht haben, das Menschen- und Grundrecht auf Leben für sich reklamieren. Dadurch könnten freilich rechtliche Konsequenzen auftreten, die das Recht auf Leben insgesamt berühren.

"Mein Bauch gehört mir!" – dieser Schlachtruf, der in der 68er-Revolution in die Welt hinausposaunt wurde, ist zum cantus firmus einer Diskussion geworden, die vom liberalistischen und progressistischen Teil der Gesellschaften vorangetrieben wird. In diesem Schlachtruf spiegelt sich die Forderung wider, all das als integralen Bestandteil einer Frau anzusehen, was in ihrem Körper vorhanden ist. Folglich wird kein Unterschied mehr zwischen dem Inhalt des Magens, der Därme, der Adern und der Gebärmutter gemacht. Über alles, was sich im Körper der Frau befindet, soll nur sie die Verfügungsgewalt ausüben dürfen. Das ungeborene Kind wird als rechtlos betrachtet. Dass der Inhalt der Gebärmutter, also das werdende Kind, und weitere Inhalte des Körpers verschieden sind, wird nicht anerkannt – sie werden in toto als Rechtsobjekte betrachtet, über die die Frau frei von allen Beschränkungen verfügen dürfe. Die Mutter wird dadurch zur Eigentümerin der Sache "ungeborener Mensch". Damit wird dem ungeborenen Leben die Rechtsqualität eines Rechtssubjektes aberkannt. Aus dem Rechtssubjekt, das über das Menschenrecht auf Leben verfügt, wird durch diese Betrachtungsweise ein Rechtsobjekt, das lediglich als Sache angesehen werden muss. Da Sachen nicht Inhaber von Rechten oder Ansprüchen sein können, können sie auch keine Rechte oder Ansprüche für sich reklamieren und sollen infolgedessen vollständig der Verfügungsbefugnis der Mutter unterworfen sein. Damit soll der Mutter das Recht zuwachsen, mit dem ungeborenen Leben machen zu können, was sie will.

Auch wenn dem ungeborenen Menschen das Recht auf Leben entzogen werden soll – das Recht zu erben, verbliebe. Im BGB, dem Bürgerlichen Gesetzbuch, ist festgelegt worden, dass das ungeborene Kind erbberechtigt ist. Sollte der Erblasser vor der Geburt des als Erbe eingesetzten Kindes versterben, kann es dieses Recht zwar noch nicht geltend machen, doch im Moment der Geburt erstarkt diese Anwartschaft zu einem vollumfänglichen Recht und damit zu einem Erbanspruch, den das Kind rechtswirksam verfolgen kann.

Dieses Recht steht dem ungeborenen Menschen zu. Allein durch die Erbfähigkeit des ungeborenen Menschen wird die Fiktion widerlegt, dass er als Zellhaufen eine Sache sei. Ungeachtet der Tatsache, dass jeder Mensch, ob geboren oder ungeboren, als imago Dei, als Ebenbild Gottes, angesehen werden muss.

Dadurch dass der ungeborene Mensch über das Recht auf Leben verfügt, kollidiert zwangsläufig durch die Abtreibung das Recht der Mutter, über ihren Körper verfügen zu dürfen, mit dem Recht des Kindes auf Leben. In diesem Konflikt darf aber das Recht des Kindes nicht vollständig ausgeschlossen, es muss vielmehr in der Abwägung der Rechte berücksichtigt werden. Für verfassungsrechtlich unbedenklich wurde die sogenannte Fristenregelung angenommen, wonach in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft die Abtreibung straffrei sein soll. Allerdings wäre es für die Diskussion über das Recht auf Leben besser gewesen, wenn es bei der Indikationsregelung, die nicht jede Abtreibung als gerechtfertigt ansah, verblieben wäre, da die Fristenregelung einen Dammbruch in der Freigabe von Tötungshandlungen darstellt. Zwar wird die Vorlage eines Tötungstatbestandes angenommen, doch diese Verletzung wird als unbeachtlich deklariert. Sie ist straffrei.

Um nicht in voraufklärerische Zeiten zu verfallen, die die Menschen in Rechtssubjekte und in Rechtsobjekte, in Freie und Sklaven oder Leibeigene, eingruppierte, haben die beiden australischen Philosophen Peter Singer und Helga Kuhse den mehr semantisch anmutenden Vorschlag unterbreitet, dass wir zwischen "Mensch" und "Person" unterscheiden müssten. Während der Mensch an sich kein Menschenrecht auf Leben geltend machen könne, soll es aber der Person zustehen.

Nach deren Auffassung würde der Mensch zur Person aufsteigen und damit zum Träger des Rechtes auf Leben, wenn er über Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle, Sinn für Zukunft und Vergangenheit, die Fähigkeit, Verbindungen zu knüpfen und sich um andere zu kümmern, verfügt. Nur wenn der Mensch über diese Fähigkeiten verfüge, so Peter Singer, stünde ihm das Recht auf Leben zu. Verfüge er nicht über diese Möglichkeiten, stehe er als Mensch auf der gleichen rechtlichen Stufe wie ein Tier, wie Singer ausdrücklich formuliert. Da das Tier nach unserer Rechtsordnung als Sache angesehen wird, könnte deshalb über die Sache "Mensch" beliebig verfügt werden.

Auf der Grundlage dieser Annahme stünde es frei, ungeborene Menschen, geborene sogar im ersten Monat, aber auch alte, behinderte und demente Menschen straffrei zu töten, schließlich kann all diesen Menschen die Fähigkeit abgesprochen werden, Selbstbewusstsein etc. zu haben. Damit wären Tür und Tor geöffnet, dass sich die Gesellschaft von ungeborenen Menschen und denjenigen, die nur Kosten verursachen, straffrei befreien könnte. Nach den Vorgaben von Singer und Helga Kuhse könnten folglich auch schlafende Personen die Qualifikation "Person" verlieren, da sie während des Schlafes unfähig sind, die Voraussetzungen zu erfüllen, die notwendig sein sollen, um als Person privilegiert zu werden. Soweit wollen allerdings die beiden Philosophen nicht gehen, obwohl es folgerichtig wäre.

Dadurch, dass in vielen staatlichen Rechtsordnungen die Abtreibung in den ersten drei Monaten für straflos erklärt worden ist, begab man sich auf einen slippery slope, auf dem es kein Halten mehr zu geben scheint. In immer weiteren Fallkonstellationen wird die Straflosstellung von Tötungshandlungen gefordert.

Ist erst einmal die Vorstellung überwunden, dass dem Menschen als imago Dei das Recht auf Leben als ein intrinsisches Recht zusteht, wird gefordert, dass die Aufhebung der Strafbarkeit der Tötung jeglichen ungeborenen Lebens Gesetz wird, was auch in die Forderung grüner Politiker gekleidet wird, dass Abtreibungen nicht ins Strafgesetzbuch gehören – womit indiziert ist, dass diese Forderung in der nächsten Legislaturperiode erhoben wird. Dann erweist es sich nur als einen kleinen Schritt, um auch die straffreie Tötung weiterer Menschen zu fordern. Hierbei ist an Menschen zu denken, die pflegebedürftig sind und deren Pflege viel Geld, das sie aber nicht mehr selbst zahlen können, kostet. In diesen Fällen werden die Angehörigen herangezogen, die Kosten zu übernehmen. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass diese, um die Pflegekosten nicht übernehmen zu müssen, den pflegebedürftigen Angehörigen drängen könnten, mit einer vorzeitigen Beendigung des Lebens einverstanden zu sein, um Kosten zu sparen. Auch dürfte es nicht ausgeschlossen werden – um ein weiteres Beispiel aufzuzeigen –, dass, wenn die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid erlaubt ist, nicht nur die Beihilfe straflos gestellt wird, sondern die Tötungshandlung an sich. Ein großer Unterschied dürfte kaum darin zu sehen sein, ob der Selbsttöter den auf dem Nachtschrank bereitstehenden Gifttrunk selbst an seine Lippen führt oder ob diese kleine Handlung durch einen Dritten erfolgt, zumal dann, wenn der Kranke nicht mehr selbst das Glas zum Munde führen kann.

Diese weitreichenden Konsequenzen muss man vor Augen haben, wenn man Institutionen unterstützt, die sich für eine weitgehende Freigabe der Abtreibung einsetzen. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, ist es notwendig, eine Rückbesinnung auf die christliche Ethik zu fordern, damit alle Menschen, ob geboren oder nicht geboren, als Ebenbild Gottes angesehen werden. Es ist deshalb unsere Aufgabe, der Welt die im Christentum verankerten Werte vor Augen zu führen und den Auftrag wahrzunehmen, den uns der Herr aufgegeben hat: die Mission, durch die wir die Ausbreitung des christlichen Glaubens vorzunehmen haben. Dies schließt die Verpflichtung ein, die christliche Ethik Teil des gesellschaftlichen und staatlichen Diskurses werden zu lassen – jeder nach seinen Möglichkeiten. Eine Neuevangelisierung böte hierzu die besten Aussichten.

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