Schwester Marie-Ange wird am 17. August 2020 im Friedhof ihrer Gemeinschaft „Petites Sœurs disciples de l’Agneau - Kleine Schwestern Jüngerinnen des Lammes“ in der französischen Stadt Blanc im Zentrum des Loiretals beigesetzt. Zuvor lebte die Ordensfrau im Kloster für kontemplative Nonnen. Dies alleine wäre es vielleicht nicht wert, über sie zu berichten, wäre da nicht die Tatsache, dass sie mit dem Down-Syndrom geboren wurde. 

Vor wenigen Tagen fasste der in Deutschland für solche Angelegenheiten zuständige „Gemeinsame Bundesausschuss im Gesundheitswesen (G-BA)“ den Beschluss, dass ab dem nächsten Jahr ein Bluttest auf Down-Syndrom für Schwangere eine Kassenleistung werden soll (CNA Deutsch berichtete). 

Mit dem dann von gesetzlichen Krankenkassen bezahlten pränatalen Bluttest auf Trisomie-21 erhöht sich der Druck auf werdende Mütter, auch diese Tests über sich ergehen zu lassen. Schon bisher wurden Schwangere mehr oder weniger dazu gedrängt, zu überlegen, ob sie wirklich ein „Down-Kind“ auf die Welt bringen und großziehen und damit gleichzeitig der Gesellschaft zur Last fallen wollten. Mit der nun vorgesehenen Blutuntersuchung wird nicht nur das Down-Syndrom (Trisomie 21) festgestellt, auch die selteneren Trisomien 13 und 18 werden damit diagnostiziert.

Zweifellos ist das Ziel solcher Untersuchungen, dass sich werdende Mütter scheuen sollen, Kinder mit diesen „Defekten“ zur Welt zu bringen und sie stattdessen abzutreiben.

Seit 2012 war die vorgeburtliche Diagnose von Trisomie 21 nur über eine Fruchtwasser- oder Plazentauntersuchung möglich. Bei der Blutuntersuchung handelt es sich um einen Gentest. Jedoch ist diese Gesundheitsuntersuchung gesellschaftspolitisch seit langem umstritten. Insbesondere Behindertenverbände und kirchlich orientierte Vereinigungen sind gegen den neuen Test als Kassenleistung, weil sie die Gefahr sehen, dass kaum noch Kinder mit einem Down-Syndrom zur Welt kommen würden.

Es gäben wohl künftig nicht mehr viele Eltern, die ein sicherlich mit vielen Sorgen behaftetes Leben mit einem solchen Kind führen würden, es mit Liebe aufzögen und es auf ein Leben in der Welt vorbereiteten. Diese Eltern würden dann niemals die Erfahrungen machen, von denen noch heute Eltern erzählen können, die ein Kind mit Trisomie 21 groß gezogen haben. Natürlich tragen sie Last, haben Angst und Sorgen. Dafür begegnet ihnen auch Freude, Herzlichkeit, Lebendigkeit, Neugierde und vor allem Dankbarkeit und Liebe in Überfülle. Solche Menschen sind außergewöhnlich empfindsam.

Tatsächlich hat die öffentliche Diskussion über Down-Syndrom schon seit langem einen seltsamen Charakter angenommen. Dass Kinder mit dieser Krankheit in manchen Ländern nicht mehr oder nur noch ausnahmsweise geboren werden (dürfen), wird als ein Triumph der Wissenschaft angesehen. Perverserweise wird dieser Zustand als Form eines gesellschaftlichen Mitgefühls dargestellt. Damit wird die Annahme implizit, dass ein Leben mit Down-Syndrom eines Menschen unwürdig sei, sogar, dass man betroffenen Kindern einen Gefallen tut, wenn man ihnen die vermeintliche Qual eines Lebens erspart. Wir wissen heute, wie groß die Macht dieser Rhetorik sein kann; so groß, dass jeder, der sie in Frage stellt, Gefahr läuft, als rückschrittlich bezeichnet wird. Oder sie wird als unchristliche Leidensverherrlichung abgetan. In unserem politischen Klima wird es zunehmend als selbstverständlich angesehen, dass manche Menschenleben entbehrlich sind, oder am besten gar nicht geboren würden.

Sr. Marie-Ange de Saint Chamas hat ihr Leben mit beispielhafter, ansteckender Hingabe geführt. Sie wurde 1967 geboren. Ihre Eltern stellten erst nach der Geburt fest, dass ihr Kind nicht wie andere Kinder war. Die leibliche Schwester erzählte nach der Beisetzung, dass ihre Eltern „diesen Schatz für einige Zeit in ihrem Herzen zu tragen hatten, eine Zeit, die erforderlich war, um daraus eine Opfergabe zu machen. Sie mussten lernen, ihre Ratlosigkeit und ihren Schmerz zu akzeptieren und neu zu lieben. Nach und nach ließ die kleine Schwester uns verstehen, dass sie besser gerüstet war als wir. Wir lernten, die Schönheit ihres Kinderherzens zu bewahren und ließen uns in ihrer Liebesfähigkeit übertreffen.“

Sr. Marie-Ange war eine der ersten Schwestern des Ordens „Petites Sœurs disciples de l’Agneau - Kleine Schwestern Jüngerinnen des Lammes“. Diese Kongregation wurde 1985 gegründet, damit Frauen mit Down-Syndrom ein klösterliches Leben ermöglicht werden konnte.

Bei der Zusammenkunft nach der Beerdigung sprachen viele Menschen über ihr Mitgefühl und ihren Mut, ihrer intuitiven Intelligenz, ihrer Weisheit und ihrem funkelnden Sinn für Freude. Auffallend war die Schilderung ihrer Berufung. Die Gemeinschaft von Marie-Ange ist kein Reservoir für Außenseiter. Es ist ein Ort für geweihte Frauen, die ihre Berufung mit Würde annehmen. Als Marie-Ange vor ihrem Klostereintritt von der neuen Klostergründung hörte, wusste sie sofort, dass dies etwas für sie war. Dieses Leben entsprach ihrem tiefen Sinn und sie bekräftigte: „Er hat mich auserwählt“. Dabei soll sie mit einem Finger aufgezeigt haben um zu betonen, wie ernst es ihr damit war. Und sie fügte noch hinzu: „für die Ewigkeit“.

Und noch eine Geschichte wurde bei Sr. Marie-Anges Beerdigung erzählt. Eine andere Schwester ihres Klosters kam zu einem Arzttermin. Im Wartezimmer befand sich eine Frau in größter Not; sie war außer sich, schrie, trat um sich und war unfähig, ihre Angst zu unterdrücken. Alle Patienten im Wartezimmer zogen sich bestürzt zurück, mit einer Ausnahme. Die Nonne mit Down-Syndrom  stand auf, ging auf die in Panik geratene Patientin zu und sagte ihr: „Tu es belle, Madame! – Madam, wie schön Sie sind!“ Sofort wurde die Patientin ruhig und Friede kam über sie.

Ergänzung am 27. August 2021 mit weiteren Einzelheiten zur letzten Ruhestätte von Schwester Marie-Ange. CNA Deutsch dankt der Familie der Ordensfrau und den „Petites Sœurs disciples de l’Agneau - den Kleinen Schwestern Jüngerinnen des Lammes“ für die Genehmigung und Informationen. 

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